Leitsatz (amtlich)
Nach Ablauf der Sperrfrist von drei Jahren kann der Schuldner einen erneuten Insolvenz-, Stundungs- und Restschuldbefreiungsantrag auch dann stellen, wenn ihm in einem früheren Verfahren die Restschuldbefreiung wegen Vermögensverschwendung im Schlusstermin versagt worden ist; die Rechtskraft der Versagungsentscheidung steht dem Rechtsschutzinteresse an der Durchführung eines erneuten Verfahrens nicht entgegen (Fortführung von BGH, Beschl. v. 16.7.2009 - IX ZB 219/08, z.V. in BGHZ bestimmt).
Normenkette
InsO § 287 Abs. 1, § 290 Abs. 1 Nrn. 3-4
Verfahrensgang
LG Konstanz (Beschluss vom 05.08.2009; Aktenzeichen 62 T 34/09 A) |
AG Villingen-Schwenningen (Beschluss vom 06.03.2009; Aktenzeichen 1 IK 103/08) |
Tenor
Dem Schuldner wird wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Konstanz vom 5.8.2009 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Konstanz vom 5.8.2009 und der Beschluss des AG Villingen-Schwenningen vom 6.3.2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren - an das AG zurückverwiesen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Am 30.6.2001 stellte der Schuldner Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen, das am 24.10.2001 eröffnet wurde. Im Schlusstermin am 11.7.2002 beantragte eine Gläubigerin Versagung der Restschuldbefreiung, weil der Schuldner nach Einstellung eines früheren Insolvenzverfahrens über sein Vermögen (§ 207 InsO) neue Verbindlichkeiten begründet hatte. Dieser Antrag führte zur Versagung der Restschuldbefreiung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO. Der Versagungsbeschluss wurde durch Entscheidung des Beschwerdegerichts vom 30.12.2002 rechtskräftig.
Rz. 2
Am 8.7.2008 hat der Schuldner erneut beantragt, das Insolvenzverfahren über sein Vermögen zu eröffnen, ihm die Verfahrenskosten zu stunden und Restschuldbefreiung zu erteilen. Diese Anträge hat das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 6.3.2009 als unzulässig verworfen. Der Schuldner habe kein Rechtsschutzbedürfnis für eine erneute Antragsstellung, denn eine Veränderung der Verhältnisse sei seit Einstellung des früheren Verfahrens nicht eingetreten. Seine Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingelegten Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seine Anträge weiter.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 34 Abs. 1, 4d Abs. 1, 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Rechtsprechung des BGH, nach der einem Folgeantrag des Schuldners das Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen sei, wenn zwischen der Versagung der Restschuldbefreiung in dem vorausgehenden Verfahren und dem erneuten Antrag auf Durchführung eines Insolvenzverfahrens keine neuen Gläubiger hinzugetreten seien (BGH, Beschl. v. 6.7.2006 - IX ZB 263/05, NZI 2006, 601; v. 11.10.2007 - IX ZB 270/05, NZI 2008, 45), müsse auch auf solche Fälle übertragen werden, in denen zwischenzeitlich neue Gläubiger hinzugekommen seien. Aufgrund der rechtskräftigen Versagung der Restschuldbefreiung könne dem Schuldner wegen der zum Zeitpunkt der damaligen Verfahrenseröffnung begründeten Verbindlichkeiten keine Restschuldbefreiung mehr gewährt werden. Die Zulassung eines Insolvenzverfahrens über die seither begründeten Verbindlichkeiten durchbreche den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung. Falls die Rechtsprechung des BGH so zu verstehen sei, dass ein Zweitantrag trotz vorausgehender rechtskräftiger Versagung der Restschuldbefreiung unter Umständen doch zulässig sein solle, könnte das Beschwerdegericht dem nicht folgen.
Rz. 5
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 6
a) Mit dem nach Erlass der vorinstanzlichen Entscheidungen ergangenen Beschluss vom 16.7.2009 (IX ZB 219/08, NZI 2009, 651, z.V.b. in BGHZ) hat der Senat entschieden, dass ein Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung analog § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig ist, wenn er innerhalb von drei Jahren nach rechtskräftiger Versagung der Restschuldbefreiung in einem früheren Verfahren wegen einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung seiner Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten gestellt worden ist. In einem weiteren Beschluss vom 3.12.2009 (IX ZB 89/09) hat der Senat den Grundsatz, dass den Schuldner eine dreijährige Wartepflicht trifft, wenn er es in früheren Verfahren versäumt hat, rechtzeitig Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen und Erteilung der Restschuldbefreiung zu stellen, auf den Fall übertragen, dass der Restschuldbefreiungsantrag des Schuldners in einem früheren Verfahren als unzulässig verworfen worden ist. Die analog § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO vom Schuldner nach rechtskräftiger Versagung der Restschuldbefreiung in einem vorausgehenden Verfahren einzuhaltende dreijährige Sperrfrist muss auch für den Fall gelten, dass dem Schuldner die Restschuldbefreiung wegen einer Vermögensverschwendung i.S.d. § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO versagt worden ist. Auch in diesem Fall besteht eine Regelungslücke, die durch eine analoge Anwendung des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu schließen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 16.7.2009, a.a.O., S. 692 f Rz. 14 ff.). Der Schuldner darf nicht sofort wieder die Möglichkeit erhalten, ein aufwendiges und kostenintensives Restschuldbefreiungsverfahren einzuleiten. Die Wartefrist muss aber - dies folgt schon aus der Regelung des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO, nach der der Schuldner nach Ablauf von zehn Jahren auch dann wieder eine Möglichkeit bekommen soll, einen Antrag auf Restschuldbefreiung zu stellen, wenn ihm diese in einem früheren Verfahren erteilt oder nach den §§ 296, 297 InsO versagt worden ist - kürzer bemessen sein, als die originäre Sperrfrist dieser Regelung. Sie erscheint auch im Fall des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO mit drei Jahren angemessen.
Rz. 7
Soweit das Beschwerdegericht meint, das Rechtsschutzbedürfnis für einen erneuten Verfahrensantrag müsse verneint werden, weil der Schuldner aufgrund der Rechtskraft der vorausgehenden Versagung allenfalls noch von den Verbindlichkeiten befreit werden könne, die er nach der Versagung im Erstverfahren neu begründet habe, steht dies der Zulässigkeit des Eröffnungsantrags nicht entgegen. Eine gespaltene Restschuldbefreiung für Verbindlichkeiten, die nach einem bestimmten Zeitpunkt oder Ereignis begründet worden sind, gibt es nicht. Sie wäre mit dem Grundsatz, dass dem Schuldner ein schuldenfreier Neuanfang ermöglicht werden soll, nicht zu vereinbaren. Die Versagung der Restschuldbefreiung führt - entgegen der Auffassung von Hackländer (ZInsO 2008, 1308, 1313), auf die sich das Beschwerdegericht stützt - nicht zu der rechtskräftigen Feststellung, dass dem Schuldner für die bis zur Versagung begründeten Verbindlichkeiten keine Restschuldbefreiung mehr erteilt werden kann. Mit Rechtskraftwirkung steht lediglich fest, dass aufgrund des in Rede stehenden Restschuldbefreiungsantrags dem Schuldner keine Restschuldbefreiung erteilt wird. Dies schließt aber die Erteilung der Restschuldbefreiung in einem späteren Verfahren ebenso wenig aus, wie etwa auch die erneute Insolvenzantragstellung nach einer vorausgegangenen Abweisung mangels Masse - trotz formeller und materieller Rechtskraft der Entscheidung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO - aufgrund veränderter Umstände nicht ausgeschlossen ist (BGH, Beschl. v. 5.8.2002 - IX ZB 51/02, NZI 2002, 601, 602). Die rechtskräftige Versagung der Restschuldbefreiung in einem früheren Verfahren lässt die gegen den Schuldner gerichtete Forderung selbst unberührt.
Rz. 8
b) Vorliegend sind seit der rechtskräftigen Versagung der Restschuldbefreiung in dem früheren Verfahren bis zur erneuten Antragstellung mehr als drei Jahre vergangen. Nach Ablauf der Sperrfrist von drei Jahren kann der Schuldner einen erneuten Insolvenz-, Stundungs- und Restschuldbefreiungsantrag stellen. Ob und in welcher Höhe neue Forderungen gegen den Schuldner begründet worden sind, ist unerheblich.
IV.
Rz. 9
Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben; die Sache ist zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO). Da die Eröffnungs- und Stundungsvoraussetzungen bisher aus Rechtsgründen nicht geprüft sind, erfolgt die Zurückverweisung analog § 572 Abs. 3 ZPO an das Insolvenzgericht (vgl. BGHZ 160, 176, 185; Ganter in MünchKomm/InsO, 2. Aufl., § 7 Rz. 106).
Fundstellen
Haufe-Index 2295380 |
DStR 2010, 11 |
NWB 2010, 489 |
NJW-RR 2010, 1288 |
StuB 2010, 248 |
WM 2010, 625 |
DZWir 2010, 174 |
JZ 2010, 256 |
MDR 2010, 407 |
NZI 2010, 38 |
NZI 2010, 407 |
VuR 2010, 156 |
ZInsO 2010, 347 |
InsbürO 2010, 154 |
NJW-Spezial 2010, 245 |
NWB direkt 2010, 159 |
ZVI 2010, 145 |