Leitsatz (amtlich)
1. Zur Wahrung einer Rechtsmittelfrist reicht die Einreichung einer in fremder Sprache gehaltenen Rechtsmittelschrift nicht aus.
2. Zu einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung gehört auch der Hinweis, daß die schriftliche Rechtsmitteleinlegung in deutscher Sprache erfolgen muß.
Verfahrensgang
Tenor
Dem Angeklagten wird gegen die Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Er hat die Kosten der Wiedereinsetzung zu tragen.
Gründe
Das Landgericht Aschaffenburg hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung einer weiteren Verurteilung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge.
1.
Die vom Angeklagten verfaßte Revisionsschrift ist unwirksam, weil sie in türkischer Sprache gehalten und die vom Landgericht veranlaßte Übersetzung erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bei Gericht eingegangen ist. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus § 184 GVG, wonach die Gerichtssprache deutsch ist. Diese Bestimmung ist zwingender Natur, von Amts wegen zu beachten und dem Verfügungsrecht der Beteiligten nicht unterworfen. Sie gilt nicht nur für die gerichtlichen Verhandlungen und Entscheidungen, sondern auch für den gesamten Schriftverkehr mit dem Gericht. Hierfür sprechen Wortlaut und Zweck der Norm. Im Interesse der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens, der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit muß sichergestellt sein, daß die schriftliche Eingabe für das deutsche Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten schon im Zeitpunkt des Zugangs aus sich selbst heraus verständlich ist und nicht erst der zeitraubenden Erforschung ihres Inhalts durch Einschaltung verfahrensfremder Personen bedarf. Dieses Erfordernis wird in der Regel nur dadurch gewährleistet, daß das Schriftstück in deutscher Sprache abgefaßt oder zumindest mit einer deutschen Übersetzung versehen ist. Nach der derzeitigen Rechtslage ist der Strafrichter nicht verpflichtet, von Amts wegen eine Übersetzung der Eingabe zu veranlassen. Weil aus Gründen der Rechtssicherheit eine generelle Lösung anzustreben ist, kann die Wirksamkeit einer fremdsprachigen schriftlichen Erklärung nicht an den eher zufälligen Umstand geknüpft werden, um welche Sprache es sich handelt und ob und in welchem Umfang ein am Verfahren beteiligter Richter ihrer mächtig ist. § 185 Abs. 2 GVG, wonach die Zuziehung eines Dolmetschers dann unterbleiben kann, wenn die beteiligten Personen sämtlich der fremden Sprache mächtig sind, gilt ausdrücklich nur im Bereich der mündlichen Verhandlung.
Der Senat folgt aus den genannten Gründen der herkömmlichen strengen Auffassung (vgl. Begründung des Entwurfs zum GVG bei Hahn-Stegemann S. 176; RGZ 9, 430, 436; 31, 428, 429; 162, 282, 288; RGSt 67, 221, 223; RMG DJZ 1916, 344, 1170; BayObLG Seuff. Arch. 46, 116, 118; BayObLG NJW 1977, 1596 = BayObLGZ 1976, 267, 269; KG Jahrb. 39 Abt. A S. 133; KG HRR 1935 Nr. 991; KG JR 1977, 129; OLG München HRR 1941 Nr. 46; OLG Koblenz FamRZ 1978, 714; Rasch Recht 1916, 7, 8; Eb. Schmidt Lehrkommentar zur StPO, § 184 GVG Rdn. 4; Müller-Sax KMR 6. Aufl., § 184 GVG Anm. 1; Zöller-Glimmer ZPO, 12. Aufl., § 184 GVG Anm. 2; Baumbach-Lauterbach ZPO, 39. Aufl., § 184 GVG Anm. 1; Lechner BVerfGG 3. Aufl., § 17 Anm. 4; Kopp VwGO 5. Aufl. § 55 Rdn. 9; Eyermann-Fröhler VwGO 8. Aufl., § 55 Rdn. 14). Die Gegenmeinung, die von der grundsätzlichen Beachtlichkeit fremdsprachiger Eingaben ausgeht (OLG Frankfurt NJW 1980, 1173 = MDR 1980, 151; LG Berlin JR 1961, 384; VGH München NJW 1976, 1048; Schneider MDR 1979,534; Stober VerwRdschau 1979, 325, 329; Lässig, Deutsch als Gerichts- und Amtssprache, S. 49, 64, 100; Schäfer LR 23. Aufl., § 184 GVG Rdn. 4, 5; Stein-Jonas-Pohle ZPO, 19. Aufl. Anm. XV vor § 128) würde zu einer derart tiefgreifenden Änderung des Gesetzes führen, daß diese dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben müßte. Die für bestimmte Verwaltungsverfahren erlassenen Bestimmungen über die Behandlung und die Wirksamkeit fremdsprachiger Eingaben (§ 23 VwVfG; § 19 SGB, Zehntes Buch; § 87 AO 1977) sind als Sonderregelungen und nicht als Ausfluß allgemeiner Rechtsprinzipien anzusehen. Ihre entsprechende Anwendung auf das Strafverfahren verbietet sich aus Gründen der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit: Müßte das Gericht dem Verfasser der Eingabe eine angemessene Frist setzen, innerhalb derer er eine Übersetzung vorzulegen hat, so würde im Zeitpunkt des Ablaufs der Rechtsmittelfrist nicht feststehen, ob die gerichtliche Entscheidung angefochten ist oder nicht; der Petent hätte es in der Hand, durch sein weiteres Verhalten (nämlich die Erfüllung, die Nichterfüllung oder nicht fristgerechte Erfüllung der gerichtlichen Auflage) nachträglich über den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft zu bestimmen. Diese Ungewißheit kann insbesondere dann unerträglich werden, wenn der Angeklagte selbst von ihr betroffen ist, weil die fremdsprachige Eingabe von seinem Verfahrensgegner (Privatkläger, Nebenkläger) herrührt.
Die vom Senat geteilte enge Auslegung des § 184 GVG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Vorschrift ist keine Norm des Fremdenrechts; ihre Auswirkungen treffen auch deutsche Staatsangehörige, die im Ausland fremdsprachig aufgewachsen sind oder im Inland einer Sprachminderheit angehören. Richtig ist, daß deren Zahl seit Inkrafttreten des Gerichtsverfassungsgesetzes stark zurückgegangen ist und daß das Sprachproblem durch den Zuzug von Ausländern neue Dimensionen gewonnen hat. Gerade unter diesen Umständen kann § 184 GVG die Aufgaben erfüllen, die ihm der Gesetzgeber ursprünglich zugedacht hat. Auch der der deutschen Strafgerichtsbarkeit unterworfene Ausländer muß die gesetzlichen Fristen und sonstigen prozessualen Förmlichkeiten beachten, die ein geordnetes Verfahren und damit Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit erst ermöglichen. Denkbare Nachteile, die aus der Unkenntnis der deutschen Sprache entstehen, können dadurch ausgeglichen werden, daß dem Beschuldigten frühzeitig ein Verteidiger bestellt wird (§ 140 Abs. 2 StPO; Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK), daß während des gesamten Verfahrens ein Dolmetscher zur Verfügung steht (§ 185 GVG; Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK; EGMR NJW 1979, 1091, 1092) und daß im Fall der Fristversäumnis die Anforderungen an die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht überspannt werden (BVerfGE 40, 95, 98 = NJW 1975, 1597; 42, 120, 123 = NJW 1976, 1021).
2.
In Beachtung des letztgenannten Grundsatzes war dem Angeklagten gegen die Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies konnte auch ohne Antrag geschehen, weil in seiner formgerechten Revisionsbegründung zugleich die Nachholung der versäumten Einlegung des Rechtsmittels liegt (§ 45 Abs. 2 S. 3 StPO). Zugunsten des Angeklagten muß davon ausgegangen werden, daß ihn an der Fristversäumnis kein Verschulden trifft, weil er über die Notwendigkeit, die Revisionsschrift in deutscher Sprache abzufassen, nicht belehrt worden ist. Zu einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung im Sinn von § 35 a StPO gehört auch der Hinweis, daß die schriftliche Rechtsmitteleinlegung in deutscher Sprache erfolgen muß. Das Unterbleiben dieser Belehrung begründet für den Angeklagten den Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 44 S. 2 StPO; vgl. RMG DJZ 1916, 344; KG JR 1977, 129).
Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Frist zur Begründung der Revision (RGSt 76, 280).
Fundstellen
Haufe-Index 3018805 |
BGHSt 30, 182 - 185 |
NJW 1982, 532 |
NJW 1982, 532-533 (Volltext mit amtl. LS) |
NStZ 1981, 487 |
MDR 1981, 949-950 (Volltext mit amtl. LS) |
Meuser, JR 82, 517 |
StV 1981, 533 |
StV 1981, 533-534 |