Leitsatz (amtlich)
Ein Schuldner, der im Zeitpunkt der Antragstellung noch eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, fällt weder unter § 304 Abs. 1 Satz 1 noch unter Satz 2.
Normenkette
InsO § 304 Abs. 1 i.d.F. vom 1. Dezember 2001
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Beschluss vom 06.03.2002) |
AG Chemnitz |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 11. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 6. März 2002 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 511,29 Euro festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Schuldner, der eine Zahnarztpraxis betreibt und einen Mitarbeiter sowie eine Auszubildende beschäftigt, beantragte am 23. Juni 2000 die Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens. Zurückweisende Entscheidungen des Amts- und des Landgerichts wurden auf weitere sofortige Beschwerde hin vom Oberlandesgericht aufgehoben. Die Sache wurde an das Amtsgericht zurückverwiesen. Dieses half der sofortigen Beschwerde nicht ab, und das Landgericht wies diese wiederum zurück.
Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, maßgebend für die hier zu entscheidende Frage, ob der Schuldner dem Verbraucher- oder dem Regelinsolvenzverfahren unterfalle, sei § 304 InsO in der seit 1. Dezember 2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2710). Nach dessen eindeutigen Wortlaut könne über das Vermögen eines Schuldners, der als natürliche Person eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübe, unabhängig von deren Umfang nur ein Regelinsolvenzverfahren durchgeführt werden.
Entscheidungsgründe
II.
Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Schuldners ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n.F. in Verbindung mit § 7 InsO statthaft und auch im übrigen zulässig, jedoch unbegründet.
1. Daß der Antrag des Schuldners nach dem seit 1. Dezember 2001 geltenden Recht zu beurteilen ist, zieht die Rechtsbeschwerde – mit Recht – nicht in Zweifel.
2. Nach dem neuen Recht ist der Schuldner jedoch auf das Regelinsolvenzverfahren zu verweisen. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist der Wortlaut des Gesetzes eindeutig. Er steht überdies im Einklang mit dem sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden Willen des Gesetzgebers. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein derartiges Verständnis bestehen nicht.
a) Gemäß § 304 Abs. 1 Satz 1 InsO n.F. gelten für eine natürliche Person, die keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt oder ausgeübt hat, die Vorschriften des Verbraucherinsolvenzverfahrens. Für einen Schuldner, der eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hat, also jetzt nicht mehr ausübt, trifft dies gemäß Satz 2 nur dann zu, wenn seine Vermögensverhältnisse überschaubar sind und gegen ihn keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen. Ein Schuldner, der im Zeitpunkt der Antragstellung noch eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, fällt weder unter Satz 1 noch unter Satz 2.
In der Literatur werden diese Vorschriften – soweit ersichtlich – einhellig in diesem Sinne verstanden (vgl. Wenzel, in: Kübler/Prütting, InsO § 304 Rn. 13; Fluck, in: Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO § 304 Rn. 11; Braun/Buck, InsO 2002 § 304 Rn. 12, 15; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht 2002 Rn. 877; Vallender NZI 2001, 561, 563; Fuchs NZI 2002, 239, 240).
b) Die Auffassung der Rechtsbeschwerde, die Situation eines noch wirtschaftlich selbständig Tätigen, die sich von der eines Verbrauchers nicht wesentlich unterscheide, habe der Gesetzgeber nicht bedacht, ihm sei erkennbar daran gelegen gewesen, das Verbraucherinsolvenzverfahren auch weiterhin für Kleinunternehmer mit überschaubaren Vermögensverhältnissen zuzulassen, ist unzutreffend. Ausweislich der Begründung zu § 304 n.F. (BT-Drucks. 14/5680 S. 30) wollte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des Verbraucherinsolvenzverfahrens neu ordnen, weil die „Einbeziehung von Kleinunternehmen … schwierige Abgrenzungsprobleme verursacht und zu einer erheblichen Justizbelastung beigetragen” hat. Im Grundsatz wollte er „alle ehemaligen oder noch aktiven Selbständigen nicht dem Verbraucher-, sondern dem Regelinsolvenzverfahren” zuweisen. Eine Ausnahme sollte nur „für die Schuldner gemacht (werden), die eine geringfügige selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt haben”.
c) Mit der Neuregelung werden – entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde – nicht unter Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich geregelt.
Der Gesetzgeber wollte, wie ausgeführt, Abgrenzungsprobleme ausräumen und die Rechtsanwendung vereinfachen. Ein derartiges – legitimes – Vorhaben nötigt zu einer Verallgemeinerung, die vereinzelt auch Sachverhalte erfassen kann, welche für sich genommen auch anders hätten gelöst werden können. Da nach den bisher gemachten Erfahrungen der mit der Durchführung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens verbundene Aufwand bei werbenden Unternehmern – auch Kleinunternehmern – „häufig ohne nennenswertes Ergebnis” blieb (BT-Drucks. 14/5680 S. 30), hält es sich im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens, wenn werbende Unternehmer von der Teilnahme am Verbraucherinsolvenzverfahren ganz ausgeschlossen werden, obgleich es auch werbende Unternehmer geben mag, deren Vermögenssituation mit derjenigen eines Verbrauchers vergleichbar ist.
Der Ansicht der Rechtsbeschwerde, wenn ein Schuldner auf die Regelinsolvenz verwiesen werde, weil er als Unternehmer noch aktiv sei, würden Umgehungsversuche provoziert und es entstünden Wertungswidersprüche, kann nicht gefolgt werden. Daß ein Schuldner nach Stellung eines zulässigen und begründeten Antrags auf Eröffnung der Verbraucherinsolvenz vorgefaßter Absicht gemäß einen zuvor aufgegebenen Betrieb wieder aufnimmt, wird selten vorkommen. Rechtsmißbräuchlichen Vorgehensweisen kann – ebenso wie früher (vgl. OLG Rostock NZI 2001, 213, 214) – die Anerkennung versagt werden. Die Anreize für eine „Flucht in die Verbraucherinsolvenz” waren nach der alten Rechtslage eher höher; das war gerade Anlaß für die gesetzliche Neuregelung. Daß umgekehrt ein Gläubiger, der einer Schuldenbereinigung nicht zustimmen möchte und eine Ersetzung seiner Einwilligung durch das Gericht befürchtet (§ 309 Abs. 1 InsO n.F.), diese Möglichkeit durch einen Insolvenzantrag vor Betriebseinstellung unterlaufen könnte, ist ebensowenig anzunehmen. Sein Insolvenzantrag ist nur erfolgreich, wenn die Eröffnungsvoraussetzungen vorliegen. Wenn der Schuldner gleichwohl den Betrieb fortführt, muß er es sich gefallen lassen, nicht als Verbraucher behandelt zu werden. Im übrigen kann er einem Gläubigerantrag zuvorkommen, wenn er einem Eröffnungsantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit stellt (§ 18 InsO) und zuvor seinen Betrieb aufgibt.
Als niedergelassener Zahnarzt übt der Schuldner eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von § 304 Abs. 1 InsO n.F. aus (vgl. § 1 Abs. 2 ZahnheilkG). Daß Zahnärzte weit überwiegend selbständig tätig sind und der Arbeitsmarkt für solche, die eine abhängige Stellung anstreben, beschränkte Möglichkeiten bietet, macht die gesetzliche Regelung nicht verfassungswidrig.
Unterschriften
Kreft, Ganter, Raebel, Kayser, Bergmann
Fundstellen
Haufe-Index 884674 |
BB 2002, 2631 |
DStZ 2003, 56 |
NJW 2003, 591 |
NWB 2003, 267 |
BuW 2003, 208 |
BGHR 2003, 204 |
EBE/BGH 2002, 402 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2002, 2525 |
WuB 2003, 357 |
ZAP 2003, 107 |
InVo 2003, 53 |
JuS 2003, 503 |
MDR 2003, 232 |
NJ 2003, 309 |
NZI 2003, 105 |
Rpfleger 2003, 143 |
VersR 2003, 1316 |
VuR 2003, 148 |
ZInsO 2002, 1181 |
ZVI 2002, 449 |
KammerForum 2003, 159 |