Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufung. Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Verschulden des Prozessbevollmächtigten. Fristenkontrolle durch Rechtsanwalt. Pflicht zur Prüfung des Fristablaufs bei Vorbereitung der fristgebundenen Prozesshandlung. Fristberechnung. Fristenkontrolle. Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit
Leitsatz (amtlich)
Auch wenn der Prozessbevollmächtigte die von seiner Angestellten in den Fristenkalender eingetragene Frist überprüft hat, befreit ihn dies nicht davon, im Rahmen seiner Vorbereitung einer Prozesshandlung die Einhaltung der für diese vorgeschriebenen Frist nachzuprüfen.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
LG Gera (Beschluss vom 29.10.2003) |
LG Gera (Beschluss vom 06.10.2003) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen die Beschlüsse der 6. Zivilkammer des LG Gera v. 6. und 29.10.2003 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Streitwert: 3.855 EUR
Gründe
I. Die Klägerin begehrt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung ihrer Berufung.
Ihrem Prozessbevollmächtigten wurde am 25.4.2003 das klageabweisende Urteil des AG zugestellt. Auf dessen Vorderseite vermerkte die Büroangestellte zutreffend den 26.5.2003 als letzten Tag der Berufungsfrist sowie den 25.6.2003 als letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist und trug diese Daten auch in den Fristenkalender der Kanzlei ein. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin überprüfte die eingetragenen Fristen, als ihm die Akte am 12.5.2003 vorgelegt wurde, und legte rechtzeitig Berufung ein. Als die Angestellte die Mitteilung des LG erhielt, dass die Berufung dort am 26.5.2003 eingegangen sei, notierte sie den 26.6.2003 als Datum des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender und strich den 25.6.2003 aus. Sie hat an Eides statt versichert, dieses Versehen sei ihr unerklärlich; sie sei über die Änderung der Berufungsbegründungsfrist durch das am 1.1.2002 in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Zivilprozesses unterrichtet gewesen, wie ihre ursprüngliche Eintragung auf der Ausfertigung des amtsgerichtlichen Urteils zeige. Am 18.6.2003 legte die Angestellte die Akte dem Prozessbevollmächtigten mit einem außen angebrachten Zettel in DIN-A-6 Größe vor, auf dem als Tag des Fristablaufs der 26.6.2003 angegeben war. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat eidesstattlich versichert, er habe sich auf diese Angabe verlassen, als er am 25.6.2003 die Berufungsbegründung diktiert habe, weil die Fristberechnung von ihm bereits vor Einlegung der Berufung überprüft und für richtig befunden worden war. Die Berufungsbegründung wurde am 26.6.2003 unterschrieben und ging am gleichen Tag per Telefax beim LG ein.
Am 10.7.2003 erhielt der Prozessbevollmächtigte den Hinweis des LG, dass die Frist des § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht gewahrt sei. Am 18.7.2003 ging beim LG der Antrag auf Wiedereinsetzung ein. Mit Beschluss v. 6.10.2003 hat das LG den Antrag zurückgewiesen, da die Versäumung der Prozesshandlung auf einem der Klägerin gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbaren eigenen Verschulden des Prozessbevollmächtigten beruhe. Dieser habe nicht durch geeignete organisatorische Maßnahmen Sorge dafür getragen, dass eine Büroangestellte nicht eigenmächtig die im Fristenkalender notierten Daten ändere. Jedenfalls habe er nach Vorlage der Akte zum Zweck der Berufungsbegründung den Ablauf der Frist selbst nachrechnen müssen. Die als Gegenvorstellung zu wertende Beschwerde der Klägerin hat das LG mit Beschluss v. 29.10.2003 als unzulässig verworfen. Darin wird hervorgehoben, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei nicht nur zuzumuten, sondern im Rahmen seiner Berufungsbegründung auch ohne weiteres möglich gewesen, noch einmal den Fristablauf anhand des Eingangsstempels auf dem angefochtenen Urteil zu kontrollieren.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der am 6.11.2003 beim BGH eingegangenen Rechtsbeschwerde.
II. Das Rechtsmittel ist statthaft. Auch wenn die Berufung wie hier noch nicht als unzulässig verworfen worden ist, kann gegen den die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagenden Beschluss gem. §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 S. 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Rechtsbeschwerde eingelegt werden (BGH v. 10.10.2002 - VII ZB 11/02, BGHZ 152, 195 [197 f.] = BGHReport 2003, 148 = BGHReport 2003, 641 = MDR 2003, 827). Deren formelle Voraussetzungen (§ 575 ZPO) sind eingehalten. Die Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und auch wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung zulässig (§ 574 Abs. 2). Sie bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, zwar sei ein Rechtsanwalt nach ständiger Rechtsprechung verpflichtet, den Fristablauf selbst nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird (BGH, Beschl. v. 13.11.1975 - III ZB 18/75, NJW 1976, 627 [628]; Beschl. v. 11.2.1992 - VI ZB 2/92, NJW 1992, 1632; Beschl. v. 5.2.2003 - VIII ZB 115/02, MDR 2003, 710 = BGHReport 2003, 697 = NJW 2003, 1815 unter II 2). Nicht geklärt sei indessen, ob diese Prüfung notwendig in engem zeitlichen Zusammenhang mit der fristgebundenen Prozesshandlung und insb. auch dann erfolgen müsse, wenn der Prozessbevollmächtigte wie im vorliegenden Fall die korrekte Eintragung des Ablaufs der für die Prozesshandlung maßgebenden Frist in den Kalender der Kanzlei bereits zu einem früheren Zeitpunkt überprüft habe. Eine doppelte Prüfung könne von ihm ebenso wenig erwartet werden wie die doppelte Führung von Fristenkalendern (dazu BGH, Beschl. v. 29.6.2000 - VII ZB 5/00, MDR 2000, 1217 = NJW 2000, 3006 unter II 2a).
Dem ist nicht zu folgen. Die Pflicht des Prozessbevollmächtigten, den Fristablauf bei der Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung selbstständig zu prüfen, beruht darauf, dass die sorgfältige Vorbereitung der Prozesshandlung stets auch die Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit einschließt. Diese Aufgabe ist von der Fristberechnung und Fristkontrolle zu unterscheiden, die lediglich der rechtzeitigen Vorlage der Akten zum Zweck ihrer Bearbeitung durch den Rechtsanwalt dienen. Nur insoweit kann sich der Rechtsanwalt von der routinemäßigen Fristenüberwachung entlasten (BGH, Beschl. v. 13.11.1975 - III ZB 18/75, NJW 1976, 627 [628]). Anders als bei der doppelten Führung von Fristenkalendern geht es hier um unterschiedliche Aufgaben des von den Angestellten geführten Fristenkalenders einerseits und der Pflicht des Prozessbevollmächtigten selbst zur Vorbereitung der Prozesshandlung andererseits. Hat der Prozessbevollmächtigte - wie er hier vorträgt - die von seiner Angestellten in den Fristenkalender eingetragene Frist überprüft, obwohl dies von der Aufgabenstellung her an sich nicht erforderlich gewesen wäre, befreit ihn dies nicht davon, im Rahmen seiner Vorbereitung einer Prozesshandlung die Einhaltung der für diese vorgeschriebenen Frist nochmals zu überprüfen. Zwar muss die Prozesshandlung nicht in einem Zuge und zeitnah mit dem Ablauf einer für sie geltenden Frist vorbereitet werden. Das ändert aber nichts an der Eigenverantwortung des Rechtsanwalts für die Richtigkeit und die Einhaltung der etwa von ihm zu einem früheren Zeitpunkt bereits berechneten Frist.
Die Rechtsbeschwerde war daher zurückzuweisen. Auf die Frage, ob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durch besondere Maßnahmen Vorsorge dafür getroffen hatte, dass eine im Fristenkalender notierte, von ihm überprüfte Frist nicht von der Angestellten eigenmächtig verändert wurde, kommt es nicht mehr an.
Fundstellen
Haufe-Index 1150564 |
BB 2004, 1189 |
Inf 2004, 451 |
BGHR 2004, 1055 |
FamRZ 2004, 943 |
NJW-RR 2004, 1150 |
JurBüro 2004, 512 |
MDR 2004, 1014 |
VersR 2005, 96 |
PA 2004, 154 |
ZFE 2004, 214 |
Mitt. 2004, 328 |
ProzRB 2004, 246 |