Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe. Bewilligung. Sozietät. Beiordnung
Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann der bedürftigen Partei eine Rechtsanwaltssozietät beigeordnet werden.
Normenkette
ZPO § 121 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Dem Kläger wird für das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des OLG Celle vom 22.11.2007 Prozesskostenhilfe gewährt und die Sozietät der Rechtsanwälte Prof. Dr. Vorwerk und Dr. Schultz, Erbprinzenstraße 27, Karlsruhe, beigeordnet.
Der Kläger hat monatliche Raten i.H.v. 60 EUR an die Landeskasse zu zahlen.
Gründe
[1] Dem Kläger war im Rahmen der nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO gewährten Prozesskostenhilfe antragsgemäß die Rechtsanwaltssozietät Prof. Dr. Vorwerk und Dr. Schultz nach § 121 Abs. 1 ZPO für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beizuordnen. Diese Vorschrift ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass nicht nur eine persönliche Beiordnung eines einzelnen Rechtsanwalts vom Gesetz gestattet wird. Dafür sind die folgenden Erwägungen maßgebend:
[2] 1. Die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) ermöglicht Gesellschaften, deren Unternehmensgegenstand die Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten ist, die Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft (§ 59c Abs. 1 BRAO). Nach § 59l BRAO kann die Rechtsanwaltsgesellschaft als Prozess- und Verfahrensbevollmächtigte beauftragt werden. Sie hat dann die Rechte und Pflichten eines Rechtsanwalts, kann allerdings nur durch solche Organe und Vertreter handeln, in deren Person die für die Erbringung rechtsbesorgender Leistungen gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen vorliegen. Trotz dieser Einschränkung wird die Bestimmung teilweise dahin verstanden, dass die Rechtsanwaltsgesellschaft selbst - und nicht nur die für sie nach § 59l Satz 3 BRAO jeweils handlungsbefugte Person - prozess- und postulationsfähig ist mit der Folge, dass die Gesellschaft als solche einer Partei im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 121 Abs. 1 ZPO beigeordnet werden kann (OLG Nürnberg NJW 2002, 3715 m.w.N.; OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2001, 153, juris Tz. 11, zustimmend Musielak/Fischer, ZPO, 6. Aufl., § 121 Rz. 6 a.E.; Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 121 Rz. 2).
[3] 2. Ähnliches gilt für die Partnerschaftsgesellschaft. § 7 Abs. 4 PartGG lässt es ähnlich wie §§ 59c i.V.m. 59l BRAO zu, dass Rechtsuchende die Gesellschaft als Prozess- und Verfahrensbevollmächtigte beauftragen, wobei auch hier die Gesellschaft durch ihre Partner und Vertreter handelt und § 7 Abs. 4 Satz 2 PartGG anordnet, dass diese jeweils in ihrer Person die für die Erbringung rechtsbesorgender Leistungen gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen aufweisen müssen.
[4] 3. Für die in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) betriebene Anwaltssozietät ist spätestens mit der Entscheidung des BGH vom 29.1.2001 (II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 ff.) eine grundlegende Änderung der rechtlichen Anschauung eingetreten, weil ihr nunmehr die Rechtsfähigkeit einschließlich der Parteifähigkeit zugestanden wird, soweit sie am Rechtsverkehr teilnimmt (BGHZ, a.a.O., S. 343 ff.). Sie untersteht insoweit auch dem Schutz der Art. 12 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG.
[5] 4. Eine Beschränkung der Beiordnungsmöglichkeit auf Rechtsanwälte als Einzelpersonen würde die Rechtsanwaltssozietät in ihrer von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübung einschränken, ohne dass sich dafür heute noch tragfähige Gründe finden ließen (vgl. dazu auch Ganter in AnwBl. 2007, 847). Zugleich könnte die Anwaltssozietät gegenüber Einzelanwälten, der Rechtsanwaltsgesellschaft und der Partnerschaftsgesellschaft in einer den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG berührenden Weise benachteiligt sein. Es ist zudem zu berücksichtigen, dass der dem Prozesskostenhilferecht immanente Grundsatz der Waffengleichheit berührt ist, wenn einerseits eine vermögende Partei in der Lage ist, für sich eine Anwaltssozietät mit den aus deren Arbeitsteilung erwachsenden Vorteilen zu verpflichten, andererseits aber die auf Prozesskostenhilfe angewiesene Partei jeweils auf die Vertretung durch einen einzelnen Rechtsanwalt beschränkt ist (vgl. Ganter, a.a.O.).
[6] Es tritt hinzu, dass die Rechtslage für den Mandanten einer Anwaltssozietät schwer durchschaubar wird, wenn ihm während des laufenden Mandats lediglich ein bestimmter Sozius nach § 121 Abs. 1 ZPO beigeordnet wird. Nach der Rechtsprechung des BGH findet ein zuvor mit der Sozietät geschlossener Mandats-Vertrag mit der Beiordnung nicht ohne Weiteres sein Ende (BGH, Urt. v. 23.9.2004 - IX ZR 137/03, NJW-RR 2005, 261 unter III 1). Aus dem fehlenden Gleichlauf von Mandat und Beiordnung erwachsen sodann weitere Probleme hinsichtlich der Frage, inwieweit die Sperrwirkung des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch den Honoraranspruch der Sozietät erfasst, bzw. inwieweit jedenfalls der schließlich allein beigeordnete Rechtsanwalt gehalten ist, den Mandanten über die gebührenrechtlichen Folgen des fehlenden Gleichlaufs von Mandat und Beiordnung zu belehren, um sich nicht mit Blick auf den mitunter fortbestehenden Honoraranspruch der Sozietät schadensersatzpflichtig zu machen (vgl. dazu Ganter, a.a.O.).
[7] 5. Zwar wird in der Rechtsprechung auch nach der mit der Entscheidung BGHZ 146, 341 ff. verbundenen Zuerkennung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts teilweise weiterhin die Auffassung vertreten, der Wortlaut des § 121 Abs. 1 ZPO verbiete die Beiordnung einer Rechtsanwaltssozietät (OLG Celle, Beschl. v. 2.5.2003 - 7 U 11/03; BayLSG, Beschl. v. 4.7.2006 - L 15 B 44/03 R KO - beide veröffentlicht in juris). Das stützt sich zum einen darauf, dass der Gesetzgeber trotz der Neuregelungen über die Rechtsanwaltsgesellschaft (§§ 59c ff. BRAO) davon abgesehen hat, die §§ 78 und 121 ZPO neu zu fassen und die Beiordnungsmöglichkeit auf die Rechtsanwaltsgesellschaft zu erweitern, zum anderen darauf, dass mit der persönlichen Beiordnung eines einzelnen Rechtsanwalts vermieden werde, dass etwa ein in einer entfernt gelegenen Niederlassung derselben Sozietät tätiger Rechtsanwalt für die bedürftige Partei auftreten und hierdurch höhere Kosten verursachen könne.
[8] Beide Argumente überzeugen nicht.
[9] a) Wie bereits dargelegt, ist die Beiordnungsfähigkeit der Rechtsanwaltsgesellschaft mittlerweile ungeachtet der Tatsache anerkannt, dass der Gesetzgeber insoweit von einer Änderung des § 121 Abs. 1 ZPO abgesehen hat. Allein die Tatsache, dass der Wortlaut des § 121 ZPO unverändert fortbesteht, beantwortet im Übrigen nicht die Frage, ob die Vorschrift vor dem Hintergrund der inzwischen eingetretenen Rechtsentwicklung in Bezug auf die Rechtsanwalts- und die Partnerschaftsgesellschaft einer Korrektur mittels verfassungskonformer Auslegung bedarf. Zu der im Jahre 1998 geschaffenen Neuregelung der §§ 59c ff. BRAO und den bereits im Jahre 1995 geschaffenen Regelungen über die Partnerschaftsgesellschaft (vgl. dazu Schultz in FS für Hirsch, 2008, S. 525, 526) tritt inzwischen hinzu, dass spätestens seit der zu Beginn des Jahres 2001 ergangenen Entscheidung BGHZ 146, 341 ff. die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, damit auch der Rechtsanwaltssozietät, anerkannt ist. Damit ist der wesentliche Grund, die Sozietät von einer Beiordnung auszuschließen, entfallen.
[10] b) Auch das vom OLG Celle (a.a.O. juris Tz. 3-5) und - ihm folgend - dem BayLSG (a.a.O. juris Tz. 22) ins Feld geführte Kostenargument ist nicht geeignet, die Rechtsanwaltssozietät von einer Beiordnung nach § 121 Abs. 1 ZPO auszuschließen. Der Gefahr, dass im Rahmen einer Sozietätsbeiordnung ein auswärtiger Rechtsanwalt für die bedürftige Partei auftritt und Kosten verursacht, die bei einer Einzelbeiordnung nicht entstanden wären, kann im Einzelfall nach § 121 Abs. 3 ZPO ausreichend begegnet werden, etwa dadurch, dass das Gericht die Beiordnung einer überörtlich tätigen Sozietät von der Zusage abhängig macht, auf die Erstattung von Reisekosten für Sozien aus entfernt gelegenen Niederlassungen zu verzichten, oder bereits der Beiordnungsantrag dahin ausgelegt wird, dass er einen solchen Verzicht enthalte (vgl. dazu auch BGH, Beschl. v. 10.10.2006 - XI ZB 1/06, NJW 2006, 3783 unter Tz. 7; Zöller/Philippi, a.a.O., Rz. 13b).
Fundstellen
HFR 2009, 314 |
NJW 2009, 440 |
BGHR 2009, 189 |
EBE/BGH 2008, 371 |
FamRZ 2009, 37 |
EWiR 2009, 95 |
ZIP 2009, 147 |
AnwBl 2009, 74 |
MDR 2009, 103 |
Rpfleger 2009, 87 |
VersR 2009, 237 |
WuM 2008, 748 |
AGS 2008, 608 |
Info M 2009, 90 |
RVGreport 2009, 78 |
r+s 2009, 87 |
BRAK-Mitt. 2009, 90 |