Verfahrensgang
LG Traunstein (Urteil vom 21.03.2003) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 21. März 2003 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes mit Todesfolge, wegen Bedrohung in vier Fällen und wegen unerlaubten Erwerbs von Munition zur Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, mit der die Revision ein Verwertungsverbot hinsichtlich der Einlassung des Angeklagten bei seiner polizeilichen Vernehmung am 15. Mai 2002 geltend macht, weil das Recht des Angeklagten auf Zuziehung eines Verteidigers beschränkt worden sei (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO; siehe auch § 141 Abs. 3 StPO).
Auf der Grundlage der Rechtsansicht des Senats in BGHSt 47, 172 (anders jedoch nach der Rechtsprechung des 5. Strafsenats, vgl. dessen Beschl. v. 17. Dezember 2003 – 5 StR 501/03) kann in Betracht gezogen werden, es als verfahrensfehlerhaft zu erachten, daß die Staatsanwaltschaft im Anschluß an die richterliche Vernehmung des Angeklagten und die Haftbefehlseröffnung am 30. April 2002 keinen Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers gestellt hat. Ob die Fortsetzung der polizeilichen Vernehmung am 15. Mai 2002 deshalb und trotz des Einwandes des Angeklagten auf zwei der gestellten Fragen, diese zunächst mit seinem Rechtsanwalt besprechen zu wollen, und die anschließende Stellung weiterer Fragen dem Recht auf Verteidigerkonsultation noch in jeder Hinsicht entsprachen, kann offenbleiben. Das gilt insbesondere, soweit der Angeklagte nichts mehr über „G.” sagen wollte, die nächste, freilich andere Frage sich aber dennoch mit dieser Person befaßte und der Angeklagte darauf inhaltlich geantwortet hat. Jedenfalls ist bei der hier gegebenen Verfahrensgestaltung in keinem Falle aufgrund der vorzunehmenden Abwägung ein Beweisverwertungsverbot begründet (vgl. zur Abwägung in diesem Zusammenhang nur: BGHSt 47, 172, 179, 180 m.w.N.). Dabei ist das Gewicht des – hier hinsichtlich der Befragung am 15. Mai 2002 zu unterstellenden – Rechtsverstoßes mit in Betracht zu ziehen und ebenso ins Auge zu fassen, ob und inwieweit der damalige Beschuldigte in besonderem Maße des Schutzes bedurfte (vgl. BGHSt 42, 170, 174; 47, 172, 180). Das führt hier zu folgendem Ergebnis:
Die Vernehmung des Angeklagten am 15. Mai 2002 unterscheidet sich schon im Ansatz von demjenigen Sachverhalt, der der Senatsentscheidung BGHSt 47, 172 zugrunde lag: Die dem Angeklagten hier eingangs erteilte Belehrung entsprach uneingeschränkt der Strafprozeßordnung; namentlich enthielt sie erneut einen Hinweis auf das Recht zur Verteidigerkonsultation und das Schweigerecht. Sie war also – anders als im Fall BGHSt 47, 172 – vollständig und korrekt und daher uneingeschränkt geeignet, dem Angeklagten seine Rechte aktuell ins Bewußtsein zu rufen. Der zum Zeitpunkt der Vernehmung bereits seit einigen Tagen inhaftierte Angeklagte stand nicht mehr unter dem unmittelbaren Eindruck seiner Festnahme; er hatte zuvor Gelegenheit, sich gedanklich auf seine weitere Verteidigung einzustellen. Er führte schon zu Beginn der Vernehmung einen Zettel mit sich, auf dem Name, Anschrift und Telefonnummer einer ihm zuvor empfohlenen Rechtsanwältin verzeichnet waren und deren Beiziehung er jederzeit, auch schon vor dem Beginn der weiteren Vernehmung hätte verlangen können. Davon hat er jedoch abgesehen und solches erst gefordert, als die Vernehmung einen bestimmten Punkt erreichte und er deren endgültigen Abbruch begehrte. Dies, aber auch die vorherigen Reaktionen auf einzelne Fragen, die er vor Beantwortung erst mit seinem Rechtsanwalt besprechen wollte, verdeutlicht, daß er seine Rechte nicht nur kannte, sondern bewußt differenziert damit umging. Gerade das spätere Verlangen des Abbruchs der Vernehmung wie auch die vorherige Ablehnung einer Antwort auf einzelne, bestimmte Fragen kennzeichnet die freie Entschließung des Angeklagten über das Maß des Gebrauchmachens von seinen Beschuldigtenrechten. Hinzu kommt, daß die Vernehmung sich bis zu ihrem Abbruch noch nicht mit dem Kern des Tatgeschehens befaßt hatte.
Soweit ein Polizeibeamter nach dem vom Angeklagten geforderten Abbruch der Vernehmung versucht hat, doch noch weitere Angaben von ihm zu erlangen, erweist sich das freilich als Mißachtung und Verletzung des Schweigerechts; der Angeklagte hatte sich zu jenem Zeitpunkt zweifelsfrei und umfassend darauf berufen. Da er jedoch auf die nochmalige gezielte Nachfrage keinerlei Angaben mehr gemacht und auf seinem Recht zu schweigen beharrt hat, kann auf diesem Rechtsmangel des Ermittlungsverfahrens das Urteil des Landgerichts nicht beruhen.
Keine rechtlichen Bedenken bestehen indessen gegen die Verwertung der nach der Vernehmung erfolgten Äußerungen des Angeklagten im Gespräch, während einer der Kriminalbeamten mit der von ihm benannten Rechtsanwältin telefonierte, die dann herbei eilte. Auch bei diesen – nicht protokollierten – Äußerungen kannte der Angeklagte seine Rechte; er hatte das schon während der Vernehmung in einer in der Bedeutung der jeweiligen Frage zum Ausdruck kommenden Weise durch sein Verhalten bestätigt. Die Äußerungen fielen – wie der Zusammenhang ergibt – in Kenntnis dessen, daß die von ihm benannte Rechtsanwältin herbeigerufen wurde.
in Ansehung all dieser Umstände vermag der Senat ein Beweisverwertungsverbot für die Angaben des Angeklagten bei seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am 15. Mai 2002 nicht anzunehmen. Es bedarf daher auch keiner abschließenden Klärung der unterschiedlichen Auffassungen des 5. Strafsenats und des 1. Strafsenats zum Zeitpunkt des Erfordernisses einer Verteidigerbestellung.
Unterschriften
Nack, Wahl, Schluckebier, Kolz, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2557562 |
NStZ 2004, 450 |
ZAP 2004, 402 |
StV 2004, 358 |