Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Kenntnis des Insolvenzgläubigers von den anspruchsbegründenden Tatsachen bzgl. der Entstehung der Insolvenzforderung. Entstehung einer Insolvenzforderung. Kenntnis des Gläubigers. Anspruchsbegründende Tatsachen
Leitsatz (redaktionell)
Für die Entstehung einer Insolvenzforderung reicht die Kenntnis des Insolvenzgläubigers von den anspruchsbegründenden Tatsachen aus. Unerheblich ist, ob die Forderung selbst schon entstanden oder fällig ist.
Normenkette
InsO § 38; ZPO § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 23. März 2011 wird auf Kosten der Gläubigerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 11.334,65 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Über das Vermögen des Schuldners wurde am 22. April 2009 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet, in dem er die Restschuldbefreiung beantragte. Am 29. April 2010 hob das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren auf und kündigte dem Schuldner die Erteilung der Restschuldbefreiung an. Wegen Forderungen auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge aus der Zeit vom 1. August bis zum 30. November 2007 setzte die Gläubigerin mit Bescheid vom 30. März 2010 Beiträge einschließlich Nebenforderungen in Höhe von insgesamt mehr als 11.000 EUR gegen den Schuldner fest. Aufgrund dieser Beitragsforderung hat die Gläubigerin am 26. Januar 2011 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners gestellt. Das Insolvenzgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 4. März 2011 als unzulässig zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihr Ziel der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners weiter.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 2
Die gemäß §§ 6, 7, 34 Abs. 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
Rz. 3
1.
Die von der Rechtsbeschwerdebegründung aufgeworfene Frage, ob Voraussetzung für die Entstehung einer Insolvenzforderung die Kenntnis des Gläubigers von dem seinem Anspruch zugrunde liegenden Sachverhalt und die rechtliche Bewertung desselben ist und ob von einer Insolvenzforderung erst ausgegangen werden kann, wenn der Sozialversicherungsträger einen Beitragsbescheid erlassen hat, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand schon vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist, mag sich eine Forderung des Gläubigers daraus auch erst nach Beginn des Insolvenzverfahrens ergeben (BGH, Urteil vom 6. November 1978 – VIII ZR 179/77, BGHZ 72, 263, 265 f; Beschluss vom 7. April 2005 – IX ZB 129/03, ZInsO 2005, 537, 538; vom 7. April 2005 – IX ZB 195/03, NZI 2005, 403, 404; Holzer in Kübler/Prütting/ Bork, InsO, Stand 8/06, § 38 Rn. 7; MünchKomm-InsO/Ehricke, 2. Aufl., § 38 Rn. 16; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 13. Aufl., § 38 Rn. 26). Nur die schuldrechtliche Grundlage des Anspruchs muss schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sein. Unerheblich ist, ob die Forderung selbst schon entstanden oder fällig ist. Entsprechend geht auch der Bundesfinanzhof davon aus, dass für die Frage, ob Steuerforderungen Insolvenzforderungen sind, entscheidend ist, ob die Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Auf die Frage, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden ist, kommt es dagegen nicht an (BFH ZIP 2008, 1780 Rn. 17 [BFH 01.04.2008 – X B 201/07] mwN).
Rz. 4
2.
Gemäß diesen Grundsätzen sind beide Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die Forderung der Gläubigerin schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 22. April 2009 entstanden ist. Dies entspricht der vom Beschwerdegericht zitierten Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, nach der Beitragsforderungen der Versicherungsträger entstehen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Voraussetzung für die Entstehung der Beitragspflicht war hier die Beschäftigung der polnischen Arbeitnehmer, die in dem Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2007 stattgefunden hat. Auf die Fälligkeit der von der Antragstellerin eingeforderten Beiträge kommt es nicht einmal sozialversicherungsrechtlich an (vgl. Segebrecht, jurisPK-SGB IV, 2. Aufl., § 22 Rn. 20; Kreikebohm, SGB IV, § 22 Rn. 3). Maßgeblich ist allein, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs eingetreten sind (Segebrecht, aaO Rn. 10). Zweifel, dass es sich bei den Ansprüchen der Antragstellerin um Insolvenzforderungen handelt, sind damit ausgeschlossen.
Fundstellen
Haufe-Index 2935043 |
DGVZ 2012, 80 |
NZI 2011, 953 |
NZS 2012, 301 |
ZVI 2011, 408 |