Entscheidungsstichwort (Thema)
Altenteilsvertrag. Heimunterbringung. Kostenbeteiligung des Altenteilspflichtigen. Freizeichnung
Leitsatz (redaktionell)
1. Können vereinbarte Leistungen aufgrund einer Heimunterbringung des Altenteilsberechtigten nicht mehr in natura erbracht werden, ist der Altenteilsverpflichtete grundsätzlich verpflichtet, sich in Höhe seiner ersparten Aufwendungen an den Kosten der Heimunterbringung zu beteiligen.
2. Eine den Altenteilsverpflichteten bei Heimunterbringung des Berechtigten freizeichnende vertragliche Vereinbarung stellt keinen unwirksamen Vertrag zu Lasten Dritter dar.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 328
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin werden der Beschluss des 9. Zivilsenats des OLG Düsseldorf v. 15.7.2002 und der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Kleve - Einzelrichterin - v. 24.5.2002 - soweit zum Nachteil der Antragstellerin ergangen - aufgehoben.
Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von RA Herfurth über den zuerkannten Umfang hinaus Prozesskostenhilfe für den Klageantrag gemäß Schriftsatz v. 3.4.2002 bewilligt.
Gründe
I.
Mit notariellem Vertrag v. 22.1.1972 verpflichtete sich die Antragstellerin, ihren Grundbesitz, bestehend aus einem Zweifamilienhaus und landwirtschaftlichen Flächen, auf ihren Sohn zu übertragen. Dieser räumte der Antragstellerin als Gegenleistung u. a. ein lebenslängliches "Altenteil" ein. Dazu gehört ein Wohnungsrecht an zwei Räumen im Erdgeschoss des Zweifamilienhauses mit einem Mitbenutzungsrecht am Bad, ein Beköstigungsrecht und ein Anspruch auf Erbringung sämtlicher häuslicher Arbeiten sowie eine Betreuung und Pflege in gesunden und kranken Tagen, "solange kein Krankenhausaufenthalt notwendig wird". Ferner verpflichtete sich der Übernehmer zur Zahlung einer monatlichen Leibrente. Die Antragsgegnerin, die Ehefrau des zwischenzeitlich verstorbenen Sohnes der Antragstellerin, übernahm die gesamtschuldnerische Mitverpflichtung hinsichtlich der Altenteilsleistungen.
Seit Dezember 1999 befindet sich die Antragstellerin wegen Altersdemenz in einem Altenheim, wo sie Heim- und Pflegeleistungen auf der Grundlage der Pflegestufe II erhält.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass ihr an Stelle der von der Antragsgegnerin nicht mehr zu erbringenden Sachleistungen ein Anspruch auf Herausgabe der nunmehr ersparten Aufwendungen zustehe. Diese errechnet sie unter Zugrundelegung der sich aus der Sachbezugsverordnung (v. 19.12.1994, BGBl. I, 3849) ergebenden Werte der Sachbezüge in der Sozialversicherung zzgl. der vereinbarten Leibrente mit insgesamt monatlich 982,13 EUR. Seit Januar 2002 zahlt die Antragsgegnerin diesen Betrag. Für den Zeitraum von Dezember 1999 bis Dezember 2001 beträgt der geltend gemachte Anspruch danach 24.553,25 EUR. Hierauf hat die Antragsgegnerin 3.183,61 EUR gezahlt. Den Differenzbetrag von 21.369,64 EUR nebst Zinsen möchte die Antragstellerin mit der Klage einfordern.
Das LG hat dem Prozesskostenhilfeantrag nur i. H. v. 5.137,50 EUR nebst Zinsen (Leibrente für Dezember 1999 bis Dezember 2001) stattgegeben. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihren Antrag, soweit ihm nicht entsprochen worden ist, weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Auffassung des Beschwerdegerichts, die beabsichtigte Klage biete hinsichtlich der auf die ersparten Aufwendungen bezogenen Forderung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO), hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Abgesehen davon, dass das Beschwerdegericht Prozesskostenhilfe schon deswegen hätte bewilligen müssen, weil es den Rechtsfragen eine Bedeutung zugemessen hat, die es zur Zulassung der Rechtsbeschwerde veranlasst hat (BGH, Beschl. v. 21.11.2002 - V ZB 40/02, MDR 2003, 477 = BGHReport 2003, 407), ist seine Auslegung des notariellen Vertrages v. 22.1.1972 dahin, dass der Übernehmer von den übernommenen Altenteilsleistungen mit Ausnahme der Leibrentenverpflichtung frei werden sollte, wenn die Sachleistungen nicht mehr erbracht werden konnten, weil die Antragstellerin dauerhaft in einem Pflegeheim unterzubringen war, rechtsfehlerhaft.
1. Der Wortlaut des Vertrages stützt die Auslegung des Beschwerdegerichts nicht. Das Beschwerdegericht erkennt selbst, dass eine Betreuungs- und Pflegeverpflichtung nur entfallen sollte, wenn und solange ein Krankenhausaufenthalt notwendig würde. Es nimmt weiter ohne Rechtsfehler an, dass ein dauernder Aufenthalt in einem Pflegeheim nicht mit einem Krankenhausaufenthalt gleichzusetzen ist. Damit ist der hier vorliegende Fall, dass die Erbringung von Sachleistungen deswegen nicht mehr in Betracht kommt, weil der Berechtigten Unterbringung, Beköstigung und Pflege in einem Pflege- und Altenheim zuteil wird, nicht geregelt.
2. Soweit das Beschwerdegericht meint, diese Lücke sei nach §§ 157, 133 BGB dahin zu schließen, dass in der Regelung zum Krankenhausaufenthalt ein genereller Wille der Parteien erkennbar werde, dass eine Zahlungspflicht nicht gewollt gewesen sei, soweit Pflegeleistungen objektiv unmöglich geworden seien, widerspricht dies dem Gebot einer interessegerechten Vertragsauslegung (vgl. BGH, Urt. v. 1.10.1999 - V ZR 168/98, MDR 1999, 1491 = WM 1999, 2513 [2514]; Urt. v. 21.9.2001 - V ZR 14/01, MDR 2002, 271 = BGHReport 2002, 214 = WM 2002, 598 [599], jeweils m. w. N.). Das Beschwerdegericht trägt nämlich dem aus der vertraglichen Regelung insgesamt zum Ausdruck gekommenen Willen der Parteien nicht hinreichend Rechnung, der Antragstellerin durch die Altenteilsrechte eine umfassende Altersversorgung zu gewähren. Wohnung, Beköstigung, häusliche Dienste, Pflege und Taschengeld (Leibrente) sind geschuldet. Das zeigt, dass die Antragstellerin nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verwiesen, sondern umfassend von der Familie versorgt werden sollte. Von der Interessenlage her weist der vorliegende Fall daher keine grundlegenden Unterschiede zu dem Fall auf, den der Senat mit Urteil v. 21.9.2001 (BGH, Urt. v. 21.9.2001 - V ZR 14/01, MDR 2002, 271 = BGHReport 2002, 214 = WM 2002, 598) entschieden hat. Mag hier auch kein Hof übertragen worden sein, aus dem die Altenteilsleistungen zu erwirtschaften waren, so liegt das Charakteristische hier wie dort darin, dass die Antragstellerin ihren Grundbesitz im Wege vorweggenommener Erbfolge auf ihren Sohn übertrug, um im Gegenzug wegen aller ihrer Grundbedürfnisse für den Lebensabend abgesichert zu sein. Dass hiervon die Betreuung und Pflege bei Krankenhausaufenthalten ausgenommen wurde, erklärt sich daraus, dass insoweit die Dienste des Krankenhauses zur Verfügung stehen und vermutlich - Feststellungen dazu fehlen allerdings - durch eine Versicherung gedeckt sind. Aus dieser auf den Einzelfall zugeschnittenen Regelung können generalisierende Aussagen nicht hergeleitet werden.
Soweit der Senat in der Entscheidung v. 21.9.2001 (BGH, Urt. v. 21.9.2001 - V ZR 14/01, MDR 2002, 271 = BGHReport 2002, 214 = WM 2002, 598 [599]) seine Bewertung auch darauf gestützt hat, dass eine Regelung, die den Altenteilsverpflichteten frei werden lässt, wenn der Berechtigte auf Dauer in einem Pflegeheim untergebracht wird, mit Rücksicht auf die Unzulässigkeit eines Vertrages zu Lasten Dritter leer liefe, bedarf dies der Richtigstellung. Ein Vertrag zu Lasten Dritten im Rechtssinne steht hier nicht in Rede. Der Vertrag - wie ihn das Beschwerdegericht auslegt - begründet nicht Verpflichtungen Dritter, also des Sozialhilfeträgers. Er hätte aber wirtschaftlich die Folge, dass der Sozialhilfeträger, soweit auch gesetzliche Unterhaltsansprüche nicht gegeben oder nicht durchsetzbar sind, einspringen müsste. Ein solches Ergebnis - so der Kern der früheren Senatsentscheidung - entsprach nicht dem geäußerten Willen der damaligen Vertragsparteien. Das Gleiche gilt, wie dargelegt, im vorliegenden Fall.
Die Vertragslücke ist daher in der Weise zu schließen, dass sich - ursprünglich neben dem Sohn der Antragstellerin - die mithaftende Antragsgegnerin hinsichtlich der Leistungen, die infolge der Heimunterbringung nicht mehr in Natur erbracht werden können, in Höhe der ersparten Aufwendungen an den Pflegekosten zu beteiligen hat (vgl. BGH, Urt. v. 21.9.2001 - V ZR 14/01, MDR 2002, 271 = BGHReport 2002, 214 = WM 2002, 598 [599]; Beschl. v. 21.11.2002 - V ZB 40/02, MDR 2003, 477 = BGHReport 2003, 407). Darin liegt - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts - keine Erweiterung des Vertragsgegenstandes über die von den Parteien eingegangene Bindung hinaus. An die Stelle der nicht mehr zu erbringenden Sachleistungen treten Zahlungsverpflichtungen, die den Wert der Sachleistungen nicht nur nicht überschreiten, vielmehr nur den Wert der ersparten Aufwendungen für die an sich geschuldeten Sachleistungen abschöpfen.
3. Über die Höhe der ersparten Beträge braucht im Prozesskostenhilfeverfahren nicht abschließend Stellung genommen zu werden. Die Festlegung obliegt dem Tatrichter. Von vornherein unschlüssig sind die geltend gemachten Ansätze nicht. Allerdings können auch hinsichtlich des Wohnungsrechts nur die tatsächlich ersparten Aufwendungen, etwa für Wasser, Strom und Heizung sowie für in zeitlichen Abständen anfallende Maßnahmen zur Unterhaltung der Wohnung, verlangt werden, nicht hingegen der Sachwert des Wohnungsrechts selbst. Hier sind Abzüge von dem bisher geltend gemachten Betrag denkbar, die von dem Prozessgericht im Einzelnen festzulegen sind, die aber im gegenwärtigen Verfahrensstadium einer Bewilligung von Prozesskosten nicht entgegenstehen, zumal zweifelhaft ist, ob hierdurch eine Gebührenstufe erreicht wird (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl., § 114 Rz. 23 a).
Fundstellen
Haufe-Index 892982 |
BGHR 2004, 716 |
FamRZ 2004, 690 |
NJW-RR 2003, 577 |
DNotI-Report 2003, 119 |
MittBayNot 2004, 180 |
ZEV 2003, 211 |
NotBZ 2003, 314 |
RNotZ 2003, 450 |
ZErb 2003, 259 |