Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung im Steuerstrafverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Verfahrensdauer zwischen Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens bis zum Urteilserlass von nahezu sieben Jahren und sieben Monaten ist nicht mehr zu rechtfertigen.
2. Vorliegend reicht es zur Kompensation der mit der Verfahrensverzögerung verbundenen Belastung der Angeklagten aus, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ausdrücklich festzustellen. Das Landgericht hat die Dauer des Verfahrens schon bei der Strafzumessung in besonderem Maße ausdrücklich zugunsten der Angeklagten berücksichtigt und eine angesichts des verwirklichten Unrechts äußert milde Gesamtgeldstrafe verhängt.
Normenkette
StGB § 51; MRK Art. 6 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 04.05.2011) |
Tenor
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 4. Mai 2011 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass festgestellt wird, dass das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Die Revision ist i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung weder zum Schuldspruch noch zum Strafausspruch Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat und auch die Verfahrensbeanstandungen keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler aufgezeigt haben.
Rz. 2
Zutreffend ist allerdings die Einwendung der Revision, es habe eine rechtsstaatswidrige Verzögerung des Verfahrens vorgelegen. Die „hohe Komplexität des Sachverhalts”, der „ungewöhnlich hohe Schwierigkeitsgrad” der Tatvorwürfe, hinsichtlich derer es nicht zu einer Verurteilung kam, und die weiteren vom Landgericht genannten Besonderheiten des Verfahrensablaufs können letztlich auch bei einer Gesamtbetrachtung die vom Landgericht selbst als „ungewöhnlich lange Zeit” (UA S. 43) bezeichnete Verfahrensdauer zwischen Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens bis zum Urteilserlass von nahezu sieben Jahren und sieben Monaten nicht mehr rechtfertigen.
Rz. 3
Vorliegend reicht es aber zur Kompensation der mit der Verfahrensverzögerung verbundenen Belastung der Angeklagten aus, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ausdrücklich festzustellen. Das Landgericht hat die Dauer des Verfahrens schon bei der Strafzumessung in besonderem Maße ausdrücklich zugunsten der Angeklagten berücksichtigt und eine angesichts des verwirklichten Unrechts äußert milde Gesamtgeldstrafe verhängt. Einer weitergehenden Kompensation bedarf es daher – worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat – nicht, weil eine besondere Belastung der nicht inhaftierten Angeklagten gerade durch die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht ersichtlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2008 – 2 StR 467/07, NStZ 2009, 287; Beschluss vom 5. August 2009 – 1 StR 363/09, NStZ-RR 2009, 339; Beschluss vom 2. September 2010 – 2 StR 297/10; Beschluss vom 15. April 2009 – 3 StR 128/09, NStZ-RR 2009, 248). Den Umstand, dass die Angeklagte – zumal im Hinblick auf die schweren Tatvorwürfe, von denen sie freigesprochen worden ist – durch die lange Gesamtverfahrensdauer besonders belastet war, hat das Landgericht ausdrücklich strafmildernd berücksichtigt.
Unterschriften
Nack, Wahl, Elf, Graf, Jäger
Fundstellen
BFH/NV 2012, 911 |
HFR 2012, 996 |
NStZ 2012, 470 |
NStZ 2012, 6 |
AO-StB 2013, 26 |
NZWiSt 2012, 157 |