Entscheidungsstichwort (Thema)
versuchte Nötigung
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stendal vom 4. März 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Gardelegen – Strafrichter – verwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht, daß das Landgericht seine sachliche Zuständigkeit willkürlich angenommen und ihn damit seinem gesetzlichen Richter entzogen hat (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). § 269 StPO steht bei willkürlicher Annahme der Zuständigkeit der Berücksichtigung dieses Verfahrensmangels nicht entgegen (BGHSt 38, 212; 40, 120, 122).
Die willkürliche Annahme seiner Zuständigkeit durch das Landgericht ergibt sich aus folgendem:
Nach den Feststellungen wurde im Jahre 1995 über das Vermögen des Angeklagten durch Beschluß des Amtsgerichts Stendal das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet. Im Sommer 1998 stand die Räumung seines landwirtschaftlichen Anwesens unmittelbar bevor, was den Angeklagten zu zahlreichen schriftlichen Eingaben und Anrufen, u.a. im Justizministerium des Landes Sachsen-Anhalt, veranlaßte. Bei diesen Gelegenheiten beschwerte er sich wiederholt über den Richter am Amtsgericht Stendal, der – nach seiner Auffassung grob rechtsfehlerhaft – die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens beschlossen hatte. Anläßlich eines solchen Telefonats äußerte der Angeklagte in seiner Erregung gegenüber einem Referatsleiter des Justizministeriums, daß „wenn in seiner Sache nicht bis Ende September alles zu seinen Gunsten geregelt sei, er sich nicht mehr für sein Verhalten verantwortlich fühle”. Gleichzeitig drohte er für diesen Fall, den Richter am Amtsgericht Stendal „einzusperren, wegzufangen, plattzumachen oder zu erschießen”.
Aufgrund dieser telefonischen Äußerungen hatte die Staatsanwaltschaft Anklage zum Amtsgericht Gardelegen – Strafrichter – wegen des Verdachts einer in Tateinheit mit Bedrohung begangenen versuchten Nötigung erhoben. Der Strafrichter legte die Akten gemäß § 209 Abs. 2 StPO über die Staatsanwaltschaft der Strafkammer beim Landgericht Stendal zur Übernahme vor, weil ihm angesichts der Bedeutung der Sache eine Verhandlung vor dem Landgericht angebracht erschien. Obwohl die Staatsanwaltschaft in ihrer Übersendungsverfügung ausdrücklich und zutreffend darauf hinwies, daß eine besondere Bedeutung nicht vorlag, ließ die Strafkammer des Landgerichts die Anklage ohne Begründung zur Hauptverhandlung vor sich zu.
Dieses Verfahren war rechtsfehlerhaft. Daß die Strafgewalt des Strafrichters von bis zu vier Jahren Freiheitsstrafe unter allen denkbaren Umständen ausreicht, bedarf keiner näheren Ausführungen. Ebenso ist eine besondere Bedeutung des Falles gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG ersichtlich nicht gegeben (zu den Voraussetzungen vgl. Kissel in KK StPO 4. Aufl. § 24 GVG Rdn. 5 ff. m. w. N.); eine solche wurde auch von der Staatsanwaltschaft nicht nur nicht behauptet, sondern ausdrücklich verneint. Für die Annahme des Landgerichts, es sei hier zuständig, fehlte somit jeder sachliche Grund. Das Landgericht entfernte sich damit so weit von den gesetzlichen Maßstäben, daß seine Entscheidung unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar war; damit handelte es objektiv willkürlich und entzog dadurch den Angeklagten seinem gesetzlichen Richter (BGH aaO; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 16 GVG Rdn. 6 mit zahlreichen Nachw. aus der Rechtsprechung).
Das Urteil kann daher keinen Bestand haben. Der Senat verweist die Sache gemäß § 355 StPO an den zuständigen Strafrichter beim Amtsgericht Gardelegen.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
NStZ 1999, 578 |
wistra 1999, 428 |
StV 1999, 585 |