Verfahrensgang
LG Kleve (Urteil vom 03.07.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 3. Juli 2002 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
- soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1. bis II. 6. sowie II. 10. der Urteilsgründe verurteilt und in den Fällen V. 2. bis V. 4. freigesprochen worden ist,
- im gesamten Strafausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Duisburg zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im übrigen wegen Bankrotts in sieben Fällen, Konkursverschleppung in zwei Fällen und Betruges in vierzehn Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat weitgehend Erfolg.
1. Die Schuldsprüche wegen vorsätzlicher Unterlassung der Konkursantragstellung (§§ 84 Abs. 1 Nr. 2, 64 Abs. 1 Satz 1 und 2 GmbHG aF) in den Fällen II. 1. und II. 2. der Urteilsgründe halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat weder die Überschuldung noch die Zahlungsunfähigkeit der beiden vom Angeklagten geführten Gesellschaften (G … GmbH und E. GmbH) rechtsfehlerfrei festgestellt.
Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen die Schulden nicht mehr deckt. Um sie zu ermitteln, bedarf es eines Überschuldungsstatus in Form einer Vermögensbilanz, die über die tatsächlichen Werte des Gesellschaftsvermögens Auskunft gibt (vgl. BGHR StGB § 283 Abs. 1 Überschuldung 1 und 2; Tiedemann in LK 11. Aufl. vor § 283 Rdn. 147 ff.). Ohne Bedeutung sind hingegen beispielsweise die steuerrechtlichen Abschreibungswerte (vgl. § 254 HGB). Die vom Landgericht zum Nachweis der Überschuldung der beiden Gesellschaften herangezogenen und in das Urteil eingestellten Jahresbilanzen, die der Sachverständige H. nachträglich erstellt hat, lassen nicht erkennen, nach welchen Maßstäben die dort aufgeführten Wirtschaftsgüter bewertet worden sind. Auch die sonstigen Urteilsgründe enthalten hierzu keine Erläuterung. Die Überschuldung ist daher nicht hinreichend belegt.
Die Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel durch eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten sowie der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder herbeizuschaffenden Mittel festzustellen (BGHR GmbHG § 64 Abs. 1 Zahlungsunfähigkeit 1). Eine derartige Gegenüberstellung enthält das Urteil nicht. Allerdings können auch wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen wie Häufigkeit der Wechsel- und Scheckproteste oder fruchtlose Pfändungen den sicheren Schluß auf den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit erlauben (BGHR aaO). Derartige Beweisanzeichen teilt das Urteil zwar pauschal mit. Die hierzu getroffenen Feststellungen sind jedoch so allgemein gehalten, daß die Zeitpunkte, zu denen die beiden Gesellschaften tatsächlich zahlungsunfähig wurden und die Frist nach § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG aF jeweils zu laufen begann, nicht erkennbar werden. Bei der E. GmbH, für die das Landgericht Zahlungsunfähigkeit ab dem 31. Dezember 1995 annimmt, kommt hinzu, daß die vom Sachverständigen H. er- stellten Bilanzen für das Geschäftsjahr 1995 einen Jahresüberschuß von 11.510,18 DM und für das Jahr 1996 von 55.566,22 DM ausweisen (§ 266 Abs. 3 A. V. HGB). Hat danach aber in beiden Jahren die Summe der Erträge die Summe der Aufwendungen überstiegen (vgl. Beater in MünchKomm-HGB § 266 Rdn. 67), bedarf der Nachweis von Zahlungsunfähigkeit durch wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen besonders eingehender Darlegung.
2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Bankrotts in sieben Fällen im Fall II. 3. der Urteilsgründe kann ebenfalls keinen Bestand haben.
a) Die beiden Schuldsprüche wegen unterlassener bzw. „unterbliebener” Führung der Handelsbücher (§ 283 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) werden von den hierzu getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht getragen.
Hinsichtlich der G. GmbH teilt das Landgericht lediglich mit, daß in den Geschäftsjahren 1995, 1996 und 1997 nur noch eine „unvollständige Rechnungslegung” erfolgte (UA S. 10). Bei der E. GmbH beschränkt es sich auf die Feststellung, daß Sach- und Personalkonten nur von September 1995 bis Juli 1996 geführt worden sind und Buchhaltungsbelege lediglich für den Zeitraum von Januar bis Juni 1996 vorliegen. Damit fehlen hinreichende tatsächliche Angaben zu den Mängeln der Buchführung, so daß nicht prüfbar ist, ob die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Insbesondere ist die Wertung des Landgerichts nicht nachvollziehbar, die unvollständige bzw. „unterbliebene” Buchführung habe die Übersicht über den Vermögensstand der beiden Gesellschaften unmöglich gemacht, zumal der Sachverständige H. Jahresbilanzen der G. GmbH für die Geschäftsjahre 1994 und 1995 sowie der E. GmbH für die Geschäftsjahre 1995 und 1996 nachträglich erstel- len konnte.
b) Soweit der Angeklagte es als Geschäftsführer der G. GmbH unterlassen hat, für die rechtzeitige Erstellung der Jahresbilanz 1994 Sorge zu tragen, kommt eine Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b StGB nach den getroffenen Feststellungen nicht in Betracht.
Nach dieser Vorschrift ist die verspätete Bilanzierung nur dann strafbar, wenn zu dem Zeitpunkt, in dem die Bilanz spätestens zu erstellen war, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit oder zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit vorlag. Gemäß § 242, § 264 Abs. 1 Satz 3 HGB, § 267 Abs. 1 HGB aF hätte die tatsächlich erst im Oktober 1996 erstellte Bilanz für das Geschäftsjahr 1994 spätestens zum 30. Juni 1995 vorliegen müssen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die G. GmbH aber nach den Feststellungen des Landgerichts noch nicht in der Krise. Vielmehr drohte die Zahlungsunfähigkeit erst „Anfang 1996” (UA S. 5). Der Angeklagte kann sich danach bezüglich der Bilanz für 1994 allenfalls nach § 283 b Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben (vgl. BGH NStZ 1998, 192, 193). Eine entsprechende Abänderung des Schuldspruchs kommt aber schon deswegen nicht in Betracht, weil der erforderliche tatsächliche Zusammenhang zwischen der verspäteten Bilanzerstellung und dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Gesellschaft nicht festgestellt ist (vgl. BGHSt 28, 231, 233 f.; BGHR StGB § 283 b Krise 1).
c) Soweit das Landgericht den Angeklagten in vier weiteren Fällen des Bankrotts nach § 283 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b i. V. m. § 14 StGB schuldig gesprochen hat, weil die von ihm geführten Gesellschaften für die Geschäftsjahre 1995 und 1996 keine Bilanz erstellt haben, fehlt es an der Feststellung, daß den Gesellschaften die Erfüllung ihrer Bilanzierungspflichten möglich gewesen wäre.
§ 283 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b StGB ist ein echtes Unterlassungsdelikt; eine Strafbarkeit entfällt daher, wenn der Täter aus fachlichen oder finanziellen Gründen zur Erstellung einer Bilanz nicht in der Lage war (vgl. BGHSt 28, 231, 233; BGH NStZ 1992, 182; 1998, 192, 193). Nach den Feststellungen war die geplante Erledigung der Buchhaltungsaufgaben für beide Gesellschaften „im eigenen Haus” nicht möglich (UA S. 10); daß der Angeklagte selbst in der Lage gewesen wäre, eine Bilanz aufzustellen, liegt im Hinblick auf seinen Werdegang fern. Das Landgericht hätte daher im Hinblick auf die bei den Konkursdelikten festgestellten Zahlungsschwierigkeiten prüfen müssen, ob die beiden Gesellschaften im maßgeblichen Zeitraum noch über die finanziellen Mittel verfügten, einen Steuerberater mit der Erstellung der Bilanz zu beauftragen.
3. Im Fall II. 4. der Urteilsgründe tragen die Feststellungen den Schuldspruch wegen vollendeten Betruges nicht.
Danach veranlaßte der Angeklagte den Zeugen Gr. durch die wiederholte Zusicherung, der Zeuge werde sein Gehalt ausgezahlt bekommen, weiter für die G. GmbH bzw. die E. GmbH als LKW-Fahrer tätig zu sein, obwohl er – der Angeklagte – wußte, daß die von ihm geführten Gesellschaften die monatlichen Gehälter bei Fälligwerden voraussichtlich nicht würden zahlen können. Zwar waren bereits ab Mitte 1996 Gehaltsschecks zum Teil nicht mehr eingelöst worden. Jedoch wurden bis einschließlich Dezember 1996 die Gehaltsforderungen des Zeugen letztlich in vollem Umfang beglichen; erst das Gehalt für die Monate Januar bis März 1997 wurde nicht mehr bezahlt.
Bei dieser Sachlage kommt eine Verurteilung wegen vollendeten Betruges im Hinblick auf die vom Zeugen von Januar bis März 1997 erbrachte Arbeitsleistung (vgl. BGH NStZ 2001, 258) nur in Betracht, wenn der Angeklagte diesem noch in zeitlicher Nähe zum Jahreswechsel Zusicherungen gemacht hätte. Das hat das Landgericht aber nicht festgestellt. In der bloßen Weiterbeschäftigung des Zeugen in den Monaten Januar bis März 1997 liegt noch kein Vorspiegeln der Zahlungsfähigkeit durch schlüssiges Verhalten, zumal der Zeuge über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gesellschaften unterrichtet war.
4. Auch in den Fällen II. 5., II. 6. und II. 10. der Urteilsgründe begegnet die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Das Landgericht wertet es als Betrug, daß der Angeklagte in diesen Fällen durch die Vereinbarung von Ratenzahlung bzw. durch die Annahme von Wechseln Gläubiger der von ihm geführten Gesellschaften von weitergehenden Maßnahmen zur Realisierung ihrer titulierten oder verbrieften Forderungen abhielt, obwohl er wußte, daß die Gesellschaften die vereinbarten Raten voraussichtlich nicht würden zahlen bzw. die Wechselverbindlichkeiten zum Fälligkeitstermin nicht würden einlösen können. Den Vermögensschaden sieht die Kammer darin, daß die Gläubiger anderenfalls „möglicherweise” einen größeren Teil ihrer Forderungen hätten realisieren können, weil die Gesellschaften „aufgrund von Zahlungseingängen vorübergehend noch über liquide Mittel” verfügten (UA S. 14).
Dem kann nicht gefolgt werden. Die Stundung einer bestehenden Forderung bzw. die Rücknahme eines Zwangsvollstreckungsantrags begründet nur dann einen Vermögensschaden, wenn dadurch eine Verschlechterung der konkret gegebenen Vollstreckungsaussicht eintritt (RGSt 67, 200, 201 f.; OLG Düsseldorf NJW 1994, 3366, 3367). Das ist nicht der Fall, wenn der Schuldner schon im Zeitpunkt der Stundung kein pfändbares Vermögen mehr hat (OLG Stuttgart NJW 1963, 825, 826). Das Landgericht hätte deshalb für jeden Einzelfall feststellen müssen, ob die jeweilige Gesellschaft bei Abschluß der Ratenzahlungsvereinbarung bzw. der Wechselannahme noch über pfändbare Vermögenswerte verfügte. Allein die Möglichkeit, daß die Gesellschaften in der Folge (vorübergehend) wieder pfändbares Vermögen erlangen könnten, begründet keinen durch die Stundungen bewirkten Vermögensschaden, zumal demgegenüber auch zu beachten ist, daß der Angeklagte den anläßlich der Stundungen vereinbarten Ratenzahlungen zumindest teilweise nachgekommen ist (im Fall II. 10. immerhin in Höhe von 12.500 DM).
5. Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand. Soweit das Landgericht in den Fällen II. 7. und II. 9. der Urteilsgründe Einzelstrafen von unter sechs Monaten verhängt hat, können diese schon deswegen nicht aufrechterhalten werden, weil die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB nicht dargelegt sind. Eine Anwendung dieser Vorschrift lag hier nicht derart fern, daß es ihrer Erörterung in den Urteilsgründen nicht bedurft hätte. Der Senat hebt auch die danach noch verbleibenden Einzelstrafen auf, um dem neuen Tatrichter eine insgesamt in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen.
6. Die Freisprüche in den Fällen V. 2. bis V. 4. der Urteilsgründe können nicht bestehen bleiben.
Auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung geht das Landgericht zwar zutreffend davon aus, daß die laut Anklage tatmehrheitlich begangenen weiteren Betrugstaten zum Nachteil des Zeugen Gr. bzw. der Firma V. als mitbestrafte Nachtaten anzusehen wären und die dem Angeklagten als selbständige Handlungen zur Last gelegten weiteren Betrugstaten zum Nachteil der J. GmbH jeweils mit einer der abgeurteilten Taten zum Nachteil dieses Unternehmens (Fälle II. 5. a und b der Urteilsgründe) eine Tat im Sinne natürlicher Handlungseinheit bildeten. Dies rechtfertigt den Teilfreispruch indessen nicht.
Allerdings ist ein Angeklagter, der nicht wegen aller Delikte verurteilt wird, die er der Anklage zufolge in Tatmehrheit begangen haben soll, insoweit freizusprechen, um Anklage und Eröffnungsbeschluß zu erschöpfen; dies gilt auch dann, wenn das Gericht das Konkurrenzverhältnis anders beurteilt und von Tateinheit ausgeht (st. Rspr., vgl. BGHSt 44, 196, 202). Voraussetzung ist jedoch, daß das Gericht die als tatmehrheitlich angeklagte „Tat” nicht für erwiesen hält (BGHSt aaO; BGHR StPO § 260 Abs. 1 Teilfreispruch 2). So verhält es sich hier gerade nicht: Das Landgericht hat den Angeklagten lediglich deshalb freigesprochen, weil die fraglichen Betrugstaten nach seiner rechtlichen Würdigung nicht Gegenstand eines selbständigen Schuld- und Strafausspruchs sein konnten. Unter diesen Umständen ist für einen Teilfreispruch kein Raum (vgl. auch BGH NStZ 1994, 547, 548; BGH bei Becker NStZ-RR 2002, 72 Nr. 26; BGH, Beschl. vom 26. Juni 2002 – 3 StR 176/02). Das Verschlechterungsverbot steht der Aufhebung des Teilfreispruchs nicht entgegen.
7. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO Gebrauch und verweist die Sache an die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Duisburg zurück.
Unterschriften
Tolksdorf, Miebach, Winkler, Pfister, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 2558962 |
KTS 2003, 579 |
NStZ 2003, 546 |
wistra 2003, 232 |
JZ 2003, 804 |
ZInsO 2003, 519 |
StV 2004, 317 |