Entscheidungsstichwort (Thema)
unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführung einer Schußwaffe
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 07.06.1996) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Juni 1996 wird verworfen.
2. Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Von Rechts wegen
Tatbestand
I.1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung des Urteils (der Einzelstrafen aus dem Urteil) des Landgerichts Köln vom 3. November 1995 nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und die im Urteil des Landgerichts Köln vom 3. November 1995 angeordnete Einziehung (von 16,78 g Heroin, einer Schußwaffe Star SA Modell 30 M mit 15 Patronen und Magazin) aufrechterhalten.
Diese Entscheidung greift der Angeklagte mit seiner Revision an.
Er macht vor allem geltend, das Verfahren sei einzustellen, soweit es den Vorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln betreffe, weil durch das Urteil des Landgerichts Köln vom 3. November 1995 – AZ: 151-150/95 – insoweit Strafklageverbrauch eingetreten sei.
Mit der Verfahrensrüge beanstandet die Revision darüber hinaus die Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines psychiatrischen sowie eines hirnphysiologischen Gutachtens.
2. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg, die Strafklage ist nicht verbraucht.
Dem angefochtenen Urteil liegt folgendes Geschehen zugrunde:
Anfang Januar 1995 erhielt der Angeklagte von einem gewissen A. 7 kg Heroin zur Aufbewahrung und Vermittlung an einen Käufer. Er brachte A. mit Yi. zusammen, der ihnen 500 g zum Preise von 22.000 DM abkaufte. Die verbliebenen 6,5 kg bot A. dem Angeklagten zum Preise von 30.000 DM pro kg an. In Anwesenheit von A. nahm der Angeklagte etwa 20 g Heroin an sich und teilte es in vier Portionen zu etwa 5 g auf. Die vier Päckchen bewahrte er als nicht zum Kleinverkauf bestimmte Proben in einem Pkw auf, der auf seinen Vater zugelassen war. Als A. Köln verließ, wurden die restlichen etwa 6.500 g Heroin im Kofferraum eines abgestellten, auf den Bruder des Angeklagten zugelassenen Pkw aufbewahrt, die Schlüssel zu diesem Pkw erhielt A.. In der Nacht des 4. Februar entwendete S. das Heroin aus dem Pkw. Nachdem A. einen Tag später das Rauschgift vom Angeklagten zurückverlangt hatte, holte es dieser am 7. Februar 1995 zusammen mit zwei anderen gewaltsam von S. zurück und bewahrte es in der Wohnung des K. zum Zwecke der späteren Veräußerung auf. Am 9. Februar 1995 nahm er Verbindung zum Rauschgifthändler P. auf. Bei einem Treffen mit diesem am 10. Februar 1995 wurde er festgenommen.
In dem Verfahren des Landgerichts Köln – 151-150/95 – war dem Angeklagten – neben anderen, nicht Betäubungsmittel betreffenden Delikten – zur Last gelegt worden, am 10. Februar 1995 in Köln Heroin an bisher unbekannte Straßendealer, in einem Fall 10 g zum Preis von 600 DM an P. verkauft und in seinem Pkw 16,78 g Heroin, die er bereits in vier sogenannten Heroinbomben zu jeweils 4–5 g abgepackt hatte, aufbewahrt zu haben. Das Landgericht Köln hat ihn insoweit wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (außerdem wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz, Urkundenfälschung und Verstoßes gegen das Waffengesetz) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Verurteilung nach dem Betäubungsmittelgesetz stützte sich seinerzeit im wesentlichen auf folgende Feststellungen:
Am 8. Februar 1995 erhielt der Angeklagte von einem Türken Ab. eine Plastiktüte ausgehändigt, in der sich Gold befinden sollte, das Ab. als Pfand für Spielschulden in Höhe von 1.500 DM hinterlegen wollte. Später vermutete der Angeklagte, daß sich in der Tüte möglicherweise Heroin befand. Er verschaffte sich am 9. Februar durch eine Befragung des P. insoweit Gewißheit. Als er P. am 10. Februar 1995 erneut auf der Straße traf, wurden beide verhaftet und die vier Beutel mit Heroin von der Polizei im Pkw gefunden.
3. Das Landgericht hat nunmehr festgestellt, daß dieses Rauschgift mit den etwa 20 g Heroingemisch identisch ist, das der Angeklagte als Probe von A. erhalten hatte.
Es hat den Sachverhalt, der dem Urteil des Landgerichts Köln vom 3. November 1995 zugrundeliegt, zwar als Teil der materiell-rechtlichen Tat (Bewertungseinheit) angesehen, die (auch) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sei, Strafklageverbrauch aber deshalb verneint, weil „die rechtskräftige Aburteilung nur eines Teilaktes einer vom (früheren) Richter nicht als solche angesehenen Bewertungseinheit die Strafklage hinsichtlich weiterer Teilakte dieser vom neuen Richter angenommenen Bewertungseinheit” nicht verbrauche (UA S. 30/31).
Entscheidungsgründe
II. Dem Landgericht ist im Ergebnis insoweit zuzustimmen, als es angenommen hat, daß das Urteil des Landgerichts Köln vom 3. November 1995 einer Verurteilung des Angeklagten wegen Handeltreibens mit etwa 6,5 kg Heroin, die er sich durch das gewaltsame Vorgehen gegen S. beschaffte, nicht entgegensteht.
1. Durch das Verbot des Art. 103 Abs. 3 GG soll der Bürger davor geschützt werden, wegen einer Tat, derentwegen er schon zur Verantwortung gezogen worden ist, nochmals in einem neuen Verfahren verfolgt zu werden. Tat im Sinne dieses Grundsatzes ist der prozessuale Gegenstand der Urteilsfindung im Sinne von § 264 StPO. Er umfaßt nicht nur den von der zugelassenen Anklage umschriebenen Vorgang, sondern auch das gesamte Verhalten eines Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens eine Einheit darstellt, deren Aburteilung in getrennten Verfahren zu einer unnatürlichen Aufspaltung eines zusammengehörenden Geschehens führen würde (vgl. BGHSt 13, 21, 26; 23, 141, 145; 23, 270, 273; 29, 288, 293; 32, 215 f; 35, 60, 61 f). Da dieser Begriff der prozessualen Tat eine gewisse Unschärfe aufweist, ist es geboten, die Lösung im Einzelfall auf ihre Vereinbarkeit mit anderen verfahrensrechtlichen Gestaltungen, dem Gerechtigkeitsgedanken und dem Gedanken des Vertrauensschutzes zu überprüfen (vgl. BGHSt 35, 14, 19).
In Anwendung dieser Grundsätze läßt sich der vom Landgericht festgestellte Sachverhalt unter Einschluß des Geschehens, das Gegenstand des Urteils des Landgerichts Köln vom 3. November 1995 ist, nicht als ein einheitlicher Lebensvorgang begreifen, dessen Aburteilung in getrennten Verfahren nicht zulässig wäre.
2. Fraglich ist allerdings, ob das Gesamtgeschehen von der Übernahme der 7 kg Heroin bis zur Verhaftung des Angeklagten dann als eine Tat im Sinne von § 264 StPO anzusehen wäre, wenn es sich materiell-rechtlich als eine Handlung im Sinne einer Bewertungseinheit des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln darstellen würde. Sachverhalte, welche sachlich-rechtlich eine Handlung darstellen, wurden in der Rechtsprechung in der Regel zugleich als einheitliche Tat im prozessualen Sinne betrachtet (vgl. etwa BGHSt 26, 284, 285). Doch galt das nie ausnahmslos. So verbrauchte die Aburteilung eines Einzelaktes einer fortgesetzten Handlung nicht die Strafklage für den Rest dieser – einheitlichen – Handlung (st. Rspr. vgl. BGH MDR 1985, 423 f; BGHR StPO § 264 Abs. 1 Strafklageverbrauch 1, 4). Der Freispruch vom Vorwurf einer fortgesetzten Tat erstreckte sich nur auf diejenigen Einzelakte, die Gegenstand der Urteilsfindung waren, nicht hingegen auf das fortgesetzte Gesamtgeschehen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 43. Aufl. Einl. Rdn. 175 m.w.N.). Die Aburteilung eines Organisationsdelikts (§§ 129, 129 a StGB) hindert nicht die spätere Ahndung schwerer Straftaten, die der Täter in Verfolgung der Ziele dieser Organisation begangen hat (BGHSt 29, 288 f.). Die Aburteilung von Dauerdelikten wie dem verbotenen Waffenbesitz steht der Bestrafung von schweren Taten, welche mit dem verbotenen Gegenstand begangen werden, ebenfalls nicht entgegen (BGHSt 36, 151 f.).
Diese einschränkende Rechtsprechung beruht auf der Erkenntnis, daß materiell-rechtliche Tateinheit und prozessuale Tatidentität nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden können, weil sie verschiedene Funktionen erfüllen. Die sachlich-rechtlichen Regelungen des § 52 StGB dienen als Voraussetzung für ein funktionierendes Strafrahmensystem (BVerfGE 56, 22 ff.; s.a. Werle NJW 1980, 2671, 2675). Der prozessuale Tatbegriff ist das Instrument, durch den der Anklagevorwurf umrissen und damit der Lebensvorgang bestimmt wird, mit dem sich das Gericht zu befassen hat. Ob dieser Lebensvorgang Handlungen des Täters umfaßt, die in rechtlicher Wertung tateinheitlich begangen sind, kann erst am Ende der Hauptverhandlung im Urteil festgestellt werden; zur Ermittlung des Gegenstandes der Urteilsfindung ist dieser Maßstab weniger geeignet. Der prozessuale Tatbegriff ist wesentlich vorrechtlicher Art (vgl. Rieß NStZ 1981, 74 f.).
Daraus ergeben sich auch Folgerungen für Handlungsabläufe, welche lediglich durch das rechtliche Band einer Bewertungseinheit miteinander verknüpft sind. Der Begriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ist sehr weit. Er umfaßt von der Anbahnung des Geschäfts bis zur finanziellen Abwicklung nach Art und Bedeutung höchst unterschiedliche, zudem zeitlich und örtlich vielfach weit auseinanderfallende Betätigungen. Diese werden in rechtlicher Bewertung allein durch das subjektive Element des Handlungszwecks, nämlich der auf Güterumsatz gerichteten Zielsetzung, zusammengehalten. Sie lassen sich hingegen häufig nicht als einheitlicher Lebensvorgang begreifen, und die getrennte Aburteilung einzelner Betätigungen erweist sich nicht als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Geschehens.
3. Der Senat neigt zu der Auffassung, daß – wie für die fortgesetzte Handlung und für Organisations- und Dauerdelikte – Grenzen des prozessualen Tatbegriffs auch bei rechtlichen Bewertungseinheiten gelten. Hierin sieht er sich bestärkt durch die Erwägung, daß eine uferlose Ausdehnung der Kognitionspflicht des Tatrichters dessen Leistungsfähigkeit übersteigen müßte; dieser wäre gezwungen, um einem ungewollten Verbrauch der Strafklage vorzubeugen, das ganze Leben des Angeklagten lückenlos zu durchleuchten (Erb GA 1994, 265, 267). Eine derartige Ausdehnung der Kognitionspflicht würde auch zu einer den Grundsätzen des Strafverfahrens widersprechenden Verlagerung der Ermittlungs- und Aufklärungstätigkeit von der Staatsanwaltschaft auf die Gerichte im Rahmen der Hauptverhandlung führen. Die auch dem Schütze des Angeklagten dienenden Vorschriften der §§ 200 ff. StPO würden insoweit praktisch außer Kraft gesetzt. Die Hürde des § 203 StPO, die eine Untersuchung des gegen den Angeklagten gerichteten Vorwurfs durch das Gericht im Rahmen eines Hauptverfahrens nur zuläßt, wenn ein vorbereitendes Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde und nach dem Ergebnis dieses Verfahrens bereits hinreichender Tatverdacht besteht, würde ausgehöhlt. Die Staatsanwaltschaft könnte nach Anklage eines noch so nebensächlichen Teils eines umfangreichen Geschehens mit entsprechenden Beweisanträgen erreichen, daß ein sich über längere Zeit aus zahlreichen Einzelhandlungen bestehender schwerwiegender Vorwurf vom Gericht erstmals in der Hauptverhandlung ermittelt und anschließend sogleich abgeurteilt werden müßte.
Zudem hat das Bundesverfassungsgericht den Tatbegriff des Art. 103 Abs. 3 GG in seinem verfassungsrechtlichen Gehalt unabhängig vom Tatbegriff des materiellen Rechts bestimmt (vgl. BVerfGE 56, 22 (32 f.); Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig, Kommentar zum GG Art. 103 Rdn. 284). Weder der Grundsatz des Vertrauensschutzes noch der Gedanke der Rechtssicherheit in Verbindung mit Prinzipien der Rechtsdogmatik stehen einer Verfolgung des rechtlichen Gesamtgeschehens entgegen, wenn von einem aus mehreren Einzeltaten im natürlichen Sinne bestehenden Sachverhalt bisher nur ein Einzelereignis rechtskräftig abgeurteilt wurde. Dagegen widerspricht es im starken Maße dem Gerechtigkeitsgedanken, wenn eine derartige komplexe schwerwiegende Rechtsverletzung nur deswegen nicht mehr geahndet werden kann, weil es dem Täter zunächst gelungen war, seine Tat mit Ausnahme eines geringfügigen Teils verborgen zu halten. Zwar müssen als Folge des Art. 103 Abs. 3 GG auch kriminalpolitisch unbefriedigende und dem Gerechtigkeitsprinzip widersprechende Ereignisse in Kauf genommen werden, wenn zwingende rechtsdogmatische Grundsätze eine andere Entscheidung nicht zulassen. Derartige Grundsätze gebieten es indessen nicht, ein erst durch die Rechtsfigur der Bewertungseinheit zu einer materiell-rechtlichen Tat zusammengefaßtes komplexes mehraktiges Geschehen, das sich bei seiner natürlichen Betrachtung aus mehreren strafbaren Handlungen zusammensetzt, als eine Tat im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG zu bewerten.
III.1. Der Senat muß die umstrittene Frage hier aber nicht entscheiden. Denn das strafbare Verhalten des Angeklagten ist nicht als eine einzige Tat (Bewertungseinheit) im materiell-rechtlichen Sinne zu bewerten. Die mit der Übernahme von 7 kg Heroin begonnene Tat war vielmehr, soweit sie noch auf den Verkauf der etwa 6,5 kg Heroin gerichtet war, nach dem Diebstahl des Rauschgifts durch S. beendet. Der Angeklagte besaß nach dem Diebstahl nur noch die 16,78 g Heroin, die als Probe vorgesehen waren.
Dadurch, daß er die etwa 6,5 kg Heroin dann erneut an sich brachte, beging er eine neue Tat im materiellrechtlichen Sinne. Als der Angeklagte auf Veranlassung des A. die gestohlenen etwa 6,5 kg Heroin mit Gewalt zurückholte und sich wieder um deren Absatz bemühte, erfüllte er erneut den Tatbestand des unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
2. Für die Bewertung der gewaltsamen Wiederbeschaffung des verlorengegangenen Rauschgifts als neue Tat – auch des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (vgl. BGHSt 30, 359 ff; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 35) – spricht bereits, daß diese gewaltsame Handlung sich in ihrem Erscheinungsbild wesentlich von den Aktivitäten unterscheidet, die der Angeklagte vorher entfaltet hatte und die zwanglos unter den Begriff des Handeltreibens einzuordnen waren, während die räuberischen Handlungen, mit denen er sich wieder in den Besitz des Heroins setzte, nicht zum typischen Erscheinungsbild des Betäubungsmittelhandels zählen: Der Angeklagte zwang zunächst Y. unter Bedrohung mit einer Waffe, ihm bei der Suche nach den Dieben des Heroins zu helfen. Als er den Tatverdächtigen S. fand, schlug er ihm sogleich mit der Waffe gegen die Schläfe und brachte ihm eine stark blutende Kopfverletzung bei. Anschließend wurde S. vom Angeklagten und Y. zusammengeschlagen, bis er unter dem Eindruck der massiven Mißhandlungen das Heroin zurückgab.
Anders als bei dem Umtausch einer zum Zwecke des Weiterverkaufs erworbenen Rauschgiftmenge in eine andere, bei dem zumindest die Vereinbarung des Umtauschs als ein Handlungsteil, der beide Mengen betrifft, das Geschehen zu einer Einheit verbindet (vgl. BGH StV 1982, 23 und StV 1986, 342), bildet der Verlust des Rauschgifts infolge einer strafbaren Handlung zudem eine derart starke Zäsur, daß damit die als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu bewertende Tat hinsichtlich der verloren gegangenen Menge in der Regel beendet ist.
3. Welche Handlungen durch den Begriff der Bewertungseinheit zu einem einheitlichen Geschehen im materiellrechtlichen Sinne zusammengefaßt werden können, ist eine Wertungsfrage. Der Maßstab der Bewertung muß sich auch am Schutzzweck der verletzten Norm und den tatsächlichen Gegebenheiten der Rechtsgutverletzung orientieren. Bei der Beurteilung von Handlungen, die als unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln unter Strafe gestellt sind, ist zu berücksichtigen, daß ein Vorrat an Betäubungsmitteln teilbar ist und zu unterschiedlichen Zeiten und auf unterschiedliche Art und Weise in den Verkehr gelangen kann. Es ist deshalb bedenklich, alle auf den Absatz von Betäubungsmitteln gerichteten Bemühungen zusammen mit dem Erwerbsakt ohne Unterschied nur deswegen als eine Tat zu beurteilen, weil das Rauschgift zum Zwecke des Handeltreibens bereitgehalten wird.
Die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes dienen dem Schutz der Volksgesundheit. Diese wird zwar bereits durch das Vorrätighalten von Betäubungsmitteln zum Zwecke des Verkaufs mittelbar gefährdet. Die Gefahr verstärkt sich aber ganz wesentlich durch jeden Akt, mit dem Rauschgift an andere Personen, sei es an einen Zwischenhändler oder den Endverbraucher weitergegeben wird (vgl. auch BGH, Urt. v. 28. Februar 1997 – 2 StR 556/96 – zum Abdruck in BGHSt vorgesehen).
Ein Täter, der sich diesselbe Menge Rauschgift mehrfach verschafft, um damit Handel zu treiben, gefährdet damit jedenfalls das Schutzgut der Volksgesundheit in verstärktem Maße. Sein Verhalten ist vergleichbar mit dem eines Täters, der dieselben gefälschten Geldscheine mehrfach in seinen Besitz und anschließend jeweils erneut in den Verkehr bringt. In diesen Fällen hat die Rechtsprechung mehrere selbständige Straftaten nach § 146 Abs. 1 StGB angenommen, weil das Handeln des Täters stets eine neue erhebliche und damit strafwürdige Gefährdung des Schutzgutes der Geldfälschungsdelikte beinhalte (BGHR StGB § 146 Abs. 1 Nr. 2 Sichverschaffen 2, 3).
4. Der frühere Besitz von 6,5 kg sowie der 16,78 g Heroin kann mithin das gewaltsame, auf einem späteren Entschluß beruhende Vorgehen des Angeklagten nicht in eine einzige materiell-rechtliche Tat einbinden (vgl. auch BGHSt 36, 151 ff.).
Die Sachlage ist hier auch anders als in dem Fall, in dem ein Kurier Nachforschungen nach dem Rauschgift anstellt, das ihm auf einem Kurierflug verlorengegangen war, und in dem der Senat diese Bemühungen als Teil des in der Kuriertätigkeit bestehenden Handeltreibens angesehen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Juni 1984 – 2 StR 217/84).
Sind aber die gewaltsame Wiederinbesitznahme der etwa 6,5 kg Heroin am 7. Februar 1992 und die nachfolgenden Absatzbemühungen als weitere selbständige Tat zu bewerten, dann steht diese Tat mit dem fortdauernden Besitz der als Proben vorgesehenen vier Päckchen Heroin von insgesamt 16,78 g nicht in Tateinheit; insbesondere können beide nicht zu einer Bewertungseinheit verbunden werden. Zwar hatte der Angeklagte beide Mengen nach dem 7. Februar 1995 wieder gleichzeitig in seinem Besitz und wollte mit beiden Handel treiben. Sie stammten aber jetzt nicht mehr aus dem Erwerb einer Gesamtmenge, sondern waren zu unterschiedlichen Zeitpunkten und auf unterschiedliche Weise in den Besitz des Angeklagten gelangt, der sie auch nicht miteinander vermischte, sondern an verschiedenen Orten aufbewahrte.
Die Annahme einer Bewertungseinheit wäre allenfalls gerechtfertigt, wenn der Angeklagte beide Mengen gleichzeitig zum Zwecke der gewinnbringenden Weiterveräußerung erworben hätte (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 27, 45; § 29 Bewertungseinheit 1). Der bloße gleichzeitige Besitz verschiedener zum Handeltreiben bestimmter Mengen von Betäubungsmittel begründet keine Bewertungseinheit (vgl. BGH, Beschl. v. 23. Oktober 1996 – 5 StR 505/96 = BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 9; Beschl. v. 22. Januar 1997 – 3 StR 608/96 = BGHR BtMG 29 Bewertungseinheit 10; BGHR BtMG 29 Abs. 1 Nr. 1 Fortsetzungszusammenhang 2, 4).
Da auch die Verfolgung eines gemeinsamen Endzwecks oder eine Mittel-Zweck-Verknüpfung allein nicht zur Tateinheit führt (vgl. BGHR StGB § 52 Abs. 1 Handlung, dieselbe 25), ist es unerheblich, ob die 16,78 g Heroin als Probemenge der Vorbereitung des Verkaufs größerer Mengen aus den 6,5 kg Heroin dienen sollten.
Nach allem ist die mit der gewaltsamen Wiederbeschaffung der etwa 6,5 kg Heroin begonnene Tat des Angeklagten sowohl materiell- als auch verfahrensrechtlich nicht mit dem Geschehen identisch, das bereits vom Landgericht Köln am 3. November 1995 rechtskräftig abgeurteilt worden war.
Strafklageverbrauch ist insoweit nicht eingetreten.
IV. Die Verfahrensrüge ist unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO. Das Urteil weist keine den Angeklagten belastenden Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat ihn zu Recht wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt.
Es hat allerdings nicht ausdrücklich berücksichtigt, daß die noch verfolgbare Tat erst mit der gewaltsamen Wiederbeschaffung des Heroins begann. Diese Konkretisierung des Schuldumfangs auf den genannten Zeitraum wirkt sich auf den Strafausspruch indessen nicht aus. Dem Angeklagten war ursprünglich angelastet worden, sich zusammen mit anderen um den Verkauf von 8 kg Heroin bemüht und davon tatsächlich 1,5 kg abgesetzt zu haben, ehe die 6,5 kg gestohlen wurden, die er sich dann mit Waffengewalt wiederbeschaffte. In der Hauptverhandlung hat das Landgericht den Tatvorwurf auf unerlaubtes bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Körperverletzung beschränkt und ist bei der Bewertung der Tat nur von einer Rauschgiftmenge von 6,5 kg ausgegangen (UA S. 32). Die Aktivitäten des Angeklagten vor der Wiederbeschaffung des Heroins hat es weder bei der Strafrahmenbestimmung noch bei der Strafzumessung im engeren Sinne zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt. Als wesentlichen Strafzumessungsgrund hat es neben der Menge von 6,5 kg Heroin und dem Wirkstoffgehalt von 3,78 kg die Brutalität angeführt, mit der der Angeklagte bei der Rückschaffung des Heroins vorgegangen ist, sowie den Umstand, daß er seine Brüder mit in die Heroingeschäfte hineingezogen hat. Letzteres geschah erst nach dem Diebstahl des Rauschgifts.
Daß das Landgericht die Einzelfreiheitsstrafe von neun Jahren bei der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe entgegen §§ 54, 55 StGB nicht erhöht hat, beschwert den Angeklagten nicht.
Unterschriften
Jähnke, Theune, Niemöller, Detter, Bode
Fundstellen
Haufe-Index 1622219 |
BGHSt, 252 |
NJW 1998, 168 |
NStZ 1998, 251 |
StV 1998, 26 |
StV 1998, 482 |