Leitsatz (amtlich)
Die Steuerbehörde kann gegenüber einer KG, die als Rechtsnachfolgerin des Steuerschuldners (§ 25 Abs. 1 Satz 2 HGB) gepfändete Forderungen für sich in Anspruch nimmt, sowie gegenüber dem späteren Konkursverwalter der KG geltend machen, daß sie bei Ausbringung der Pfändung von der Eintragung der KG im Handelsregister nichts gewußt hat und daß die Eintragung der KG damals noch nicht nach § 19 Abs. 2 HGB bekannt gemacht war.
Normenkette
ZPO § 771; HGB § 10 Abs. 2, § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 18. Mai 1977 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Konkursverwalter der Kommanditgesellschaft „Dipl. – Ing. Friedrich W… Nachf.” (im folgenden: KG), über deren Vermögen am 3. August 1973 das Konkursverfahren eröffnet wurde. Einzige persönlich haftende Gesellschafterin der KG war die am 20. Juni 1972 im Handelsregister des Amtsgerichts Bochum eingetragene „Elektro-W…-GmbH”. Einer der Kommanditisten der KG und zugleich alleiniger Geschäftsführer der GmbH war der Elektromeister Dieter W…, der das von seinem Vater Friedrich W… übernommene einzelkaufmännische Unternehmen seit 1961 fortführte, das erst am 26. November 1969 unter der Firma „Dipl. – Ing. Friedrich W…, Inh. Dieter W…” ins Handelsregister eingetragen wurde.
Die Eintragung der KG erfolgte am 2. Juli 1973. Diese Eintragung wurde in der „Westdeutsche Allgemeine Zeitung” (WAZ) vom 31. Juli 1973 und sodann im Bundesanzeiger vom 15. August 1973 vom Registergericht bekannt gemacht.
Zwischenzeitlich am 19. Juli 1973 – also zwischen der Eintragung der KG und der Bekanntmachung – hatte das Finanzamt Bochum wegen Steuerforderungen in Höhe von 161.228,96 DM gegen Dieter W… eine Pfändungsverfügung erlassen, die diesem am 20. Juli 1973 zugestellt wurde. Gepfändet wurden Forderungen gegen die Oberpostdirektion D… Fernmeldeamt, aus sog. Jahreszeitverträgen, die 1972 und letztmals am 27. Februar 1973 sämtlich unter der Firmenbezeichnung „Dipl. – Ing. Friedrich W…, Inh. Dieter W…” mit der Postverwaltung abgeschlossen worden waren. Bei der Konkurseröffnung über das Vermögen der KG am 3. August 1973 bestanden unstreitig noch offene Verbindlichkeiten der Deutschen Bundespost in Höhe von 234.427,28 DM.
Der Kläger hat die Forderungen gegen die Deutsche Bundespost als zur Konkursmasse der KG gehörig in Anspruch genommen. Das beklagte Land ist dem mit dem Hinweis entgegengetreten, die Forderungen stünden dem Kaufmann Dieter W…, ihrem Steuerschuldner, als dem Inhaber des einzelkaufmännischen Unternehmens zu; diese Forderungen gegen die Deutsche Bundespost seien auch nicht etwa durch die Gründung der KG oder in deren Vollziehung auf die KG übergegangen, sondern sie seien aus der Konkursmasse der KG auszusondern.
Die Deutsche Bundespost hat aufgrund der Pfändung 84.264,80 DM an das beklagte Land bezahlt. Diesen Teilbetrag fordert der Kläger zurück. Er ist der Auffassung, gegen die Pfändungsverfügung vom 19. Juli 1973 habe zunächst der KG und sodann – nach Konkurseröffnung – ihm selber ein Widerspruchsrecht (§ 771 ZPO) zugestanden, an dessen Stelle als Folge der seitens der Bundespost an das beklagte Land geleisteten Zahlung nunmehr ein Bereicherungsanspruch (§ 812 BGB) getreten sei.
Das beklagte Land ist der Auffassung, die KG sei nicht Rechtsnachfolger ihres Steuerschuldners Dieter W… geworden. Dessen Forderungen gegen die Deutsche Bundespost hätten selbst bei einverständlichem Handeln zwischen W… und der KG in letztere überhaupt nicht eingebracht werden können, da die von W… anerkannten Bedingungen der Bundespost ein Abtretungsverbot enthalten hätten.
Das Landgericht hat das beklagte Land antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der hiergegen eingelegten Revision, um deren Zurückweisung das beklagte Land bittet, erstrebt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Das angefochtene Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat ein Bereicherungsanspruch des Klägers nach § 812 BGB zur Voraussetzung, daß entweder die KG vor der Eröffnung des Konkursverfahrens berechtigt war, der vom beklagten Land ausgebrachten Pfändung in die Forderungen gegen die Deutsche Bundespost gemäß § 771 ZPO zu widersprechen, oder daß ein solches Widerspruchsrecht für den Kläger entstanden ist. Beide Voraussetzungen seien hier jedoch nicht gegeben:
Die KG habe schon deshalb kein Widerspruchsrecht gehabt, weil im Zeitpunkt der Pfändungsverfügung des beklagten Landes vom 19. Juli 1973 die in den §§ 106 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB vorgeschriebene Eintragung der KG in das Handelsregister zwar bereits erfolgt gewesen sei, die Bekanntmachung der Eintragung damals aber noch ausgestanden habe. Gemäß dem § 10 Abs. 2 HGB sei die Bekanntmachung der Eintragung erst mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger vom 15. August 1973 als bewirkt anzusehen. Der Kläger habe nicht behauptet, daß das beklagte Land schon im Zeitpunkt der Pfändungsverfügung von der Gründung der KG gewußt habe. Die Anwendbarkeit des § 15 Abs. 1 HGB scheitere auch nicht daran, daß die KG – möglicherweise – ein Grundhandelsgewerbe betreibe und deshalb ohne Eintragung (also auch ohne Bekanntmachung einer Eintragung) damals bereits bestanden habe: Bis zur erfolgten Bekanntmachung der Eintragung könne sich eine Handelsgesellschaft auf die Begründung eigener Rechte gegenüber einem Außenstehenden, der von der Gesellschaftsgründung keine Kenntnis habe, nicht berufen.
II. Diese Hauptbegründung des Berufungsurteils trägt die angefochtene Entscheidung, so daß es auf die vom Berufungsgericht angestellten Hilfserwägungen nicht ankommt:
1. Der Kläger muß beweisen, daß – zunächst der KG, nach der Konkurseröffnung ihm – selbst Rechte zustanden, der ausgebrachten Pfändung gemäß § 771 ZPO zu widersprechen. An einer solchen Berechtigung zum Widerspruch gegen die ausgebrachte Pfändung fehlt es jedoch, weil das beklagte Land, mochte die KG damals auch schon bestehen, mangels rechtzeitiger Bekanntmachung der Eintragung die Gründung der KG und einen etwa dadurch erfolgten Rechtsübergang nicht gegen sich gelten zu lassen braucht. Daß etwa das beklagte Land vor der mit Ablauf des 15. August 1973 bewirkten Bekanntmachung der Eintragung von der Existenz der KG erfahren hat, wird vom Kläger nicht behauptet. Nur positive Kenntnis von der erfolgten Gründung der KG – diese Kenntnis schon vorhanden im Zeitpunkt der Pfändungsverfügung – hätte dem beklagten Land schaden können. Dagegen kommt es auf ein bloßes „Tennenmüssen” – entgegen der Auffassung des Landgerichts, die die Revision wieder aufgreift – rechtlich nicht an.
2. Daran ändert auch weder der Umstand etwas, daß die KG – möglicherweise – ein Grundhandelsgewerbe im Sinne des § 1 HGB betrieb, noch der weitere Umstand, daß das beklagte Land aus der fehlenden Bekanntmachung der Eintragung hier keine Rechtsfolgen aus einem rechtsgeschäftlichen Handeln herleitet sondern die Unangreifbarkeit seiner durch die Pfändungsverfügung erlangten eigenen prozessualen Stellung verficht.
a) Das Reichsgericht hatte in seinem Urteil vom 8. Juli 1918 – RGZ 93, 238, 244 – die Frage, ob § 15 Abs. 1 HGB auch den sog. „Prozeßverkehr” betrifft, noch ausdrücklich offen gelassen. Im Urteil vom 13. Januar 1930 – RGZ 127, 98, 99 – hatte es sodann die Anwendbarkeit des § 15 Abs. 1 HGB auf einen Fall bejaht, in dem es um die Wirksamkeit einer prozessualen Zustellung ging. Koenige (HGB 4. Aufl. 1936 § 15 Anm. 4) hatte dem ausdrücklich zugestimmt, und schon Schlegelberger/Hildebrandt (HGB 4. Aufl. 1960 § 15 Anm. 4) vertritt die Auffassung, für die Abgrenzung der Anwendbarkeit des § 15 Abs. 1 HGB müsse bestimmend sein, „ob die Möglichkeit besteht, daß der Dritte sein Verhalten mit Rücksicht auf seine Kenntnis von bestimmten Tatsachen einrichtet”. Diese Möglichkeit besteht – außer im Falle rechtsgeschäftlichen Handelns – auch dann, wenn der Gläubiger sich zu Vollstreckungsmaßnahmen gegen seinen Schuldner entschließt; hier hat er freie Wahl, sich so oder anders zu verhalten oder von Maßnahmen, die er erwogen hat, Abstand zu nehmen. Der für die Anwendbarkeit des § 15 Abs. 1 HGB verlangte Geschäftsverkehr umfaßt deshalb gleichermaßen den rechtsgeschäftlichen wie den sog. Prozeßverkehr (Schlegelberger/Hildebrandt a.a.O. Anm. 3 sowie Würdinger in Großkommentar HGB 3. Aufl. 1967 § 15 Anm. 2, ebenso schon 2. Aufl. 1933, ebenda).
b) Demnach gehört nicht nur das vertragliche Handeln, sondern auch prozessuales Vorgehen wie das Ausbringen einer Pfändung zu den Sachverhalten, die durch die dem Geschäftsverkehr dienende Schutzvorschrift des § 15 Abs. 1 HGB störungsfrei gestaltet werden sollen. Für die Anwendbarkeit der genannten Vorschrift muß vollauf genügen, daß auch die Regulierung steuerlicher Verpflichtungen unabweisbar zum Geschäftsverkehr jedes kaufmännischen Unternehmens gehört und damit in den Regelungsbereich des § 15 Abs. 1 HGB fällt. Der in dieser Vorschrift gewährte Schutz des Rechtsverkehrs wäre unvollkommen, wenn er sich darauf beschränkte, zwar Einwendungen des Schuldners gegen seine materielle Einstandspflicht als rechtlich unbeachtlich auszuschließen, dem Schuldner aber Möglichkeiten verblieben, die nach Inhalt und Zielrichtung darauf hinausgehen, die praktische Realisierung eben dieser Einstandspflicht zu vereiteln oder maßgeblich zu erschweren.
3. Auch § 25 Abs. 1 Satz 2 HGB, wonach unter gewissen Voraussetzungen die in einem Handelsgeschäft entstandenen Forderungen auf den Übernehmer der Firma übergehen, kann dem Kläger nicht zum Erfolg verhelfen. Denn dieser Rechtsübergang, der auf die Tatsache der Geschäftsübernahme durch die KG gestützt wird, kann der Beklagten aus den dargelegten Gründen nach § 15 Abs. 1 HGB nicht entgegengehalten werden.
III. Die Revision des Klägers war demnach auf seine Kosten (§ 97 Abs. 1 ZPO) als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen