Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückgriff (Regress) einer Versicherung auf den Unfallschädiger (Deutsche Bundesbahn) für erbrachte Versicherungsleistungen an Hinterbliebene
Leitsatz (amtlich)
- Unternehmerin der Deutschen Bundesbahn i.S. von § 636 Abs. 1 RVO ist die Bundesrepublik. Die Bundesbahn haftet daher für einen Unfall, der sich in ihrem Haftungsbereich ereignet und für den Verletzten ein Arbeitsunfall ist, gemäß § 636 RVO grundsätzlich auch dann nicht, wenn der Verletzte nicht bei ihr, sondern bei einer anderen Verwaltung des Bundes beschäftigt ist.
- Die Befreiung des Unternehmers von seiner Haftung für einen Arbeitsunfall (§ 636 RVO) ist bei Teilnahme des Versicherten am allgemeinen Verkehr nur zu dessen Gunsten (bzw. zugunsten seiner Hinterbliebenen) aufgehoben; ein Übergang der Ersatzansprüche gegen den Unternehmer auf einen Sozialversicherungsträger (§ 1542 RVO) findet nicht statt.
Normenkette
RVO §§ 640, 1542 Abs. 1, § 636 Abs. 1, § 638 Abs. 1
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 19. Januar 1973 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen der Klägerin zur Last.
Tatbestand
Am 16. Mai 1969 veranstaltete die Bundeswehrstandortverwaltung R. einen Betriebsausflug nach Hamburg mit einem Sonderzug der beklagten Bundesbahn. Auf der Rückfahrt stürzte der bei der Bundeswehrstandortverwaltung beschäftigte H. aus dem fahrenden Zug und kam ums Leben. Die klagende Landesversicherungsanstalt zahlt an seine Hinterbliebenen Witwen- und Waisenrente. Auch die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung, die den Unfall als Arbeitsunfall anerkannt hat, sowie die Versorgungsanstalt des Bundes erbringen Rentenleistungen.
Mit der Klage hat die Klägerin die Beklagte wegen ihrer Leistungen auf Erstattung in Anspruch genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
1.
Ohne Rechtsfehler verneint das Berufungsgericht Erstattungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte aus eigenem Recht nach § 640 RVO schon deshalb, weil der Unfall weder vorsätzlich noch grob fahrlässig von der Beklagten herbeigeführt worden sei. Auch die Revision wendet sich hiergegen nicht.
2.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin ihre Versicherungsleistungen von der Beklagten auch nicht aufgrund übergegangener Schadensersatzansprüche der Hinterbliebenen des Verunglückten nach § 1542 RVO erstattet verlangen, da § 636 RVO dem entgegenstehe.
Nach dieser Vorschrift ist der Unternehmer den Hinterbliebenen des in seinem Unternehmen tätig gewesenen Versicherten zum Ersatz des Personenschadens aus einem Arbeitsunfall - von vorsätzlicher Herbeiführung des Unfalls abgesehen - nur verpflichtet, wenn der Unfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eingetreten ist.
Ein danach gegebener Schadensersatzanspruch vermindert sich jedoch um die Leistungen, die die Hinterbliebenen infolge des Arbeitsunfalls von dem Träger der Sozialversicherung erhalten. Daß der tödliche Sturz des Verunglückten ein Arbeitsunfall gewesen ist, steht aufgrund des Bescheides der Bundesaufsichtsbehörde für Unfall für das vorliegende Verfahren bindend fest (§ 638 Abs. 1 RVO).
Das Berufungsgericht führt aus: § 636 RVO finde unbeschadet des Umstandes Anwendung, daß sich der Unfall im Haftungsbereich nicht der Bundeswehr, dem Arbeitgeber des Verunglückten, sondern der Deutschen Bundesbahn ereignet habe, da die Bundesrepublik im Sinne des § 636 RVO als "einheitlicher Unternehmer" von Bundeswehr und Bundesbahn anzusehen sei. Die Ausnahmen von der Haftungsfreistellung des Unternehmers lägen nicht vor. Der Verunglückte habe den Unfall nicht als normaler Verkehrsteilnehmer, sondern als Bediensteter der Bundesstandortverwaltung auf der Fahrt mit einem eigens für den Betriebsausflug eingesetzten und nur von den Betriebsangehörigen benutzten Sonderzug erlitten. Aber selbst wenn der Ausflug als Teilnahme am allgemeinen Verkehr beurteilt werden müßte, habe die Klägerin Ersatzansprüche der Hinterbliebenen gegen die Beklagte (§§ 1, 3 Abs. 2 RHG) nicht erworben. Denn die diesen gewährten, nach § 636 RVO anzurechnenden Rentenleistungen überstiegen den Unterhalt, der den Hinterbliebenen infolge des Unfalls entgangen sei.
II.
Gegen diese Begründung des angefochtenen Urteils wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.
1.
Nicht berechtigt sind die Bedenken der Revision gegen die Anwendung von § 636 RVO im Blick auf die vom Berufungsgericht auch im Verhältnis zu dem Verunglückten bejahte Unternehmerstellung der beklagten Bundesbahn.
Der Haftungsausschluß des § 636 RVO knüpft daran an, daß der Arbeitgeber - regelmäßig gemeinsam mit anderen in der Berufsgenossenschaft zusammengeschlossenen Unternehmern - die Aufwendungen zu der gesetzlichen Unfallversicherung trägt und dem Versicherten sowie seinen Angehörigen schon auf diesem Wege durch einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch gegen eine leistungsfähige Genossenschaft bei einem Arbeitsunfall sozialen Schutz gewährt. Von den in § 636 RVO aufgeführten beiden Ausnahmen abgesehen wird deshalb die an sich nach den Vorschriften des Privatrechts für die Folgen des Arbeitsunfalls gegebene Haftung des Arbeitgebers durch dieses in mehrfachen Beziehungen für den Versicherten günstigere soziale Schutzsystem abgelöst; zugleich wird Gefahren für den Betriebsfrieden begegnet, die sich aus einer Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer um Haftungsfragen ergeben können (vgl. dazu BGHZ 19, 114, 121; 24, 247, 250; 52, 115, 122 BVerfGE 34, 118, 129 ff = NJW 1973, 502, 503 f).
Im Blick auf diese Aufgabe werden die in § 636 RVO verwendeten Begriffe "Unternehmer" und "Unternehmen" durch das Schutzsystem der Unfallversicherung, insbesondere die Einrichtung und Verfassung der Berufsgenossenschaften geprägt. Die in § 658 Abs. 2 Nr. 1 RVO für die Mitgliedschaft in der Berufsgenossenschaft zugrundegelegte Bestimmung des Begriffs "Unternehmer" ist daher auch für § 636 Abs. 1 RVO anzuwenden. Unternehmer ist demgemäß, für dessen Rechnung das Unternehmen (Betrieb, Einrichtung oder Tätigkeit) geht. Das kann auch die Bundesrepublik für Einrichtungen der Bundesverwaltung, und dies vor allem dort sein, wo sie für ihre eigenen "Unternehmen" Eigenunfallversicherungsträger im Sinne von §§ 766 ff, 653 ff RVO ist (vgl. §§ 653 Abs. 1, 658 Abs. 3 RVO).
Nun ist die beklagte Bundesbahn freilich nicht Arbeitgeberin des Verunglückten gewesen; "Unternehmer" seiner Beschäftigungsbehörde war die Bundesrepublik. Gleichwohl kann sich auch die Beklagte auf die Haftungsfreistellung des § 636 RVO berufen, wie sich aus dem dargelegten Sinn der Vorschrift wegen der Personenidentität des "Unternehmers" von Bundeswehr ("Beschäftigungsbetrieb") und Bundesbahn ("Unfallbetrieb") ergibt. Denn die Bundesrepublik ist auch "Unternehmer" der Deutschen Bundesbahn, weil diese nur als Sondervermögen des Bundes begriffen wird und selbst keine Rechtspersönlichkeit besitzt (§ 1 Bundesbahngesetz vom 13. Dezember 1951 - BGBl I 955 -; vgl. Senatsurteil vom 18. Oktober 1957 - VI ZR 99/56 = NJW 1958, 182 = VersR 1957, 818, 819). Daß die Bundesbahn parteifähig (§ 2 BBahnG), das Bundeseisenbahnvermögen haftungsmäßig von dem übrigen Bundesvermögen getrennt (§ 3 BBahnG) und ihr eine Wirtschafts- und Rechnungsführung nach kaufmännischen Gesichtspunkten vorgeschrieben ist (§§ 4 ff BBahnG), steht dem nicht entgegen. Im Sinne von § 658 Abs. 1 Nr. 1 RVO ist Träger des Bundeseisenbahnvermögens der Bund; der Betrieb der Bundesbahn geht "für seine Rechnung". Die Bundesbahn-Ausführungsbehörde, welche die Aufgabe einer Berufsgenossenschaft wahrnimmt, ist für ein Unternehmen des Bundes errichtet; Träger der Unfallversicherung ist die Bundesrepublik ...
Daß für die Bundesbahn nicht die im allgemeinen für die Bundesverwaltungen zuständige Bundesausführungsbehörde, sondern eine eigene Behörde die Funktion einer Berufsgenossenschaft wahrnimmt, hat nur organisatorische Bedeutung; die Stellung der Bundesrepublik als "Unternehmer" der Bundesbahn wird hierdurch nicht berührt. Entgegen der Auffassung der Revision verlangt § 636 RVO insbesondere nicht, daß Beschäftigungs- und Unfallunternehmen eine organisatorische Einheit bilden. So wird die Haftungsfreistellung des Unternehmers für den Fall der Teilnahme am allgemeinen Verkehr vornehmlich deshalb aufgehoben, weil ohne diese Ausnahme öffentliche Bedienstete - gleich ob Beamte, Angestellte oder Arbeiter - für die Folgen eines Wegeunfalls bei der Benutzung öffentlicher Verkehrseinrichtungen den verantwortlichen Träger des "Unfallbetriebes" wegen Personenidentität mit dem "Unternehmer" des eigenen "Beschäftigungsbetriebes" nicht in Anspruch nehmen könnten und damit gegenüber den in der Privatwirtschaft tätigen Versicherten ohne Sachgrund benachteiligt sein würden (vgl. die Amtliche Begründung zu dem grundlegenden, insoweit in § 636 RVO eingearbeiteten Gesetz vom 7. Dezember 1943 über die erweiterte Zulassung von Schadensersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen - DJ 1944, 21 ff; RGZ 166, 257).
b)
Die Ausführungen der Revision, die darauf hinauslaufen, § 636 RVO sei deshalb nicht anwendbar, weil der Betriebsausflug nicht vom Unternehmer selbst, sondern vom Personalrat der Bundeswehrstandortverwaltung veranstaltet worden sei, gehen fehl. Wenn die Revision § 637 RVO angewendet wissen will, übersieht sie, daß der Unternehmer in Anspruch genommen wird und daß insoweit die Vorschrift des § 636 RVO die Frage der Haftungsfreistellung abschließend regelt.
c)
Mit Recht hat daher das Berufungsgericht die Bundesrepublik als "einheitlichen Unternehmer" sowohl der Bundeswehr (Standortverwaltung) wie der Bundesbahn angesehen (vgl. RGZ 166, 257; Lauterbach, Unfallversicherung, § 636 RVO Anm. 34; Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 11. Aufl. TZ 1544).
2.
Hat danach das Berufungsgericht die Anwendung des § 636 RVO auf den vorliegenden Schadensfall zutreffend bejaht, so hindert diese Vorschrift einen Übergang von Schadensersatzansprüchen der Hinterbliebenen des Verunglückten gegen die Beklagte auf die Klägerin selbst dann, wenn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts mit der Revision davon ausgegangen wird, daß sich der Unfall im Verhältnis zur beklagten Bundesbahn, worauf hier allein abzuheben ist, bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr ereignet hat. Zwar können in einem solchen Fall Ersatzansprüche des Versicherten bzw. seiner Hinterbliebenen gegen den Unternehmer zur Entstehung gelangen. Doch findet ein Übergang solcher Ansprüche wegen der dem Betroffenen zu gewährenden Versicherungsleistungen auf den Sozialversicherungsträger nach § 1542 Abs. 1 RVO nicht statt.
a)
Soweit nach § 636 RVO die Unternehmerhaftung durch das System der gesetzlichen Unfallversicherung abgelöst wird, kann kein Sozialversicherungsträger den Arbeitgeber des Versicherten aus abgeleitetem Recht auf Erstattung der Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen, weil es insoweit an übergangsfähigen Ersatzansprüchen des Versicherten bzw. seiner Hinterbliebenen fehlt (§ 636 Abs. 1 RVO). Das Prinzip der Haftungsablösung, das dem § 636 Abs. 1 RVO zugrundeliegt (BGHZ 52, 115, 122 m.w.Nachw.; BVerfGE 34, 118, 129 ff), muß insoweit jeder Sozialversicherungsträger, nicht nur der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung gegen sich gelten lassen. Der gesetzgeberische Zweck der Haftungsablösung wäre nicht verwirklicht, wenn der Unternehmer zwar nicht von dem Versicherten, aber von einem Sozialversicherungsträger, etwa wie hier dem Rentenversicherungsträger, auf Schadensersatz wegen des Arbeitsunfalls in Anspruch genommen werden könnte. Der Unternehmer soll grundsätzlich schon durch Erfüllung seiner Beitragspflicht zur gesetzlichen Unfallversicherung das Seine zum Ausgleich der Schadensfolgen eines Betriebsunfalls getan haben. Er hat den Trägern der Sozialversicherung die von ihnen zu erbringenden Versicherungsleistungen in solchen Fällen nur nach § 640 Abs. 1 RVO zu erstatten, also nur dann, wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Diesen Rückgriff gewährt § 640 RVO jetzt auch (anders noch BGHZ 26, 16) den Rentenversicherungsträgern, also der Klägerin. Doch fehlt es hier an den übrigen Rückgriffsvoraussetzungen des § 640 RVO.
Dieses Prinzip der Haftungsablösung kommt auch der Bundesrepublik als "Unternehmerin" zugute, auch wenn sie wie hier keine Beiträge zur Unfallversicherung des Verunglückten aufgewendet hat, weil sie gemäß § 653 Abs. 1 Nr. 1 RVO selbst Träger dieser Versicherung ist. Leistet der Bund den Versicherungsschutz somit (vermittels seiner "Bundesausführungsbehörde für Unfall") selbst und unmittelbar, so rechtfertigt dies erst recht den Gedanken des § 636 RVO, seine privatrechtliche Haftung als "Unternehmer" abzulösen.
b)
Bei vorsätzlicher Herbeiführung des Arbeitsunfalls durch den Unternehmer (so schon in § 898 RVO a.F.) und in den Fällen der Teilnahme am allgemeinen Verkehr (so seit dem oben genannten Gesetz vom 7. Dezember 1943), durchbricht das Gesetz ausnahmsweise dieses Prinzip zugunsten des Versicherten bzw. seiner Angehörigen. In diesen Fällen sieht es mit Recht keinen sachlichen Grund mehr dafür, daß der Versicherte sich mit den geringeren Sozialversicherungsleistungen zufrieden geben muß, wenn sein Schaden in Wirklichkeit größer ist und von dem Unternehmer - bestände keine Unfallversicherung - zu tragen gewesen wäre. Dem Betroffenen wird in solchen Fällen deshalb die Möglichkeit gegeben, den Unternehmer, soweit dieser für den Schaden nach anderen gesetzlichen Vorschriften einzustehen hat, auf die durch die Sozialversicherungsleistungen nicht gedeckte "Spitze" in Anspruch zu nehmen (§ 636 Abs. 1 Satz 2 RVO). Doch ist der Grundsatz der Haftungsablösung lediglich zugunsten des betroffenen Versicherten bzw. seiner Angehörigen beschränkt aufgehoben. Demgegenüber findet eine Entlastung der Sozialversicherungsträger durch Überwälzung ihrer Leistungen auf den Unternehmer nicht statt. Insoweit bleibt es auch für diese beiden Ausnahmen bei der Regelung des § 640 RVO, nach welcher die Träger der Sozialversicherung kraft eigenen Rechts vom Unternehmer ihre Versicherungsleistungen erstattet verlangen können, wenn der Arbeitsunfall von diesem vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeigeführt worden ist. Dagegen steht ihnen für solche - sei es auch nur teilweise -Erstattung ihrer Leistungen der Ersatzanspruch des Versicherten bzw. seiner Hinterbliebenen gegen den Unternehmer aus dem Gesichtspunkt eines Forderungsübergangs nach § 1542 Abs. 1 Satz 1 RVO nicht zur Verfügung.
c)
Ob sich dies auch aus dem Rechtsinstitut des gesetzlichen Anspruchsübergangs - etwa im Blick auf die zu fordernde Kongruenz von Versicherungsleistung und übergehendem Ersatzanspruch - ergibt, kann auf sich beruhen. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die Beschränkung des Versicherten bzw. seiner Hinterbliebenen durch den Satz 2 des § 636 Abs. 1 RVO auf die "Spitze" von Einfluß schon auf den Grund des Ersatzanspruchs bezüglich des durch die Versicherungsleistungen gedeckten Schadens ist (vgl. dazu auch BGHZ 6, 3; BGH Urt. v. 9. Juli 1962 - III ZR 22/61 = LM BGB § 151 Nr. 1 = NJW 1962, 1961; Senatsurt. v. 12. März 1974 - VI ZR 2/73 = LM Dienst- u. Arbeitsunfall Nr. 21). Jedenfalls steht solchem Forderungsübergang der Sinn und das System der Regelung in §§ 636, 640 RVO entgegen, die in den beiden Ausnahmefällen, in denen das Prinzip der Haftungsablösung aufgehoben ist, den Unternehmer mit der Schadenshaftung aus einem Arbeitsunfall nur zugunsten des Verletzten bzw. seiner Hinterbliebenen und nur subsidiär insoweit belastet, als nicht die Träger der Sozialversicherung - sei es der Unfallversicherung oder sonstige Versicherungsträger - mit ihren Leistungen den Schaden ausgleichen. Ein Forderungsübergang nach § 1542 RVO würde diese Rangordnung der Einstandspflicht aufheben. Er würde zugleich § 640 RVO unterlaufen, der zwischen Sozialversicherungsträger und Unternehmer für die ganze Sozialversicherung abschließend ordnet, wer mit den Versicherungsaufwendungen wegen eines Arbeitsunfalls endgültig belastet bleiben soll.
Demgemäß hebt § 1542 Abs. 1 Satz 3 RVO ausdrücklich hervor, daß ein Übergang von Ansprüchen gegen den Unternehmer bei den gegen Unfall Versicherten und ihren Hinterbliebenen nicht stattfindet. Zwar wird im Schrifttum überwiegend die Auffassung vertreten, diese Vorschrift betreffe nur die Träger der Unfallversicherung (Lauterbach, Unfallversicherung 3. Aufl., § 1542 Anm. 73 [s. aber auch § 636 RVO Anm. 397; Gesamtkommentar § 636 RVO Anm. 14, § 1542 RVO Anm. 11; Kommentar zur Reichsversicherungsordnung, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherer - Verbandskommentar - § 1542 Anm. 18; Brackmann: Handbuch der Sozialversicherung III S. 976 e, f; Wussow, Das Unfallhaftpflichtrecht, 11. Aufl. TZ 1570 sowie WI 1973, 138, 139; Seitz, Die Ersatzansprüche der Sozialversicherungsträger nach § 640 und 1542 RVO 2. Aufl. S. 89; Gunkel, Die Haftung von Unternehmern und Betriebsangehörigen, 3. Aufl., S. 40; Elleser, Sozialversicherung 1967, 35); doch kann dieser Ansicht jedenfalls für die Zeit seit Inkrafttreten des im vorliegenden Fall anzuwendenden Unfallversicherungsneuregelungsgesetzes vom 30. April 1963 (BGBl I 241) nicht gefolgt werden. Die Neufassung der §§ 636, 640 RVO durch dieses Gesetz bringt klar zum Ausdruck, daß in dem Wirkungsbereich ihrer Regelung alle Träger der Sozialversicherung, nicht nur die Träger der Unfallversicherung, einbezogen sein sollen. Das ist auch bei der Anwendung des § 1542 Abs. 1 Satz 3 RVO zu berücksichtigen, der im Zusammenhang mit dieser Regelung gesehen werden muß, mag das Neuregelungsgesetz es auch vergessen haben, in Satz 3 des § 1542 Abs. 1 RVO an die Stelle der (aufgehobenen) §§ 898, 899 RVO die neu geschaffenen §§ 636, 637 RVO zu setzen.
Dem steht auch nicht die Entscheidung des Reichsgerichts in RGZ 102, 131 entgegen, auf die sich das erwähnte Schrifttum im wesentlichen stützt. Dort ging es um Versicherungsleistungen wegen eines Unfalls, der gerade nicht als versicherungspflichtiger Arbeitsunfall anerkannt war. Wenn das Reichsgericht die Anwendung von § 1542 Abs. 1 Satz 3 RVO in diesem Fall abgelehnt hat, weil die Vorschrift lediglich für das Gebiet der Unfallversicherung eine Ausnahme bestimme (RGZ 102, 131, 133), so ist damit nur gesagt, daß jener Satz 3 des § 1542 Abs. 1 R, Fällen vorbehalten sei, in denen wegen eines Arbeitsunfalls eine Berufsgenossenschaft Versicherungsleistungen zu erbringen habe. Dem ist auch für das geltende Recht zuzustimmen. Im übrigen hat das Reichsgericht jener Vorschrift im wesentlichen nur Bedeutung als Hinweis auf die damals in §§ 898, 899, 903 RVO geregelte Haftungsablösung bei Arbeitsunfällen beigemessen. Diese auch hier vertretene Auffassung muß im vorliegenden Rechtsstreit aus den dargelegten Gründen zur Verneinung eines Forderungsüberganges auf die klagende Landesversicherungsanstalt führen.
Zudem würden, wollte man die Ausnahme des § 1542 Abs. 1 Satz 3 RVO auf Träger der Unfallversicherung beschränken, den sonstigen Trägem der Sozialversicherung durch die ihnen damit belassene Entlastungsbefugnis aus § 1542 Abs. 1 Satz 1 RVO Rechte zuteil, die ihnen vor Inkrafttreten des Unfallversicherungsneuregelungsgesetzes 1963 jedenfalls für Betriebsunfälle bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr nicht zugestanden worden waren. Denn durch § 4 Abs. 2 des insoweit durch das Neuregelungsgesetz aufgehobene Gesetzes über die erweiterte Zulassung von Schadensersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen vom 7. Dezember 1943 war ihnen in solchen Fällen eine Rückgriffsmöglichkeit aufgrund abgeleiteten Rechts ausdrücklich versagt. Es war aber das erklärte Ziel der Neuregelung, diese Grundsätze, die sich nach Auffassung des Gesetzgebers bewährt hatten, inhaltlich aufrecht zu erhalten (vgl. die amtl. Begründung BT-Drucks. IV/120 zu § 635 S. 63; IV/938 zu § 633 S. 18; Senatsurteil vom 24. Oktober 1967 - VI ZR 67/66 = VersR 1967, 1201, 1202).
Unterschriften
Dr. Weber, Vorsitzender Richter
Nüßgens, Richter
Scheffen, Richter
Dr. Steffen, Richter
Dr. Kullmannden, Richter
Fundstellen