Entscheidungsstichwort (Thema)
Tatsachenfeststellung. Verfahrensfehler. Wiederholung der Beweisaufnahme. Berufungsbegründung. Gehörsrüge. Schriftsätzliches Vorbringen. Beweiskraft
Leitsatz (amtlich)
a) Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts begründen, können sich insb. aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind.
b) Ist eine Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht geboten, so beurteilt sich die Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme verpflichtet ist, nach denselben Grundsätzen wie aus der Zeit vor Geltung des Zivilprozessreformgesetzes.
c) Wird in der Berufungsbegründung gerügt, das erstinstanzliche Gericht habe Parteivorbringen übergangen, so ist eine genaue Bezeichnung unter Angabe der Fundstelle in den Schriftsätzen der Vorinstanz nicht erforderlich.
d) Auch bei einem Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts obliegt dem Berufungsgericht nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die tatsächliche Inhaltskontrolle des erstinstanzlichen Urteils ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge.
e) Für schriftsätzlich angekündigtes Vorbringen kommt dem Urteilstatbestand keine negative Beweiskraft zu.
Normenkette
ZPO §§ 314, 529 Abs. 1 Nr. 1, § 520 Abs. 3 S. 2 Nrn. 2, 3 (2002)
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 06.08.2003) |
LG Frankfurt am Main |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Frankfurt am Main v. 6.8.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte war von der Stadt O. beauftragt, auf einem ehemaligen Kasernengelände gelegene Grundstücke und Wohnungen zu vermarkten. Mit notariellem Vertrag v. 8.7.1999 verkaufte sie eine durch Ausbau des Dachgeschosses eines Hauses noch zu errichtende Wohnung zum Preis von 444.000 DM an die Klägerin.
Dem Vertragsschluss vorausgegangen waren Verhandlungen zwischen einer Mitarbeiterin der Beklagten, der Zeugin Dr. L. , und der Klägerin, die von ihrem Bekannten, dem Zeugen Rechtsanwalt W. , begleitet wurde. Nach den Behauptungen der Klägerin erklärte Dr. L. während der Verhandlungen, auf dem der künftigen Dachgeschosswohnung gegenüberliegenden Grundstück der Beklagten solle ein lediglich zweigeschossiges Gebäude errichtet werden, so dass die Sicht aus der Wohnung auf den Taunus uneingeschränkt erhalten bleibe. Tatsächlich war bereits zu diesem Zeitpunkt der - zwischenzeitlich begonnene - Bau eines viergeschossigen Wohn- und Geschäftshauses durch einen Investor geplant, wovon die Klägerin erst nach Bezug der Wohnung Kenntnis erhielt. Die mehr als zweigeschossige Nachbarbebauung, so hat die Klägerin behauptet, habe zu einem um 20 % geminderten Wert der Wohnung geführt.
Sie verlangt daher Schadensersatz i. H. v. 20 % des Kaufpreises sowie entsprechend geminderter Erwerbskosten und nimmt die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung von 47.613,80 EUR in Anspruch. Das LG hat die Klage nach Vernehmung des Zeugen W. und der Zeugin Dr. L. über den Inhalt der Vertragsverhandlungen abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung des LG gewandt und insb. gerügt, dass das LG die Zeugen nicht gehört habe, die sie zur Erschütterung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Dr. L. benannt habe. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer von dem OLG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält die Klage auf der Grundlage der in erster Instanz getroffenen Feststellungen für unbegründet. Die von der Klägerin behaupteten Falschangaben der Zeugin Dr. L. zur zweigeschossigen Bebauung des gegenüberliegenden Grundstücks seien nicht bewiesen. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen, die gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erneute Feststellungen in der Berufungsinstanz gebieten könnten, habe die Klägerin nicht aufgezeigt. Die von dem Eingangsgericht vorgenommene Beweiswürdigung unterliege zwar gewissen Zweifeln, sei im Ergebnis jedoch zutreffend. Soweit die Klägerin das Übergehen erstinstanzlicher Beweisanträge gerügt habe, betreffe dies einen nicht von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel, der gem. § 529 Abs. 2 S. 1 ZPO nur dann Zweifel i. S. v. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen könne, wenn er nach Maßgabe des § 520 Abs. 3 ZPO in der Berufungsbegründung ordnungsgemäß geltend gemacht worden sei. Diesen Anforderungen entspreche die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge nicht, weil es an einer konkreten Bezeichnung der angebotenen Zeugen und der Angabe des genauen Aktenfundorts der jeweiligen Beweisangebote fehle.
Dies hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
II.
1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ansatz des Berufungsgerichts. Für den Fall, dass - wie die Klägerin behauptet - die für die Beklagte handelnde Zeugin Dr. L. im Rahmen der Vertragsverhandlungen unzutreffende Angaben zu der geplanten Bebauung des gegenüberliegenden Grundstücks gemacht haben sollte, wären die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluss erfüllt (vgl. BGH v. 20.9.1996 - V ZR 173/95, NJW-RR 1997, 144 [145]; Urt. v. 26.9.1997 -- V ZR 29/96, MDR 1998, 25 = NJW 1998, 302). Die Gewährleistungsvorschriften des hier weiterhin anwendbaren früheren Rechts (Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB) sind nicht einschlägig und stehen mithin einer Haftung der Beklagten wegen Verschuldens bei Vertragsschluss nicht entgegen. Der Umstand, dass der gegenwärtige oder zukünftige Eigentümer eines benachbarten Grundstücks zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht den Willen hat, dieses entsprechend den baurechtlichen Möglichkeiten zu bebauen, stellt keine Eigenschaft des veräußerten Objekts, deren Fehlen als Sachmangel qualifiziert werden könnte (BGH, Urt. v. 14.1.1993 - IX ZR 206/91, MDR 1993, 691 = NJW 1993, 1323 [1324]).
2. Hingegen rügt die Revision mit Erfolg, dass das Berufungsgericht erneute Feststellungen zu dem zwischen den Parteien streitigen Inhalt der Vertragsverhandlungen unter Verletzung des Verfahrensrechts abgelehnt hat. Auch nach neuem Recht unterliegen Berufungsurteile auf entsprechende Verfahrensrüge hinsichtlich der vollständigen Berücksichtigung des Streitstoffs und der Beweisangebote der Überprüfung durch das Revisionsgericht (Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 546 Rz. 15). Dies führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass sich konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit des von dem Eingangsgericht zu Grunde gelegten Sachverhalts, die nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO erneute Feststellungen des Berufungsgerichts gebieten, sowohl aus Fehlern der Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Urteil (a), als auch aus dem Übergehen erstinstanzlichen Vorbringens der Klägerin (b) ergeben.
a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insb. aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. Begründung zum RegE eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, 100; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897 [1901]; Stackmann, NJW 2003, 169 [171]).
aa) Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind (Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 529 Rz. 21; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rz. 8). Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urt. v. 11.2.1987 - IVb ZR 23/86, MDR 1987, 566 = NJW 1987, 1557 [1558]; Urt. v. 9.7.1999 - V ZR 12/98, MDR 1999, 1253 = NJW 1999, 3481 [3482]). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt u. a. dann vor, wenn Umständen Indizwirkungen zuerkannt werden, die sie nicht haben können, oder wenn die Ambivalenz von Indiztatsachen nicht erkannt wird (BGH, Urt. v. 22.1.1991 - VI ZR 97/90, MDR 1991, 993 = NJW 1991, 1894 [1895]; Urt. v. 23.1.1997 - I ZR 29/94, MDR 1997, 1146 = NJW 1997, 2757 [2759]).
(1) Hieran gemessen ist die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil zumindest insoweit fehlerhaft, als es um die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen W. geht. Dessen Bekundungen hat das Gericht erster Instanz vor allem deshalb für unglaubhaft gehalten, weil der Zeuge die angebliche Zusicherung der Zeugin Dr. L. , das gegenüberliegende Grundstück werde nur zweigeschossig bebaut, nicht überprüft und sich insb. bei der Stadt O. nicht nach dem Bestand und dem Inhalt eines etwaigen Bebauungsplans erkundigt habe. Diesem Umstand kommt indes die ihm vom Gericht zuerkannte Indizwirkung nicht zu. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund für den Zeugen W. , der an den Vertragsverhandlungen nicht als beauftragter Rechtsanwalt, sondern allein wegen seiner Bekanntschaft mit der Klägerin teilgenommen hatte, Anlass bestehen konnte, Erkundigungen zu den Äußerungen der Zeugin Dr. L. einzuholen. Zudem ist das herangezogene Indiz auch auf Grund seiner Ambivalenz nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen W. infrage zu stellen. Selbst für die Klägerin gab es nämlich keine Veranlassung, die von der Zeugin Dr. L. erteilten Auskünfte zu überprüfen, wenn sie auf deren Richtigkeit vertraute. Dass die Angaben der Zeugin einen für den Vertragswillen der Klägerin bedeutsamen Punkt betrafen, steht dieser Möglichkeit nicht entgegen. Das Unterbleiben von Nachforschungen lässt deshalb nicht ohne weiteres darauf schließen, dass die Zeugin Dr. L. eine zweigeschossige Nachbarbebauung nicht zugesagt hat. Vielmehr lässt dieser Umstand auch den Schluss zu, die Klägerin habe sich ebenso wie der Zeuge W. auf eine derartige Zusage verlassen.
(2) Geht das Eingangsgericht - wie hier - auf Grund einer fehlerhaften Beweiswürdigung von der Nichterweislichkeit einer entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung aus, so bestehen konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen (Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 513 Rz. 13, § 529 Rz. 35). Hierbei genügt es, wenn nur ein tragendes Element der erstinstanzlichen Beweiswürdigung in seiner Aussagekraft geschmälert wird (Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 529 Rz. 32), weil bereits dann die Unrichtigkeit oder Lückenhaftigkeit der getroffenen Feststellungen als Folge der konkreten Anhaltspunkte nicht ausgeschlossen werden kann (Rimmelspacher, NJW 2002, 1897 [1902]). So liegt der Fall auch hier. Ausweislich seiner Ausführungen zur Beweiswürdigung ist das erstinstanzliche Gericht nur deshalb zu dem Ergebnis der Nichterweislichkeit unzutreffender Angaben der Zeugin Dr. L. gelangt, weil es Anlass gesehen hat, an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen W. zumindest zu zweifeln. Können diese Bedenken ausgeräumt werden, so ist es möglich, dass der Tatrichter die Aussage des Zeugen W. als glaubhaft ansieht. Da die Beweiswürdigung dann auch zu einem anderen Ergebnis führen kann, besteht die nicht nur theoretische Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses. In solcher Situation sind erneute oder auch erstmalige (Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rz. 12) neue Tatsachenfeststellungen durch das Berufungsgericht gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO geboten (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 14/6036, 123; Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 529 Rz. 36; Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 529 Rz. 24; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rz. 11).
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich weder das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte noch die Erforderlichkeit erneuter Feststellungen mit der Erwägung verneinen, das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweiswürdigung unterliege zwar "gewissen Zweifeln", sei aber aus anderen Gründen richtig. Zu dieser Schlussfolgerung konnte das Berufungsgericht nur auf Grund einer eigenständigen Würdigung der in erster Instanz erhobenen Beweise gelangen. Dies stellt jedoch, worauf die Revision zutreffend hinweist, der Sache nach eine erneute Tatsachenfeststellung dar, die aber nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte und das Gebotensein nochmaliger Feststellungen gerade voraussetzt.
cc) Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht deshalb als richtig dar (§ 561 ZPO), weil das Berufungsgericht die Voraussetzungen einer nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO gebotenen erneuten Tatsachenfeststellung zwar - fehlerhaft - verneint, eine solche aber doch vorgenommen hat. Die Tatsachenfeststellung in dem Berufungsurteil leidet nämlich ebenfalls an einem Verfahrensmangel und kann deshalb keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht stützt seine Auffassung, die von der Klägerin behauptete Zusicherung einer zweigeschossigen Bebauung des Nachbargrundstücks sei nicht erwiesen, darauf, dass beide Zeugen ein persönliches Interesse am Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits hätten. Damit stellt das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit der Zeugen infrage, was - wie die Revision zu Recht rügt - nur auf Grund deren nochmaliger Vernehmung zulässig gewesen wäre, nachdem das erstinstanzliche Gericht beide Zeugen als glaubwürdig angesehen hat. Es hat sich mit der fehlenden Glaubwürdigkeit der Zeugen W. und Dr. L. nur insoweit befasst, als es angesichts der sich widersprechenden Aussagen erwogen hat, einer von beiden Zeugen müsse gelogen haben. Zu einer Aufklärung hat sich das erstinstanzliche Gericht jedoch außer Stande gesehen, seine Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit daher nicht weiterverfolgt und seine weiteren Ausführungen auf die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen beschränkt. Die Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme verpflichtet ist, wenn die Voraussetzungen für eine erneute Tatsachenfeststellung vorliegen, beantwortet sich nach den von der Rechtsprechung zum bisherigen Recht entwickelten Grundsätzen (Musielak/Huber, ZPO, 3. Aufl., § 398 Rz. 5; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rz. 13). Es verbleibt mithin dabei, dass das Berufungsgericht bei pflichtgemäßer Ausübung des ihm durch §§ 525 S. 1, 398 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals vernehmen muss, wenn es dessen Glaubwürdigkeit abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. BGH, Urt. v. 29.10.1996 - VI ZR 262/95, MDR 1997, 191 = NJW 1997, 466; Urt. v. 10.3.1998 - VI ZR 30/97, MDR 1998, 793 = NJW 1998, 2222 [2223] m. w. N.).
b) Zweifel an der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ergeben sich zudem daraus, dass das Eingangsgericht die unter Beweis gestellte Behauptung der Klägerin nicht berücksichtigt hat, die Zeugin Dr. L. habe auch anderen Interessenten eine lediglich zweigeschossige Bebauung des Nachbargrundstücks zugesagt. Träfe diese Behauptung zu, so wäre sie geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Dr. L. , sie habe die Klägerin ebenso wie alle übrigen Interessenten auf die geplante viergeschossige Bebauung hingewiesen, infrage zu stellen. Besteht mithin unter Zugrundelegung der von der Klägerin behaupteten Tatsache zumindest die Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses, so ist gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO eine erneute Tatsachenfeststellung geboten. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist hierfür eine den formalen Anforderungen des Revisionsrechts genügende Berufungsrüge selbst dann nicht Voraussetzung, wenn - wie hier - zugleich auch ein Verfahrensfehler des Erstrichters vorliegt. Insoweit stellt das Berufungsgericht, was die Revision mit Erfolg geltend macht, zum einen zu hohe Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit einer Verfahrensrüge gem. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO (aa) und verkennt zum anderen auch die Bedeutung des § 529 Abs. 2 S. 1 ZPO (bb).
aa) Das Berufungsgericht überspannt die inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung, soweit es die Ordnungsmäßigkeit der von der Klägerin gem. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO erhobenen Berufungsrüge mit der Begründung verneint, es fehle an der erforderlichen namentlichen Benennung der in erster Instanz angebotenen Zeugen und an der Angabe des Aktenfundorts der jeweiligen Beweisangebote.
(1) Wendet sich der Berufungskläger - wie hier - gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil, so greift er, gestützt auf den Berufungsgrund des § 513 Abs. 1 Alt. 2 ZPO, die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen mit dem Ziel einer erneuten Feststellung durch das Berufungsgericht an. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Berufung muss er deshalb gem. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO die Voraussetzungen darlegen, unter denen nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die Bindung des Berufungsgerichts an die vom Eingangsgericht getroffenen Feststellungen entfällt (BGH, Beschl. v. 28.5.2003 - XII ZB 165/02, MDR 2003, 1192 = BGHReport 2003, 968 = NJW 2003, 2531 [2532]). Dies hat die Klägerin bereits dadurch getan, dass sie die Feststellungen des Erstrichters unter Hinweis auf ein bereits in erster Instanz vorgelegtes Beschwerdeschreiben mehrerer Wohnungseigentümer angegriffen und ihre Behauptung wiederholt hat, die Zeugin Dr. L. habe auch anderen Interessenten eine lediglich zweigeschossige Bebauung des Nachbargrundstücks zugesagt. Da dieses Vorbringen die Glaubhaftigkeit der inhaltlich widersprechenden Aussage der Zeugin infrage stellen kann und in dem mit der Berufung angefochtenen Urteil nicht berücksichtigt worden ist, sind nach der Berufungsbegründung konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an den erstinstanzlich getroffenen Feststellungen mit der Folge gegeben, dass das Berufungsgericht insoweit nicht mehr gebunden ist. Auf die von der Klägerin angebotenen Zeugen wäre es erst angekommen, wenn die vom Berufungsgericht vorzunehmende Prüfung ergeben hätte, dass die Behauptung der Klägerin von der Beklagten wirksam bestritten worden war.
(2) Nichts anderes folgt aus § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO, falls diese Regelung für Angriffe gegen Tatsachenfeststellungen auf Grund von Verfahrensfehlern - zusätzlich - anwendbar sein sollte (befürwortend Fellner, MDR 2003, 721 [722]; abl. Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 520 Rz. 40). Hieraus ergeben sich im Ergebnis keine weiter gehenden Anforderungen an den notwendigen Inhalt der Berufungsbegründung. Die ohnehin erforderliche Darlegung der in § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO bestimmten Voraussetzungen reicht nämlich im Falle eines Verfahrensmangels auch für die nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO gebotene Darlegung einer entscheidungskausalen Rechtsverletzung aus. Insbesondere muss der Berufungskläger zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des geltend gemachten Verfahrensfehlers lediglich aufzeigen, dass das Eingangsgericht ohne den Verfahrensverstoß möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre (Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 520 Rz. 33).
(3) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lassen sich strengere formale Anforderungen an die Berufungsbegründung nicht daraus herleiten, dass ein Revisionskläger, der gem. § 551 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. b ZPO ein verfahrensfehlerhaftes Übergehen von Tatsachenbehauptungen oder Beweisangeboten rügen will, diese unter Angabe der Fundstelle in den Schriftsätzen der Vorinstanzen genau bezeichnen muss (vgl. dazu BGH BGHZ 14, 205 [209 f.]; BAG v. 8.2.1983 - 3 AZR 10/81, ZIP 1983, 605 [606]; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 554 Rz. 13; Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 551 Rz. 21; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 551 Rz. 11). Dieses revisionsrechtliche Erfordernis ist auf das Berufungsverfahren nicht übertragbar (a. A. Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 520 Rz. 32; Ball, WuM 2002, 296 [299]; wohl auch Stackmann, NJW 2003, 169 [171 f.]). Es findet seine Rechtfertigung in der durch § 559 Abs. 1 ZPO allein für das Revisionsverfahren angeordneten Beschränkung des Prozess-Stoffs. Danach kann aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll nicht ersichtliches Parteivorbringen nur über eine Nichtberücksichtigungsrüge zur Beurteilungsgrundlage des Revisionsgerichts werden (vgl. Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 559 Rz. 3, 7). Diese Rüge muss so konkret sein, dass keine Zweifel an dem vom Revisionsgericht zu Grunde zu legenden Tatsachenstoff verbleiben. Das Berufungsverfahren kennt hingegen keine § 559 Abs. 1 ZPO vergleichbare Bestimmung. Eine entsprechende Anwendung der revisionsrechtlichen Regelung scheitert an den unterschiedlichen Funktionen der Rechtsmittel (Gaier, NJW 2004, 110 [111]; a. A. Grunsky, NJW 2002, 800 [801]; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897 [1901]). Anders als im Revisionsverfahren ist das angefochtene Urteil nicht nur auf Rechtsfehler hin zu überprüfen, vielmehr gehört es gem. § 513 Abs. 1 ZPO zu den Aufgaben der Berufung, das Urteil der Vorinstanz auch auf konkrete Anhaltspunkte für Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit der getroffenen Tatsachenfeststellungen zu prüfen und etwaige Fehler zu beseitigen (Begründung zum RegE eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, 64; Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 513 Rz. 1, 7, 12 f.). Fehlt es mithin an einer begrenzenden Regelung, so gelangt mit einem zulässigen Rechtsmittel grundsätzlich der gesamte - wie noch auszuführen sein wird, aus den Akten ersichtliche - Prozess-Stoff der ersten Instanz ohne weiteres in die Berufungsinstanz (Barth, NJW 2002, 1702 [1703]; Gaier, NJW 2004, 110 [112]). Damit steht auch der von dem Berufungsgericht zu berücksichtigende Tatsachenstoff fest, weshalb es einer Nichtberücksichtigungsrüge und der für sie geltenden formalen Anforderungen nicht bedarf.
bb) Zudem hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, dass die ihm nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO obliegende Kontrolle der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils im Fall eines - wie hier - zulässigen Rechtsmittels ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge besteht.
(1) Eine Bindung des Berufungsgerichts an solche Zweifel begründende Umstände, die in der Berufungsbegründung dargelegt sind, folgt insb. nicht aus § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO. Danach müssen zwar konkrete Anhaltspunkte i. S. d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO in der Berufungsbegründung bezeichnet werden. Auf solche Umstände wird die Überprüfung durch das Berufungsgericht allerdings nicht beschränkt, sondern lediglich eine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels geregelt (§ 522 Abs. 1 S. 1 ZPO). Die Notwendigkeit einer Rüge lässt sich dem Wortlaut anderer Gesetzesvorschriften ebenso wenig entnehmen. Sie entspricht auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Nach den Gesetzesmaterialien hat das Berufungsgericht Zweifeln an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen selbst dann nachzugehen, wenn es sie unabhängig vom Parteivortrag auf Grund lediglich bei ihm gerichtskundiger Tatsachen gewonnen hat (Begründung zum RegE eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, 100). Damit kann und muss das Berufungsgericht erst recht konkrete Anhaltspunkte berücksichtigen, die ihre Grundlage im erstinstanzlichen Vorbringen der Parteien haben, auch wenn das Übergehen dieses Vortrags von dem Berufungskläger nicht zum Gegenstand einer Berufungsrüge gemacht worden ist (Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 529 Rz. 12). Bemerkt das Berufungsgericht etwa anlässlich der Prüfung sonstiger Berufungsrügen, dass das Eingangsgericht eine für die Beweiswürdigung bedeutsame Tatsache oder ein erhebliches Beweisangebot übergangen hat, dann bestehen auch ohne dahingehende Rüge konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen, die das Berufungsgericht gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichten (a. A. Rimmelspacher, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, 2003, S. 11, 16).
(2) Dem steht nicht entgegen, dass das erstinstanzliche Gericht hier Parteivorbringen übergangen hat und darin ein Verfahrensfehler in Gestalt der Versagung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder des Verstoßes gegen § 286 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 15.3.2000 - VIII ZR 31/99, MDR 2000, 716 = NJW 2000, 2024 [2026]) zu sehen ist. Zwar prüft das Berufungsgericht einen Mangel des Verfahrens - soweit er nicht von Amts wegen berücksichtigt werden muss - gem. § 529 Abs. 2 S. 1 ZPO nur dann, wenn er gem. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO in der Berufungsbegründung gerügt worden ist. Hierdurch wird jedoch die durch § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO geregelte tatsächliche Inhaltskontrolle des Berufungsgerichts entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 520 Rz. 53, § 529 Rz. 14, 38; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897 [1902]; Rimmelspacher, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, S. 11, 15; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rz. 9, 23; Hinz, NZM 2001, 601 [605]; Gehrlein, MDR 2003, 421 [428]) nicht eingeschränkt (Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 513 Rz. 8, § 529 Rz. 27, 43; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 529 Rz. 12; Vorwerk, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, S. 4, 6; Gaier, NJW 2004, 110 [112]). Von der Aufgabe des Berufungsgerichts, konkreten Anhaltspunkten ungeachtet einer Berufungsrüge nachzugehen, macht das Gesetz keine Ausnahme, wenn sich - was ohnehin die weitaus praktischste Fallgestaltung darstellen dürfte - konkrete Anhaltspunkte i. S. d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO aus Verfahrensfehlern des Erstrichters bei der Feststellung des Sachverhalts ergeben. Dies zeigt sich an der Systematik des § 529 ZPO, der mit seinen Absätzen klar zwischen den Aufgaben des Berufungsgerichts bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht trennt (Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 513 Rz. 8, § 529 Rz. 27, 43). Für die tatsächliche Inhaltskontrolle ist ausschließlich § 529 Abs. 1 ZPO maßgebend, eine Vermischung mit der in § 529 Abs. 2 ZPO geregelten Rechtsfehlerkontrolle darf mithin selbst dann nicht stattfinden, wenn die fehlerhaften Tatsachenfeststellungen im erstinstanzlichen Urteil auf einem Verfahrensmangel beruhen.
(3) Das Berufungsgericht ist an der Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens nicht deshalb gehindert gewesen, weil dieser Vortrag weder durch eine Darstellung im Tatbestand noch durch eine § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO genügende Bezugnahme (vgl. BGH, Urt. v. 18.2.1954 - IV ZR 126/53, LM § 295 ZPO Nr. 9) in dem erstinstanzlichen Urteil Erwähnung gefunden hat.
á) Die auf § 314 ZPO gestützte Annahme, dass nicht erwähnte Angriffs- und Verteidigungsmittel, auch tatsächlich unterblieben sind (negative Beweiskraft des Tatbestandes), wäre nur dann gerechtfertigt, wenn das Parteivorbringen in dem Urteilstatbestand vollständig wiedergegeben werden müsste. Nur dann könnte nämlich von dem Fehlen einer Darstellung auf das Fehlen entsprechenden Vortrags geschlossen werden. Eine vollständige Wiedergabe des Parteivorbringens kann aber nicht mehr zu den Funktionen des Urteilstatbestandes zählen, nachdem sich das Gesetz in § 313 Abs. 2 ZPO mit einer "knappen" Darstellung nur des "wesentlichen Inhalts" der vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel begnügt (Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 559 Rz. 7; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rz. 7, § 559 Rz. 17; Musielak in FS für Geiß, 2000, S. 3, 20; Fischer, DRiZ 1994, 461 [462 f.]; Crückeberg, MDR 2003, 199 [200]; Gaier, NJW 2004, 110 [111]; Rixecker, NJW 2004, 705 [708]; a. A. Rimmelspacher, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, S. 11, 13). Dies hängt eng zusammen mit der Aufgabe der ursprünglichen Konzeption des Zivilprozesses als eines rein mündlichen Verfahrens, nach der mündlicher Vortrag weder durch ein Verlesen noch durch eine Bezugnahme auf Schriftsätze ersetzt werden konnte (§ 128 Abs. 3 S. 1 CPO 1877/§ 137 Abs. 3 S. 1 CPO 1900). Wurde hiernach ausschließlich das mündlich Vorgetragene zum Prozess-Stoff, so konnte dieser nicht durch den Inhalt der Schriftsätze, sondern allein durch den - tunlichst vollständigen - Urteilstatbestand nachgewiesen werden. Insbesondere seit der gänzlichen Aufgabe des Bezugnahmeverbots durch die Neufassung des § 137 Abs. 3 S. 1 ZPO (RGBl. I 1924, 135) stehen indessen die vorbereitenden Schriftsätze ebenfalls zum Nachweis des Parteivorbringens zur Verfügung. Da mit der Antragstellung und der mündlichen Verhandlung im Zweifel eine Bezugnahme der Parteien auf den Inhalt der zur Vorbereitung vorgelegten Schriftstücke verbunden ist (BGH, Urt. v. 28.11.2001 - IV ZR 309/00, NJW-RR 2002, 381 m. w. N.), ergibt sich der Prozess-Stoff auch aus dem Inhalt der Gerichtsakten. Der BGH hat bereits vor dem Hintergrund dieser Überlegung - wenn auch ohne ausdrückliche Aufgabe der Rechtsprechung zur negativen Beweiskraft - auf entsprechende Revisionsrüge Vorbringen berücksichtigt, das im Tatbestand nicht erwähnt war (BGH, Urt. v. 16.6.1992 - XI ZR 166/91, NJW 1992, 2148 [2149]; Urt. v. 7.12.1995 - III ZR 141/93, NJW-RR 1996, 379; vgl. auch Urt. v. 28.11.2001 - IV ZR 309/00, a. a. O.). Allein mit dem Hinweis auf die negative Beweiskraft des Urteilstatbestandes kann mithin Parteivorbringen, das sich aus den vorbereitenden Schriftsätzen ergibt, in den Rechtsmittelverfahren nicht unberücksichtigt bleiben. Hingegen bleibt die negative Beweiskraft für solche Angriffs- und Verteidigungsmittel von Bedeutung, die in der mündlichen Verhandlung ohne vorherige Ankündigung in einem vorbereitenden Schriftsatz vorgebracht werden (Ball in FS für Geiß, 2000, S. 3, 20).
â) Allerdings hat die Rechtsprechung bisher dem Urteilstatbestand auf Grund des § 314 ZPO auch negative Beweiskraft hinsichtlich des mündlichen Parteivorbringens beigelegt. Danach soll der Tatbestand nicht nur Beweis dafür erbringen, dass das, was in ihm als Parteivortrag wiedergegeben wird, tatsächlich vorgetragen worden ist, sondern auch beweisen, dass von den Parteien nichts behauptet worden ist, was nicht aus dem Tatbestand ersichtlich ist (Senat, Urt. v. 25.5.1984 - V ZR 199/82, NJW 1984, 2463, insoweit in BGHZ 91, 282 nicht abgedr.; BGH, Urt. v. 27.5.1981 - IVa ZR 55/80, NJW 1981, 1848; Urt. v. 3.11.1982 - IVa ZR 39/81, NJW 1983, 885 [886] m. w. N.; Urt. v. 16.5.1990 - IV ZR 64/89, NJW-RR 1990, 1269). Dieser bereits vom Reichsgericht (RGZ 4, 418 [420]; RG, JW 1887, 38; 1896, 72; 1897, 52 [53]) vertretenen Auffassung ist das BVerwG beigetreten (BVerwG, Beschl. v. 13.4.1989 - 1 B 21/89 m. w. N.). Gleichwohl bedarf es hier weder einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen (§ 132 GVG) noch an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (§ 2 RsprEinhG). Beide Vorlagen setzen voraus, dass die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage für die Entscheidung des konkreten Falles nach Auffassung des vorlegenden Senats erforderlich wird, das vorlegende Gericht also bei Befolgung der abweichenden Ansicht zu einem anderen Ergebnis gelangen würde (BGH, Beschl. v. 15.2.2000 - XI ZR 10/98, NJW 2000, 1185 zu § 132 GVG; GmS-OGB, BGHZ 88, 353 [357] zu § 2 RsprEinhG). An diesem Erfordernis fehlt es; denn das angefochtene Urteil ist bereits deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sich konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit des zu Grunde gelegten Sachverhalts aus den bereits erörterten Fehlern der Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil ergeben.
III.
Nach alledem war die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird zunächst die gebotenen Feststellungen zum Inhalt der geführten Vertragsverhandlungen nachholen müssen. Sollte danach von dem Vorliegen der Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs auszugehen sein, wären weiter gehende Feststellungen zur Schadenshöhe erforderlich. Da die Klägerin an dem geschlossenen Vertrag festhalten will, wäre als ersatzfähiger Schaden der Betrag anzusetzen, um den die Klägerin die Dachgeschosswohnung im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben der Zeugin Dr. L. zu teuer erworben hat (vgl. BGH, Urt. v. 6.4.2001 - V ZR 394/99, GmbHR 1999, 1194 = NJW 2001, 2875 [2877] m. w. N.).
Fundstellen
Haufe-Index 1132073 |
BGHZ 2005, 269 |
NJW 2004, 1876 |
BGHR 2004, 833 |
BauR 2004, 1175 |
WM 2004, 845 |
WuB 2005, 257 |
ZfIR 2004, 703 |
AnwBl 2004, 442 |
MDR 2004, 954 |
MDR 2006, 554 |
BTR 2004, 138 |
BrBp 2004, 391 |
Info M 2004, 25 |
Mitt. 2004, 284 |
ProzRB 2004, 213 |
ProzRB 2004, 214 |
ProzRB 2004, 216 |
ProzRB 2004, 244 |