Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung nachehelichen Betreuungsunterhalts nach vorehelich erklärtem Unterhaltsverzicht
Leitsatz (amtlich)
Zur Bemessung des nachehelichen Betreuungsunterhalts nach vorehelich erklärtem Unterhaltsverzicht, wenn der Unterhaltsberechtigte Vermögen, das er nach der Trennung als Erlös aus der Veräußerung eines gemeinschaftlichen Hauses erhalten hatte, bis zur Scheidung der Ehe verbraucht hat.
Normenkette
BGB §§ 1570, 242
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 08.11.1995) |
AG Mönchengladbach |
Tenor
Die Revision des Antragsgegners gegen das Urteil des 5. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 8. November 1995 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Antragstellerin nimmt den Antragsgegner (im folgenden – wie im Berufungsurteil – Klägerin und Beklagter) auf nachehelichen Unterhalt in Anspruch.
Die Parteien lebten seit 1982 zusammen und schlossen am 11. Dezember 1985 die Ehe, aus der zwei am 9. April 1987 und am 15. März 1990 geborene Töchter hervorgingen. Diese leben seit der Trennung der Parteien im Jahre 1992 bei der Mutter.
Die im Jahre 1959 geborene Klägerin war bis zur Geburt des zweiten Kindes voll erwerbstätig. Danach versorgte sie die Familie und den Haushalt. In der Zeit von 1994 bis Frühjahr 1995 arbeitete sie an verschiedenen Putzstellen. Später bezog sie Sozialhilfe, Kindergeld und einen Zuschlag zu dem Kindergeld. Während der Trennungszeit zahlte der Beklagte ihr Ehegattenunterhalt von monatlich zwischen 1.100 DM und 1.300 DM.
Die Parteien waren Miteigentümer eines Hausgrundstücks, das sie nach der Trennung veräußerten. Von dem Erlös erhielten beide im Januar 1993 einen Anteil von jeweils 81.359,19 DM. Die Klägerin hat den ihr zugeflossenen Erlösanteil verbraucht.
Am 10. Dezember 1985, dem Tag vor der Eheschließung, setzten die Parteien – unter von ihnen streitig dargestellten Umständen über das Zustandekommen der Vereinbarung – eine schriftliche Erklärung auf, nach der sie „für den Fall der Scheidung wechselseitig auf jegliche Unterhaltszahlungen für Vergangenheit und Zukunft (verzichteten), und zwar auch für die Fälle der Unterhaltsberechtigung nach den §§ 1570 ff BGB wegen Pflege oder Erziehung der Kinder.”
Unter Berufung auf diesen Unterhaltsverzicht tritt der Beklagte dem Begehren der Klägerin auf nachehelichen Unterhalt entgegen.
Das Amtsgericht hat durch Verbundurteil die Ehe der Parteien geschieden (insoweit rechtskräftig seit Oktober 1995), die elterliche Sorge für die beiden Töchter auf die Klägerin übertragen und – neben der Regelung des Versorgungsausgleichs – den Beklagten zur Zahlung nachehelichen Unterhalts von monatlich 816,67 DM an die Klägerin verurteilt. Auf die hiergegen eingelegte Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht – unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils – die Unterhaltsverpflichtung des Beklagten auf monatlich 785 DM herabgesetzt.
Mit der – zugelassenen – Revision erstrebt der Beklagte die volle Abweisung des Unterhaltsbegehrens.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat den am 10. Dezember 1985 vereinbarten wechselseitigen Unterhaltsverzicht der Parteien grundsätzlich als wirksam angesehen.
Dagegen erhebt die Revision als ihr günstig keine Einwände. Nach dem festgestellten Sachverhalt läßt die Wertung des Berufungsgerichts auch keinen Rechtsfehler erkennen. Die Ausführungen in Abschnitt 1. b) des angefochtenen Urteils, die die Revisionserwiderung zur Überprüfung des Senats stellt (vgl. dazu auch Heß in FamRZ 1996, 981 ff.), begegnen keinen Bedenken. Insoweit hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung fest (vgl. Senatsurteile vom 15. Oktober 1986 – IVb ZR 79/85 = FamRZ 1987, 46, 47; vom 28. November 1990 – XII ZR 16/90 = FamRZ 1991, 306 f., jeweils m.N.).
2. Das Berufungsgericht hat es dem Beklagten jedoch – auf der Grundlage der Rechtsprechung des erkennenden Senats – gemäß § 242 BGB versagt, sich auf den von der Klägerin erklärten Unterhaltsverzicht zu berufen, weil und soweit dies zu Lasten der Versorgung der gemeinschaftlichen minderjährigen Kinder durch die Klägerin ginge. Hierzu hat das Gericht im einzelnen ausgeführt: Die Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch der Klägerin wegen Kindesbetreuung nach § 1570 BGB seien an sich erfüllt. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im September 1995 seien die beiden Töchter acht und fünf Jahre alt gewesen. Vor Vollendung des achten Lebensjahres des jüngsten Kindes komme eine Erwerbsobliegenheit des sorgeberechtigten Elternteils grundsätzlich nicht in Betracht. Demgemäß wäre der Beklagte ohne die Vereinbarung vom 10. Dezember 1985 verpflichtet, den vollen Bedarf der Klägerin nach den ehelichen Lebensverhältnissen der Parteien zu decken. Durch die Verzichtsvereinbarung habe die Klägerin ihren Anspruch auf den nachehelichen Unterhalt jedoch grundsätzlich verloren, so daß sie ihren Unterhalt deshalb selbst sicherstellen müßte. Soweit dies aber durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit geschähe, ginge es zu Lasten der gemeinschaftlichen Kinder. Das lasse sich mit Treu und Glauben nicht vereinbaren, da die Kinder Anspruch darauf hätten, von dem sorgeberechtigten Elternteil persönlich betreut und versorgt zu werden. Daß die Pflege und Erziehung der beiden Kinder anders als durch die persönliche Betreuung der Klägerin gewährleistet werden könne, sei nicht ersichtlich.
Diese Ausführungen lassen einen Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten nicht erkennen. Sie stehen auch in den Grundzügen mit der Rechtsprechung des Senats in Einklang (vgl. etwa Senatsurteile vom 24. April 1985 – IVb ZR 17/84 – und – IVb ZR 22/84 = FamRZ 1985, 787 f. und 788 ff. sowie vom 9. Juli 1992 – XII ZR 57/91 = FamRZ 1992, 1403 ff. und vom 30. November 1994 – XII ZR 226/93 = FamRZ 1995, 291 ff.).
Soweit die Revision dem entgegenhält, die Senatsentscheidungen ließen nicht erkennen, wie bei einem Verzicht auf alle Ansprüche aus §§ 1569 ff. BGB – der das Stammrecht erfasse und deshalb zum endgültigen Verlust der nachehelichen Unterhaltsansprüche führe – gleichwohl vom Bestehen und der Fortdauer eines Betreuungsunterhaltsanspruchs ausgegangen werden könne, vermag sie die Senatsrechtsprechung damit nicht in Frage zu stellen. Der Verzicht auf Unterhaltsansprüche kann zeitlich befristet, aufschiebend oder auflösend bedingt sowie der Höhe nach oder insgesamt auf Teile der Unterhaltsberechtigung beschränkt werden (vgl. Schwab/Borth, Handbuch des Scheidungsrechts 3. Aufl. IV Rdn. 1283 ff., 1288, 1291 m.N.; MünchKomm/Richter BGB 3. Aufl. § 1585 c Rdn. 20 ff.). Verzichten Eheleute, wie auch im vorliegenden Fall, wechselseitig „für den Fall der Scheidung” auf Unterhaltszahlungen, so erfaßt ein solcher Verzicht – je nach seinem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt – in der Regel den gesamten nachehelichen Unterhalt, der in seiner Entstehung bedingt ist durch den Eintritt der Scheidung. Wenn indessen in einem solchen Fall das Wohl gemeinsamer Kinder Unterhaltszahlungen an den sorgeberechtigten Ehegatten erfordert und der unterhaltsverpflichtete Teil sich aus diesem Grund gemäß § 242 BGB nicht auf den Unterhaltsverzicht des sorgeberechtigten Ehegatten berufen kann, bedeutet dies, daß dessen Verzichtserklärung nicht nur als durch den Eintritt der Scheidung (aufschiebend) bedingt, sondern in Anbetracht des § 242 BGB zusätzlich als nach Dauer und Höhe insoweit beschränkt zu gelten hat, als nicht das Kindeswohl ein Weiterbestehen des Unterhaltsanspruchs gebietet. Der fortbestehende Unterhaltsanspruch des sorgeberechtigten Ehegatten ist entgegen der Auffassung der Revision kein Anspruch aus § 242 BGB, sondern er bleibt seiner Rechtsnatur nach ein Anspruch wegen Kindesbetreuung im Sinne von § 1570 BGB, der allerdings sowohl dem Umfang nach als auch zeitlich begrenzt nur soweit und solange gegeben ist, als die Belange des Kindeswohls es erfordern. Darüber hinaus führt der Unterhaltsverzicht zum Erlöschen des nachehelichen Unterhaltsanspruchs (vgl. Senatsurteile a.a.O. sowie vom 28. November 1990 aaO).
3. a) Zum Umfang des der Klägerin danach zustehenden Unterhaltsanspruchs hat das Berufungsgericht den Standpunkt vertreten: Nach den dargelegten Grundsätzen habe die Klägerin Anspruch auf Sicherung ihres Mindestbedarfs. Dieser sei als sogenanntes Existenzminimum mit monatlich 1.150 DM anzusetzen und liege in dieser Höhe unter einem Anspruch nach Maßgabe der ehelichen Lebensverhältnisse von monatlich rund 1.375 DM bzw. (bei Berücksichtigung des Unterhaltsbetrages für den volljährigen Sohn des Beklagten aus erster Ehe) rund 1.230 DM.
Dagegen sind aus Rechtsgründen keine Einwände zu erheben (vgl. Senatsurteile vom 9. Juli 1992 a.a.O. S. 1405 und vom 30. November 1994 aaO).
b) Das Berufungsgericht hat sodann weiter ausgeführt:
Der Beklagte könne dem erhobenen Anspruch nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Klägerin müsse den Stamm ihres Vermögens einsetzen, um dadurch ihren Unterhalt in den nächsten Jahren zu decken. Unabhängig davon, daß die Klägerin ihren Erlösanteil aus dem Verkauf des gemeinschaftlichen Hauses vollständig verbraucht habe, widerspreche eine Verweisung auf die Verwertung des Vermögensstammes den Grundsätzen von Treu und Glauben. Mit Zahlbeträgen von monatlich 375 DM und 310 DM für die beiden Kinder (Düsseldorfer Tabelle, 2. Einkommensstufe) leiste der Beklagte einen Unterhalt, der allenfalls geringfügig über dem Sozialhilfesatz (unter Berücksichtigung anteiliger Miet- und Heizkosten) liege und nur die Grundbedürfnisse der Kinder wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft abdecken könne. Ohne finanzielle Zuschüsse der Klägerin werde es daher auf absehbare Zeit nicht möglich sein, den Töchtern etwas zuzuwenden, was Kinder in ihrem Alter üblicherweise erhielten. Schon ein Urlaub mit der sorgeberechtigten Mutter lasse sich von Unterhaltsbeträgen von monatlich 1.150 DM bzw. 375 DM und 310 DM kaum finanzieren. Die Klägerin könne den Kindern auch im übrigen nur dann einige Annehmlichkeiten bieten, wenn sie auf ihr Kapital zurückgreifen könne. Wenn sie das Kapital hingegen vollständig für den laufenden eigenen Unterhalt einsetzen müßte, wäre es in absehbarer Zeit aufgebraucht und stünde für die Belange der Restfamilie einschließlich der Kinder nicht mehr zur Verfügung.
Hiervon abgesehen sei der Klägerin ein sogenannter „Notgroschen” für plötzlich auftretenden Sonderbedarf zu belassen. Dafür erscheine, da die Klägerin für sich und zwei Kinder sorgen müsse, eine Vermögensreserve von rund 15.000 DM als angemessen. Dabei könne nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Klägerin durch die Betreuung der beiden ehegemeinschaftlichen Kinder in finanzieller Hinsicht ohnehin wesentlich stärker belastet werde als der Beklagte. Nicht nur, daß sie durch Aufgabe ihrer Berufstätigkeit in ihrem laufenden Einkommen erhebliche Einbußen erlitten habe, müsse sie zusätzliche Nachteile in der Altersvorsorge hinnehmen. Wenn sie darüber hinaus auch noch ihren Erlösanteil für den eigenen laufenden Unterhalt verwenden müßte, würde diese Entwicklung zu ihren Lasten weiter erheblich verschärft, während der Beklagte nicht nur seine höheren Erwerbseinkünfte behalten und seine Altersvorsorge ausbauen, sondern auch seinen Erlösanteil behalten und durch Zinseinnahmen oder sonstige Anlageformen mehren könne. Ein solches Ungleichgewicht zu Lasten des sorgeberechtigten Elternteils widerspreche letztlich auch den Interessen der gemeinsamen Kinder.
Zusätzlich zu dem der Klägerin hiernach zur freien Verfügung zu belassenden Notgroschen sei ihr ein angemessener Betrag für erhöhte Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Auszug aus der Ehewohnung und dem Umzug in eine neue Wohnung zuzubilligen. Über den sich daraus ergebenden Betrag von insgesamt rund 20.000 DM hinaus hätte die Klägerin den ihr zugeflossenen Erlösanteil jedoch als Kapital nutzen müssen. Dabei hätte sie aus den verbleibenden 60.000 DM bei einem erzielbaren Zinssatz von jährlich 6 % monatlich 300 DM erwirtschaften können, die nicht zu versteuern seien. Diese müsse sie sich – ebenso wie den als bedarfsdeckendes Einkommen zu wertenden Kinderzuschlag von monatlich 65 DM – auf den Mindestunterhaltssatz von monatlich 1.150 DM anrechnen lassen, so daß ihr abschließend ein Unterhaltsanspruch von monatlich (1.150 DM abzüglich 300 DM abzüglich 65 DM =) 785 DM zustehe.
c) Hiergegen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.
Wie die Revision selbst ausdrücklich betont, richtet sich der Unterhaltsanspruch der Klägerin sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach an den Belangen und dem Wohl der beiden von ihr betreuten gemeinschaftlichen Kinder aus. Der Klägerin steht in Anbetracht des von ihr erklärten Unterhaltsverzichts ein Unterhaltsanspruch gegenüber dem Beklagten nur deshalb und nur insoweit zu, als sie auf die Unterhaltsbeträge notwendigerweise angewiesen ist, um ihren Betreuungspflichten gegenüber den beiden Töchtern nachkommen zu können. Deren Wohl wäre nicht gewahrt, wenn die Klägerin zur Deckung ihres notwendigen eigenen Lebensbedarfs – mangels sonst vorhandener Einkünfte – eine Erwerbstätigkeit aufnehmen müßte, anstatt sich der Pflege und Erziehung der Kinder widmen zu können. (Sonstige Betreuungsmöglichkeiten, etwa durch geeignete Verwandte der Klägerin, bestehen nach der unangegriffenen Feststellung des Berufungsgerichts nicht).
Die insoweit für den Unterhaltsanspruch der Klägerin erforderliche Bedürftigkeit liegt hier – unabhängig von den Erwägungen des Berufungsgerichts – bereits deshalb vor, weil die Klägerin den im Januar 1993 erhaltenen Erlösanteil aus der Veräußerung des früheren gemeinschaftlichen Hauses vollständig verbraucht hat. Nachdem sie die damals erhaltenen Beträge in einer Weise ausgegeben hat, daß ihr weder anderweitig verfügbare Werte noch erzielbare Einkünfte verblieben sind, ist sie zur Wahrnehmung ihrer elterlichen Fürsorge- und Erziehungspflichten gegenüber den beiden minderjährigen Kindern nur in der Lage, wenn und soweit ihr die persönliche Betreuung der Kinder ohne die Notwendigkeit, für ihren eigenen Unterhalt einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, durch Zahlung eines unterhaltsrechtlichen Mindestbetrages von Seiten des Beklagten ermöglicht wird. Hiernach muß der Klägerin ein die Betreuung der Kinder ermöglichender Unterhaltsanspruch zugebilligt werden.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts braucht sich die Klägerin nicht so behandeln zu lassen, als habe sie den Erlösanteil aus der Veräußerung des Hauses im wesentlichen behalten, so daß auch eine Verweisung auf den (tatsächlich verbrauchten) Vermögensstamm von vorneherein ausscheidet. Dabei kommt es auf eine Entscheidung der Frage, ob die Klägerin den im Januar 1993 erhaltenen Betrag von rund 81.000 DM in unwirtschaftlicher, i.S. von § 1579 Nr. 3 BGB unterhaltsbezogen „mutwilliger” Weise ausgegeben und damit an sich die Voraussetzungen eines unterhaltsrechtlichen Härtegrundes i.S. der genannten Vorschrift verwirklicht hat, unter den hier gegebenen Umständen nicht einmal an.
Selbst bei Vorliegen eines der Härtegründe nach § 1579 Nr. 1 bis 7 BGB, die grundsätzlich zum Wegfall eines nachehelichen Unterhaltsanpruchs führen können, ist nämlich der Unterhaltsanspruch eines sorgeberechtigten Ehegatten nur zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten auch unter Wahrung der Belange der dem Berechtigten zur Pflege und Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kinder grob unbillig wäre. Der Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB ist danach selbst bei Vorliegen der Härtegründe des § 1579 BGB in dem Sinn privilegiert, daß er im Interesse des Wohles der betreuten Kinder trotz Fehlverhaltens des sorgeberechtigten Ehegatten diesem gleichwohl die Wahrnehmung seiner Elternverantwortung sichern und gewährleisten soll. Dem wird in der Regel dadurch Genüge getan, daß der Unterhaltsanspruch auf das zur Kindesbetreuung notwendige Mindestmaß herabgesetzt wird (vgl. Senatsurteil vom 9. Juli 1992 a.a.O. S. 1405 m.N.; Soergel/Häberle BGB, 12. Aufl., § 1579 Rdn. 31, 34; Schwab/Borth a.a.O. IV Rdn. 430 ff.), so wie es gleichermaßen bei Zubilligung von Betreuungsunterhalt nach zuvor erklärtem Unterhaltsverzicht geschieht.
Ob etwas anderes zu gelten hat und der Unterhalt für den gemeinschaftliche Kinder betreuenden Ehegatten noch unter die Grenze des sogenannten Mindestbedarfs herabzusetzen ist – mit der Folge, daß der Ehegatte trotz der Kindesbetreuung in gewissem Umfang (u.U. abends) einer Teilerwerbstätigkeit nachgehen muß, um den eigenen notwendigen Bedarf sicherzustellen – wenn sich der Ehegatte ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten hat zuschulden kommen lassen (vgl. etwa Senatsurteile vom 9. November 1983 – IVb ZR 8/82 = FamRZ 1984, 34 f. und vom 9. November 1983 – IVb ZR 22/82 = FamRZ 1984, 154 ff.; Schwab/Borth a.a.O. Rdn. 431; auch Griesche in FamGB § 1579 Nr. 41 m.N.), braucht hier nicht entschieden zu werden. Ein solches Verhalten ist der Klägerin jedenfalls nicht vorzuwerfen, so daß ihr der Anspruch auf den Mindestunterhalt auf jeden Fall zuzugestehen ist.
Einen sonstigen Rechtsgrund (über die Fälle des § 1579 BGB hinaus), der Klägerin fiktive Kapitalwerte oder -einkünfte zuzurechnen, sieht das Gesetz nicht vor.
4. a) Soweit das Berufungsgericht der Klägerin bei der Ermittlung des ihr zuzubilligenden Unterhaltsbetrages fiktive Zinsen in Höhe von monatlich 300 DM aus dem nicht mehr vorhandenen Vermögen angerechnet hat, wirkt sich dies nur zugunsten des Beklagten aus und wird deshalb auch von der Revision nicht angegriffen.
b) Zur Unterhaltshöhe hat das Berufungsgericht sodann noch ausgeführt: Erwerbseinkünfte brauche sich die Klägerin auf ihren notwendigen Bedarf nicht anrechnen zu lassen. Wenn sie auch bis zum Frühjahr 1995 an einigen Putzstellen gearbeitet habe, sei für den nachehelichen Unterhalt nur maßgeblich, was sie ab Rechtskraft der Scheidung verdiene. Insoweit sei nicht ersichtlich, daß sie seit jenem Zeitpunkt noch Arbeitseinkünfte erziele.
Das greift die Revision ohne Erfolg an. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß einem Ehegatten, der zwei Kinder im Vorschul- und Grundschulalter betreut, grundsätzlich eine Erwerbstätigkeit nicht zuzumuten ist (vgl. Senatsurteil vom 24. September 1980 – IVb ZR 545/80 = FamRZ 1980, 1099, 1100 unter II 2; im übrigen allgemein: Soergel/Häberle a.a.O. § 1570 Rdn. 11). Soweit die Klägerin während der Trennungszeit einige Monate lang Putzarbeiten verrichtet hat, bezog sie zu jener Zeit Trennungsunterhalt von dem Beklagten. Sie war damit in der Lage, notfalls die Dienste einer Betreuungsperson (gegen Entgelt) für die Dauer ihrer häuslichen Abwesenheit in Anspruch zu nehmen. Von dem ihr zugesprochenen Unterhaltsbetrag von monatlich 785 DM kann – und muß – sie solche Ausgaben nicht aufbringen. Insoweit greifen auch im vorliegenden Fall die in der Rechtsprechung entwickelten Erfahrungssätze über die Erwerbsobliegenheit im Rahmen des Unterhaltsanspruchs aus § 1570 BGB ein.
5. Das Berufungsgericht hat es nicht für gerechtfertigt gehalten, den der Klägerin zugebilligten Unterhaltsanspruch – etwa bis März 1998 (Vollendung des 8. Lebensjahres der jüngeren Tochter) – zu befristen. Zwar gelte das Gebot vorausschauender Bewertung der künftigen Entwicklung. Im vorliegenden Fall lasse sich indessen nicht sicher beurteilen, welchen Verlauf die Verhältnisse nehmen würden. Die jüngere Tochter sei nicht einmal eingeschult, und es sei bisher völlig offen, in welchem Jahr sie die dritte Grundschulklasse erreichen werde.
Dem hält die Revision entgegen, eine Befristung des Unterhaltsanspruchs bis etwa März 1998 hätte nur abgelehnt werden dürfen, wenn Anhaltspunkte für eine besondere Betreuungsbedürftigkeit des Kindes über das 8. Lebensjahr hinaus vorlägen. Das sei indessen nicht behauptet und nicht festgestellt.
Diese Rüge verhilft der Revision nicht zum Erfolg, weil nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, daß die Klägerin ab März 1998 eine Erwerbsobliegenheit treffen wird. Zu diesem Zeitpunkt werden die beiden Kinder erst elf und acht Jahre alt sein. Die Grundsätze, nach denen die Erwerbsobliegenheit eines Elternteils beurteilt wird, der ein einzelnes minderjähriges Kind betreut, sind bei der Betreuung von zwei schulpflichtigen Kindern nicht in entsprechender Weise anzuwenden. Hier wird vielmehr die Auffassung vertreten, daß eine Teilzeitbeschäftigung nicht vor Vollendung des 14. oder 15. Lebensjahres eines der beiden Kinder in Betracht zu ziehen sei (vgl. Soergel/Häberle a.a.O. § 1570 Rdn. 11; Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 5. Aufl. Rdn. 403 m.w.N.). Dieser Zeitpunkt wäre im vorliegenden Fall erst im Frühjahr 2001 bzw. 2002 erreicht. Eine vorausschauende Beurteilung der Verhältnisse für einen so fern liegenden Zeitraum ist indessen – zumal im Hinblick auf die Unsicherheiten der gesundheitlichen und schulischen Entwicklung der beiden Kinder in den kommenden Jahren – tatrichterlich nicht zu verantworten. Insoweit hat das sonst grundsätzlich geltende Gebot einer Prognose der künftigen Entwicklung (vgl. Senatsurteile vom 30. November 1994 a.a.O. S. 292 und vom 12. März 1997 – XII ZR 153/95 – zur Veröffentlichung bestimmt) hinter das Gebot umfassender tatrichterlicher Würdigung der (im Jahre 2001 bzw. 2002) tatsächlich bestehenden Verhältnisse in ihren Auswirkungen auf die Betreuungsnotwendigkeit und das Wohl der beiden minderjährigen Kinder zurückzutreten.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Zysk, Bundesrichterin Dr. Hahne ist durch Urlaub verhindert zu unterschreiben. Blumenröhr, Weber-Monecke
Fundstellen
Haufe-Index 1128085 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1997, 744 |