Leitsatz (amtlich)
1. Eine verfahrensbeendende Absprache ist unzulässig, wenn das dem Angeklagten angesonnene Verhalten ersichtlich vordergründig einem Zweck dient, der mit der angeklagten Tat und dem Gang der Hauptverhandlung in keinem inneren Zusammenhang steht (im Anschluß an BGHSt 43, 195).
2. Zu den Auswirkungen einer fehlgeschlagenen Verständigung.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3; StGB § 46
Verfahrensgang
LG Münster (Urteil vom 13.05.2003) |
Tenor
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 13. Mai 2003, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Hehlerei, versuchten Diebstahls und wegen Diebstahls in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner wirksam auf den Strafausspruch beschränkten Revision beanstandet der Angeklagte, daß das Landgericht nach dem Scheitern eines gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßenden „deals” die Strafe rechtsfehlerhaft zugemessen habe.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach der zulässig erhobenen Verfahrensrüge ging der Urteilsfindung folgendes in der Sitzungsniederschrift dokumentiertes Prozeßgeschehen voraus:
a) Am ersten Hauptverhandlungstag ließ der Angeklagte durch seinen Verteidiger erklären, daß er sich zunächst nicht zur Sache äußern wolle. Der Mitangeklagte D. machte dagegen umfassende Angaben zur Sache und war im wesentlichen geständig. Am vierten Hauptverhandlungstag verkündete das Landgericht folgenden Beschluß:
„Der Angeklagte W. wird, wie in Vorgesprächen mit seinem Verteidiger bereits erörtert, darauf hingewiesen, daß angesichts des Ergebnisses der bisherigen Beweisaufnahme allein einem Geständnis zum jetzigen Zeitpunkt keine überragende strafmildernde Bedeutung zukommen kann.
Im Falle einer Verurteilung wird die Vorstrafe und die zu den Tatzeiten laufende Bewährung bei der Strafzumessung von erheblicher Bedeutung sein. Allerdings hat der Angeklagte W. die Möglichkeit, durch Begleichung der aus der Vorstrafe resultierenden Steuerschuld (derzeit noch ca. 564.000 EUR) den durch die der Vorstrafe zugrunde liegenden Tat verursachten Schaden wieder gut zu machen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme spricht Vieles dafür, daß der Angeklagte über Mittel zur Begleichung der Steuerschuld verfügen könnte, so soll er sich etwa noch wenige Tage vor seiner Festnahme für den Ankauf einer größeren Immobilie im Preis von über einer Million Euro ernsthaft interessiert haben.
Wird die Steuerschuld beglichen, so wäre der im Zusammenhang mit der Vorstrafe angerichtete Schaden/Steuerausfall wieder gut gemacht und der Vorbelastung könnte eine deutlich geringere nachteilige Bedeutung beigemessen werden. Für den Fall einer geständigen Einlassung und der Begleichung der Steuerschuld verpflichtet die Kammer sich, ein Strafmaß von insgesamt vier Jahren nicht zu überschreiten”.
Am sechsten und letzten Tag der Hauptverhandlung trat die Kammer erneut in die Beweisaufnahme ein und erteilte dem Angeklagten rechtliche Hinweise. Danach äußerte sich der Angeklagte über seinen Verteidiger zur Sache, wobei er sich im wesentlichen geständig einließ. Der Verteidiger beantragte die Vernehmung zweier Zeugen zum Beweis dafür, daß die finanziellen Möglichkeiten des Angeklagten entgegen der Annahme des Landgerichts vollständig erschöpft seien. In dem Beweisantrag wird u.a. ausgeführt:
„Herr W. ist außerstande, die Steuerschuld von ca. 564.000 EUR aufzubringen. Die Aufarbeitung der finanziellen Möglichkeiten mit Herrn W. und seinen Familienangehörigen hat ergeben, daß über seinen Bruder kurzfristig max. 200.000 EUR beschafft werden könnten”.
Das Landgericht lehnte die beantragten Zeugenvernehmungen ab und führte in dem Beschluß ferner aus:
„Die Kammer weist den Angeklagten W. darauf hin, daß auch Teilzahlungen auf die Steuerschuld strafmildernde Wirkungen hätten. Eine konkrete Zusage, wie Teilzahlungen in bestimmter Höhe sich auf das Strafmaß auswirken könnten, will die Kammer allerdings nicht abgeben”.
Der Verteidiger des Angeklagten erklärte dazu:
„Mein Mandant kann binnen einer Woche einen Betrag von 200.000 Euro auf die Steuerschuld aufbringen lassen. Voraussetzung ist allerdings, daß der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wird, damit er im Falle einer Verurteilung bessere Chancen für den offenen Vollzug hat und dann Geld verdienen kann. Ich beantrage daher, den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen”.
Das Landgericht lehnte diesen Antrag durch Beschluß ab und führte zur Begründung aus:
„Der Angeklagte hat aufgrund des Umfangs der Tatvorwürfe mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen, wobei er zusätzlich den Widerruf der Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten befürchten muß. Daraus ergibt sich ein erheblicher Fluchtanreiz, der andererseits nicht durch stabilisierende Faktoren abgemildert wird”.
b) Die Gründe des angefochtenen Urteils verhalten sich zu der gescheiterten Absprache nicht. Mitgeteilt wird lediglich, daß der Angeklagte durch Urteil der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts vom 13. Juli 2001 wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei zu einer für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden ist.
2. Der Beschwerdeführer rügt hiernach zu Recht, in seinem Anspruch auf ein faires Verfahren (vgl. dazu BVerfG NJW 1987, 2662 = NStZ 1987, 419; BGHSt 29, 109, 111; Pfeiffer in KK 5. Aufl. Einl. Rdn. 28 jew.m.w.N.) verletzt worden zu sein.
a) Allerdings kann entgegen der Auffassung der Revision ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht schon darin gesehen werden, daß sich das Landgericht nicht an die zunächst in Aussicht gestellte Strafobergrenze gehalten hat. Eine das Landgericht bindende Zusage (vgl. BGHSt 36, 210, 214; 43, 195, 210) läge nur dann vor, wenn es zu der vom Landgericht angestrebten Verständigung gekommen wäre. Das war – für alle Verfahrensbeteiligten offenkundig – nicht der Fall. Das Landgericht hat zudem in den Beschlüssen, mit denen es Beweiserhebungen zu den Vermögensverhältnissen des Angeklagten und seinen Antrag auf Haftverschonung abgelehnt hat, ausgeführt, daß es sich im Falle der Verurteilung des Angeklagten an die zunächst in Aussicht gestellte Obergrenze nicht gebunden fühlt, so daß der Angeklagte sein Verteidigungsverhalten darauf einrichten konnte (vgl. BGHSt 36, 210, 216). Ob der Angeklagte die Leistungen an das Finanzamt ohne eigenes Verschulden nicht erbringen konnte, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
b) Der Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren ist aber deshalb verletzt, weil das Landgericht die mit der Verkündung des oben genannten Beschlusses am vierten Hauptverhandlungstag in Aussicht gestellte Einhaltung der Strafobergrenze von vier Jahren an die Bedingung geknüpft hat, daß der Angeklagte ein Geständnis ablegt und die gegen ihn bestehende Forderung des Fiskus wegen der in einem anderen Verfahren bereits rechtskräftig abgeurteilten Steuerhehlerei erfüllt. Die Revision trägt zu Recht vor, daß vom Landgericht ein solches „erzwungenes Freikaufen” nicht hätte in die Wege geleitet werden dürfen.
Absprachen im deutschen Strafverfahren sind allerdings nicht generell unzulässig. Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Verhandlung (BVerfG NJW 1987, 2662). Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt 43, 195 ff.) ist anerkannt, daß dem Angeklagten für den Fall der Ablegung eines Geständnisses die bindende Zusage erteilt werden kann, eine bestimmte Strafobergrenze nicht zu überschreiten. Unverzichtbare – im vorliegenden Fall eingehaltene – prozessuale Voraussetzung ist jedoch, daß die Vereinbarung in öffentlicher Hauptverhandlung unter Beteiligung aller Prozeßbeteiligten erfolgt. Inhaltlich setzt eine zulässige Verständigung voraus, daß bei dem Bemühen der Beteiligten um das Zustandekommen einer Absprache die freie Willensentschließung des Angeklagten gewahrt bleibt (BGHSt 43, 195, 204). Zwar gerät ein Angeklagter, dem das Gericht eine Verständigung vorschlägt, zwangsläufig in den Konflikt, sein Verhalten den Wünschen des Gerichts anzupassen oder – im Falle eines Schuldspruchs – die Möglichkeit einer deutlich höheren Strafe in Kauf zu nehmen. Dies ist jedoch hinzunehmen, sofern die Verständigung geeignet ist, anerkannten strafprozessualen Zwecken zu dienen; so kann durch ein Geständnis des Angeklagten eine langwierige Beweisaufnahme vermieden und damit dem verfahrensrechtlichen Beschleunigungsgebot Rechnung getragen, bei Gewaltdelikten zudem eine die Opfer belastende Zeugenvernehmung vermieden werden. Dagegen ist der latente Druck, der mit jedem Absprachevorschlag des Gerichts auf den Angeklagten ausgeübt wird (vgl. dazu Weider StraFo 2003, 406, 408 f.), dann nicht hinzunehmen, wenn das dem Angeklagten angesonnene Verhalten ersichtlich vordergründig einem Zweck dient, der mit der angeklagten Tat und dem Gang der Hauptverhandlung in keinem inneren Zusammenhang steht.
Dies aber trifft hier zu. Mit Recht beanstandet die Revision, daß Ziel der vom Landgericht angestrebten Absprache nicht die Förderung des anhängigen Verfahrens, sondern die Durchsetzung des gegen den Angeklagten wegen einer verfahrensfremden Tat bestehenden Haftungsanspruchs des Fiskus (vgl. §§ 71, 191, 219 AO) gedient hätte, der bei Zahlungsverweigerung (von der nach den Urteilsgründen nicht auszugehen ist) im Verwaltungswege hätte vollstreckt (§§ 249 ff. AO), niedergeschlagen (§ 261 AO) oder erlassen (§ 227 AO) werden können.
Allein der Umstand, daß die Begleichung der aus der Vortat herrührenden Steuerschuld auch im vorliegenden Verfahren bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten hätte berücksichtigt werden dürfen, weil dadurch das Gewicht der Vortat gemindert gewesen wäre, reicht für die im Rahmen einer Absprache erforderliche Konnexität nicht aus. Könnte jedes sozial anerkennenswerte Verhalten eines Angeklagten, das im Rahmen der Abwägung nach § 46 Abs. 2 StGB strafmildernde Berücksichtigung finden kann, wie etwa eine großzügige Spende an eine Opferschutzorganisation, zum Gegenstand einer Absprache über die Strafzumessung gemacht werden, so würde dies zu einem mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens nicht mehr zu vereinbarenden „Handel mit der Gerechtigkeit” führen (vgl. BVerfG NJW 1987, 2663).
c) Auf der letztlich gescheiterten Absprache kann das Urteil auch beruhen.
Regelmäßig wird allerdings davon auszugehen sein, daß sich aus dem Scheitern einer Absprache keine unzulässigen Nachteile für einen Angeklagten ergeben. Vielmehr wird das Gericht – nunmehr ohne Bindung an die in Aussicht gestellte Strafobergrenze – eine schuldangemessene Strafe verhängen. Ein Überschreiten der zugesagten Strafobergrenze wird sich – sofern nicht ohnehin neu hinzugetretene Umstände hierfür ursächlich sind – zwanglos daraus erklären lassen, daß infolge des Scheiterns der Verständigung ein zulässiger Strafmilderungsgrund, etwa ein Geständnis, nicht zum Tragen kommt. Selbst die Unzulässigkeit einer vom Gericht in Aussicht genommenen Absprache, wie sie hier vorliegt, reicht für sich genommen nicht aus, die Besorgnis einer fehlerhaften Strafzumessung zu begründen. Im vorliegenden Fall kommt jedoch hinzu, daß allein der Wegfall eines möglichen Strafmilderungsgrundes, der sich aus der vollständigen Erfüllung fiskalischer, aus der Vortat erwachsener Ansprüche ergeben hätte, die Spanne von einem Jahr und neun Monaten zwischen in Aussicht gestellter und verhängter Gesamtstrafe nicht erklären kann. Aus den Urteilsgründen ist ersichtlich, daß nach dem Verständigungsangebot des Landgerichts keine neuen strafschärfenden Umstände in der Hauptverhandlung bekannt geworden sind. Vielmehr hat der Angeklagte eine Bedingung der Absprache erfüllt, indem er im wesentlichen geständig war. Da nicht davon auszugehen ist, daß das Landgericht dem Angeklagten für den Fall des Zustandekommens des vorgeschlagenen „deals” eine auch aus seiner Sicht unangemessen niedrige Strafe in Aussicht gestellt hat, kann der Senat daher nicht ausschließen, daß sich die Weigerung des Angeklagten, sofort die – in der vorliegenden Verknüpfung unzulässig geforderte – Zahlung an das Finanzamt zu erbringen, bei der Strafzumessung zu seinen Lasten ausgewirkt hat. Ein solcher Strafschärfungsgrund wäre rechtsfehlerhaft. Obwohl weder die erkannten Einzelstrafen noch die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe im Ergebnis unangemessen hoch erscheinen, müssen die Strafen daher neu zugemessen werden.
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2558178 |
BGHSt 2005, 84 |
BGHSt |
NJW 2004, 1396 |
NStZ 2004, 338 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2004, 699 |
wistra 2004, 268 |
DAR 2005, 243 |
DAR 2005, 257 |
PStR 2004, 124 |
StV 2004, 314 |
StraFo 2004, 234 |
LL 2004, 617 |