Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Sittenwidrigkeit der Kündigung eines Tankstellenverwalter-Vertrages.
Normenkette
BGB § 138; HGB § 89
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 14.03.1968) |
LG Berlin |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 14. März 1968 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges – an den Kartellsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten, ob ein zwischen ihnen im März 1959 geschlossener, im Januar 1962 in einigen Punkten abgeänderter Großtankstellenvertrag rechtswirksam aufgehoben worden ist, nachdem ihn die Beklagte am 29. März 1967 zum 30. Juni 1967 gekündigt hat.
Nach diesem Vertrage hatten es die Kläger übernommen, als „selbständige Gewerbetreibende” und „Handelsvertreter” in einer von der Beklagten auf dem Grundstück eines Dritten in B. errichteten Tankstelle im Namen und auf Rechnung der Beklagten deren Treibstoffe und Mineralöle zu lagern und zu verkaufen. Hierfür und für weitere im Vertrag übernommene Leistungen und Risiken standen ihnen als Provision je verkauften Liters Treibstoff 4,75 Pfennig sowie für die verkauften Mineralöle die Differenz zwischen Kleinverkaufspreis und Wiederverkäufer-Einstandspreis zu; dazu trat noch eine „B.-Zulage” von 0,5 Pfennig je Liter Treibstoff.
Die Beklagte hat ihre Kündigung auf § 8 des Vertrages gestützt. Danach sollte der (auf unbestimmte Zeit abgeschlossene) Vertrag beiderseits nach einer Dauer von drei Jahren auf den Schluß eines Kalendervierteljahres gekündigt werden können. Die Kläger halten die Kündigung dennoch gemäß §§ 138, 242 BGB sowie §§ 25, 15 GWB für unwirksam. Sie behaupten, diese sei eine – wie sie meinen – rechtlich unzulässige Maßnahme gewesen, mit der die Beklagte bezweckt habe, bei ihnen und anderen Tankstellenverwaltern gewisse von ihr ersonnene umsatzfördernde Maßnahmen durchzusetzen, die einzuführen sie vertraglich nicht verpflichtet gewesen seien und durch die sie wirtschaftlich erheblich beeinträchtigt worden wären.
Land- und Kammergericht haben die Klage, festzustellen, daß das Vertragsverhältnis der Parteien durch jene Kündigung nicht beendet worden sei, abgewiesen. Mit der Revision, die die Beklagte zurückzuweisen beantragt, verfolgen die Kläger ihren Feststellungsantrag weiter.
Das Bundeskartellamt hat im Revisionsrechtszuge zu den kartellrechtlichen Fragen des Rechtsstreits Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt in erster Linie davon ab, ob die Beklagte von der Kündigungsmöglichkeit, die ihr vertraglich eingeräumt war, aus rechtlich zu mißbilligenden Beweggründen und deshalb rechtsunwirksam Gebrauch gemacht hat. Das ist im Gegensatz zu der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht zu bejahen.
Nach den durch eine Beweisaufnahme bisher nicht überprüften und daher für den Revisionsrechtszug als wahr zu unterstellenden Behauptungen der Kläger bestand der für die Kündigung allein ausschlaggebende Beweggrund der Beklagten darin, daß sich die Kläger weigerten, von einem Rabattsystem Gebrauch zu machen, das einzuführen die Beklagte allgemein den Verwaltern ihrer Tankstellen nahegelegt hatte. Die Beklagte habe zwar, so behaupten die Kläger, auch deshalb gekündigt, weil sie es früher (wegen der unzureichenden Kapazität ihrer Tankstelle) abgelehnt hätten, die sogenannte „E.-Systempflege” einzurichten, und weil sie sich ferner entgegen dem Wunsche der Beklagten nicht hätten entschließen können, einen (wegen der ungünstigen Lage ihrer Tankstelle unrentablen) Münztank aufzustellen. Diese beiden Gründe habe aber die Beklagte nur nachträglich „wieder hervorgeholt”, nachdem sie schon jahrelang darauf nicht mehr zurückgekommen sei; sie würde die Kündigung – wie auch in anderen in B. bekannt gewordenen Fällen – zurückgenommen haben, falls sie, die Kläger, sich doch noch bereitgefunden haben würden, zum Rabattsystem überzugehen.
Damit kommt es entscheidend darauf an, ob es aus Rechtsgründen zu beanstanden ist, daß die Beklagte die Ablehnung ihres Rabattsystems zum eigentlichen Anlaß genommen hat zu kündigen. Hiervon ist zwar offenbar auch das Berufungsgericht ausgegangen, wenn es das auch mit den Seiten 19 ff seiner Entscheidungsgründe nicht ganz deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Es hat aber gemeint, hiergegen insbesondere deshalb nichts einwenden zu können, weil die Kläger als selbständige Handelsvertreter Kaufleute seien und sich als solche in das mit einer freien Wirtschaft wesensnotwendig verbundene freie Spiel der Kräfte begeben hätten; deshalb müßten sie es hinnehmen, daß die Beklagte infolge ihrer überlegenen Machtposition Vertragsbedingungen habe aushandeln können, die sie in die Lage versetzt hätten, das Vertragsverhältnis nur dann weiter fortzusetzen, wenn sich die Kläger ihrer Forderung gebeugt und das – wenn auch für sie höchst nachteilige und nach kaufmännischen Anschauungen „befremdliche” – Rabattsystem eingeführt hätten.
Diese Beurteilung wird dem von den Klägern vorgetragenen Sachverhalt nicht gerecht; es ist auch in dieser Allgemeinheit rechtlich nicht haltbar oder zumindest mißverständlich formuliert, wenn das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang ausführt, „zwischen Kaufleuten, wie die Parteien es sind”, könnten „soziale Erwägungen” keine Geltung beanspruchen. Gewiß stehen sich die Parteien eines Handelsvertretervertrages als selbständige Gewerbetreibende gegenüber; Unternehmer und Handelsvertreter tragen, soweit es sich um die Kündigung des Vertragsverhältnisses handelt, ihr eigenes besonderes Unternehmerrisiko. Der Bundesgerichtshof hat dementsprechend schon mehrfach ausgesprochen, daß die Frage, ob eine vertragsgemäß ausgesprochene Kündigung gegen die guten Sitten verstoße und deshalb nichtig sei, hier im allgemeinen nur unter strengen Voraussetzungen bejaht werden könne (vgl. die Nachweise bei Finke, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Handelsvertreterrecht, WM 1969, 1122, 1128). Man ginge aber am Kernpunkt des vorliegenden Falles vorbei, wenn man in diesem Zusammenhang mit dem Berufungsgericht dem Umstand, daß die Tankstellenverwalter als Handelsvertreter formell die Kaufmannseigenschaft der §§ 1 ff HGB besitzen, ausschlaggebende Bedeutung beimessen und deren besondere Abhängigkeit von den wirtschaftlich weit überlegenen Mineralölgesellschaften völlig außer acht lassen würde.
Bei dem „Rabattsystem”, das nach der Behauptung der Kläger den Anlaß zur Kündigung gegeben haben soll, handelte es sich darum, daß die Beklagte zunächst, wie es unter anderem im Rundschreiben ihrer B. Niederlassung vom 14. April 1966 heißt, den Tankstellenverwaltern „in ihr unternehmerisches Ermessen” gestellt hatte, ihren Kunden auf die festgesetzten Pumpenpreise von E. und E. Extra im eigenen Namen und auf eigene Rechnung einen Barzahlungsrabatt bis zu 3 % des Rechnungsbetrages zu gewähren. Damit hat sie ihr im Preiswettbewerb auf dem Mineralölmarkt verfolgtes Ziel, die Abgabepreise an ihren Tankstellen denen der freien Tankstellen weiter anzunähern und ihre und ihre Umsätze zu erhöhen, auf die Weise zu erreichen versucht, daß sie ihren Verwaltern über die vertragliche absatzvermittelnde Tätigkeit hinaus eine zusätzliche absatzfördernde Leistung – die Rabattgewährung aus eigener Kasse – nahelegte, die im wirtschaftlichen Ergebnis deren Provisionssätze gemindert hätte, ohne daß das, wie die Kläger unter Hinweis auf Berechnungen ihres Verbandes behaupten, in der Regel von der allenfalls zu erhoffenden Umsatzsteigerung hätte aufgefangen werden können. Hätte sich die Beklagte darauf beschränkt, die Entscheidung über die Einführung des Systems dem selbständigen kalkulatorischen Ermessen der Tankstellenverwalter zu überlassen, wäre dagegen rechtlich nichts einzuwenden gewesen. Bei ihren schriftlichen „Empfehlungen” hat sie es aber, wenn man den Behauptungen der Kläger und den zum Gegenstand ihres Sachvortrages gemachten Darstellungen im Mitteilungsblatt ihres Verbandes folgt, nicht bewenden lassen. Sie soll vielmehr in diesem Zusammenhang in mehr oder weniger verhüllter Form durch ihre örtlichen Vertreter auf die ihr zur Verfügung stehenden kurzfristigen Kündigungsmöglichkeiten hingewiesen und mit diesem Druckmittel jenes Rabattsystem allgemein durchzusetzen versucht haben. In dieser Weise, so behaupten die Kläger, sei auch auf sie in einem Gespräch vom 23. März 1967 eingewirkt worden. Die Angestellten der Beklagten K. und H. hätten ihnen offen mit Kündigung gedroht; K. habe zwar laufend betont, es gehe nicht um den Rabatt; tatsächlich sei aber fast ausschließlich davon gesprochen worden. Da sie, die Kläger, dennoch auf ihrer Weigerung beharrt hätten, habe die Beklagte gekündigt.
Es geht hier daher nicht nur um die Empfehlung eines „kaufmännisch befremdlichen Systems” und auch nicht nur darum, daß sich die Beklagte in ihren Formularverträgen eine Kündigungsklausel verschafft hatte, die ihr im Verhältnis zu den Tankstellenverwaltern einen für sie außerordentlich günstigen Handlungsspielraum zur Verfügung stellte. Die Beklagte hätte vielmehr, wenn man dem Vortrag der Kläger folgt, im breiten Rahmen und so auch in ihrem Falle jene Klausel als wirtschaftliches Druckmittel eingesetzt, um auf Kosten der vertraglich festgelegten Verwalterprovisionen jedenfalls teilweise – soweit Kunden von dem Rabatt Gebrauch machen würden – eine Preissenkung an ihren Tankstellen von 1,5 Pfennig pro Liter Kraftstoff zu erzielen, ohne daß sie selbst auch nur anteilig eine Erlösminderung hätte hinnehmen müssen. Die erstrebte Umsatzsteigerung hätte sie damit einseitig und unter Druck aus der Kasse ihrer Verwalter zu finanzieren versucht. Diese hätten, wie die Kläger behaupten, hierbei Provisionsminderungen bis zu 30 % hinnehmen müssen. Dagegen wäre den nicht eingeweihten Kunden die Rabattgewährung an den Tankstellen eher als wirtschaftliche Leistung der Beklagten denn als persönliches Opfer der Tankstellenverwalter ins Auge gefallen. Das alles hätte die Beklagte nach außen hin unter dem Tarnmantel des Appells an die Freiwilligkeit zu erreichen versucht, um den ihr an sich offenstehenden, vermutlich aber praktisch kaum gangbaren Weg einer allgemeinen Änderungskündigung aller ihrer Verwalterverträge zu umgehen; tatsächlich hätte sie aber die einzelnen Verwalter dennoch in gleicher Weise vor die Wahl gestellt, wich der geforderten Provisionsminderung zu beugen oder den Verlust ihrer Existenzgrundlage in Kauf zu nehmen. Die Beklagte hätte zudem mit dem von den Klägern behaupteten Vorgehen in der Zeit der wirtschaftlichen Rezession eine Ausnahmesituation ausgenutzt, in der es nahelag, daß der einzelne Verwalter mehr als in anderen Jahren aus Sorge um die Erhaltung seiner Daseinsgrundlage zur Nachgiebigkeit bereit sein würde. Und schließlich wäre die Kündigung des Vertrages eines sich unnachgiebig zeigenden Tankstellenverwalters in ihrer Fernwirkung ihrerseits zugleich ein Mittel gewesen, anderen sich der Einführung des Rabattsystems widersetzenden Verwaltern die auch für sie drohenden Konsequenzen nachhaltig vor Augen zu führen und sie umso leichter zur Aufgabe ihres Widerstandes zu bewegen; die Kündigung im Einzelfall hätte daher auch insofern im Zusammenhang mit der behaupteten generellen Zielsetzung der Beklagten gestanden.
Auf diesen – nur die einseitigen Tatsachenbehauptungen der Kläger zusammengefaßt wiedergebenden – Sachverhalt kommt es entscheidend an. Unterstellt man ihn als richtig, so kann eine sachgerechte Würdigung aller Umstände nur zu dem Ergebnis führen, daß die Beklagte, soweit sie mit ihren Kündigungsrechten gedroht oder hiervon Gebrauch gemacht hat, vertragliche Rechtspositionen in einer Weise mißbraucht hat, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Dann ist auch die Kündigung des Vertragsverhältnisses zu den Klägern, wenn sie die Beklagte, wie jene behaupten, nur als Sanktion für den Widerstand gegen die Einführung des Rabattsystems ausgesprochen hat, sittenwidrig und deshalb gemäß § 138 BGB nichtig.
Die Annahme des Berufungsgerichts, der Sachvortrag der Kläger sei unschlüssig und ihre Klage schon deshalb abzuweisen, läßt sich nach alledem nicht aufrechterhalten. Es bedarf zunächst der tatrichterlichen Feststellung, ob die von den Klägern behaupteten und größtenteils von der Beklagten bestrittenen Tatsachen zutreffen, die die Unwirksamkeit der Kündigung begründen würden. Zu diesem Zwecke muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Die weitere – vom Bundeskartellamt bejahte – Frage, ob sich die Nichtigkeit der Kündigung nach dem Sachvortrag der Kläger auch aus den Vorschriften der §§ 134 BGB, 25 Abs. 1, 15 GWB herleiten läßt, braucht in diesem Verfahrensstadium nicht erörtert zu werden. Sie könnte sich jedoch stellen, wenn das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen sollte, daß die tatsächlichen Feststellungen nicht ausreichen, um der Klage aus dem Gesichtspunkt des § 138 BGB stattzugeben. Deshalb ist die Sache, auch wenn jene Frage zu verneinen sein sollte, an den Kartellsenat des Berufungsgerichts zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Fischer, Löscher, Faller, Sprenkmann, Stimpel
Fundstellen