Leitsatz (amtlich)
Auch bei der Anwendung des § 89 b Abs. 3 Satz 1 HGB sind Billigkeitsgesichtspunkte maßgeblich. Das Tatbestandsmerkmal des „Verhaltens” des Unternehmers ist weit zu fassen und der daraus folgende „begründete Anlaß” ist auch unter Berücksichtigung aller auf Seiten des Handelsvertreters nach der objektiven Sachlage bestehenden Umstände (z.B. Alter und Arbeitsfähigkeit) zu prüfen.
Normenkette
HGB § 89b Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
OLG Braunschweig (Urteil vom 17.01.1974) |
LG Braunschweig |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 17. Januar 1974 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen wird.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger war seit 1930 Handelsvertreter der Beklagten im Bezirk Würzburg und Umgebung. Er hatte das Alleinverkaufsrecht für Fahrgestelle, Lastwagen, Trambusse, Bausätze, Aufbauten und Motoren; er war verpflichtet, eine leistungsfähige Reparaturwerkstatt mit allen erforderlichen Prüfgeräten, Werkzeugen und Maschinen zu betreiben und ein angemessenes Ersatzteillager zu unterhalten.
Mit Schreiben vom 22. September 1967 kündigte der damals 68 Jahre alte Kläger das Vertragsverhältnis fristgerecht zum 31. Dezember 1967. In dem Kündigungsschreiben heißt es:
„… Nach 38-jähriger Verbundenheit mit Ihrem Hause ist mir dieser Entschluß nicht leicht gefallen, aber eine gründliche Prüfung hat zur Feststellung geführt, daß Ihre Konditionen im Vertrieb seit Jahresfrist bei dem scharfen Wettbewerb auch nicht annähernd kostendeckend – von einem verbleibenden Gewinn ganz zu schweigen – und somit untragbar und auch unzumutbar sind.
Mein ausdrücklicher Wunsch ist, daß sich die Auflösung unseres Vertragsverhältnisses in gegenseitigem, guten Einvernehmen vollzieht. Das gilt auch für die Vergütung der Ausgleichsansprüche und ich erwarte Ihre Vorschläge.”
Die Beklagte nahm die Kündigung entgegen, wies aber die Begründung zurück und lehnte die Zahlung eines Ausgleichs ab, weil ein Ausgleichsanspruch nach § 89 b Abs. 3 Satz 1 HGB nicht bestehe; der Kläger habe das Vertragsverhältnis gekündigt, ohne daß ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlaß gegeben habe.
Mit der Klage hat der Kläger im ersten Rechtszug einen Teilbetrag in Höhe von DM 16.000,– verlangt, den er im zweiten Rechtszug um weitere DM 10.000,– erhöht hat. Zur Darlegung, daß er aus bei der Beklagten liegendem begründetem Anlaß gekündigt habe, trägt der Kläger vor, die ungünstige wirtschaftliche Lage der Beklagten sei ständig, zunehmend ab Mitte der 60 iger Jahre, Gegenstand von Presseveröffentlichungen gewesen. In der Kundschaft sei die Befürchtung entstanden, die Beklagte werde die Produktion von Nutzfahrzeugen einstellen, wie dies zum 31. Dezember 1971 auch geschehen sei.
Weiter sei ein erheblicher Umsatzrückgang in den Jahren 1965 – 1967 dadurch eingetreten, daß die Beklagte ihr Produktionsprogramm eingeschränkt habe. Ihre Erzeugnisse hätten auch erhebliche Mängel aufgewiesen. Ferner sei 1967 der Wettbewerb auf dem Lkw-Markt so scharf geworden, daß Geschäfte zu normalen Konditionen kaum noch abzuschließen gewesen seien. Er habe daher 1966 und 1967 mit Verlust arbeiten müssen.
Die Beklagte hat negative Folgen der Presseveröffentlichungen bestritten, ebenso eine Beschränkung ihres Produktionsprogramms sowie außergewöhnliche Mängel ihrer Produktion. Sie ist der Ansicht, die Kündigung habe ihren Grund in persönlichen Verhältnissen des Klägers gehabt. Er habe infolge seines Alters keine unternehmerische Energie mehr gehabt und deshalb auch den Geschäftsbetrieb aufgegeben. Der Umsatzrückgang in den Jahren 1966 und 1967 sei auf die allgemeine wirtschaftliche Rezession zurückzuführen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat die Anschlußberufung des Klägers, mit der er den Teilbetrag um weitere DM 10.000,– erhöht hat, zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Anträge aus dem zweiten Rechtszug weiter. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Im Gegensatz zum Landgericht ist das Berufungsgericht der Auffassung, dem Kläger stehe ein Ausgleichsanspruch nicht zu, weil er das Vertragsverhältnis gekündigt habe, ohne daß ein Verhalten der Beklagten hierzu begründeten Anlaß gegeben habe (§ 89 b Abs. 3 Satz 1 HGB).
Das Berufungsgericht kommt bezüglich des Vermittlungsgeschäfts zu dem Ergebnis, wenn von dem Provisionseinkommen noch der Aufwand für das Vermittlungsgeschäft abgesetzt werde, so zeige sich, daß eine Rendite aus diesem Geschäft im Jahre 1966 nicht mehr habe erzielt werden können. Einzelnen umstrittenen Aufwandspositionen brauche nicht nachgegangen zu werden, denn es könne bei der gegebenen Sachlage zugunsten des Klägers davon ausgegangen werden, daß er aus der reinen Vermittlungstätigkeit für die Beklagte in den Jahren 1966 und 1967 keine Reinerträge mehr erzielt habe.
Der Kläger habe aber aus Kraftfahrzeuginstandsetzungen und aus dem Verkauf von Ersatzteilen erhebliche Erlöse gehabt. Ein vernünftig, gerecht und billig denkender Handelsvertreter hätte die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses trotz der negativen Entwicklung des Vermittlungsgeschäfts in den Jahren 1966 und 1967 nicht als unzumutbar angesehen, wenn er aus den mit dem Handelsvertretervertrag zusammenhängenden Geschäften noch eine ausreichende Rendite erzielt habe, die etwaige Verluste aus dem reinen Vermittlungsgeschäft wettgemacht und dem Handelsvertreter noch eine ausreichende Existenzgrundlage gesichert habe.
Auch aus dem weiteren Vortrag des Klägers ergebe sich kein begründeter Anlaß zur Kündigung aus dem Verhalten der Beklagten. Presseveröffentlichungen über die ungünstige wirtschaftliche Lage der Beklagten können sich negativ auf den Umsatz ausgewirkt haben; die Beklagte hätte sie aber nicht verhindern können. Es habe auch 1967 nicht die Gefahr eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs der Beklagten bestanden Der Kläger habe darauf vertrauen können, daß der S. konzern weiterhin für den Fortbestand der Beklagten sorgen werde.
Die Modellpolitik sei Sache der Beklagten gewesen. Deshalb könne auch das vom Kläger behauptete ungenügende Produktionsprogramm einen begründeten Anlaß nicht abgeben. Es fehle insoweit auch an einer genügenden Substantiierung.
Auch der Vortrag des Klägers zu angeblichen Mängeln rechtfertige es nicht, einen begründeten Anlaß zu bejahen.
Einen begründeten Anlaß stelle schließlich nicht das vom Kläger behauptete Verhalten des Verkaufsdirektors der Beklagten dar, dessen Bemerkung: „Dann lassen wir Sie hängen” in dem Zusammenhang des damaligen Gesprächs und der herrschenden wirtschaftlichen Rezession gesehen werden müsse.
Der Anlaß für die Kündigung müsse vielmehr in der Sphäre des Klägers gesucht werden, zur Zeit der Kündigung sei der Kläger 68 Jahre alt gewesen, einen Nachfolger für seinen Betrieb habe er nicht gefunden, er habe sogar der Beklagten die übernähme des Betriebes angeboten. Es sei verständlich, daß der Kläger in diesem Alter und dazu noch in einer Zeit der wirtschaftlichen Rezession mit rückläufigen Umsätzen seine gewerbliche Tätigkeit aufgegeben habe; denn dadurch, daß er die Nutzung seines Vermögens anderen gegen Entgelt überlassen habe, habe er in jener Zeit wahrscheinlich eine bessere Rendite erzielen können, als durch die bisherige Eigennutzung. Von dieser Seite her möge das Geschäft mit der Beklagten dem Kläger im Jahre 1967 angesichts seines Kapitaleinsatzes keine angemessene Rendite gebracht haben und lasse seinen Entschluß, das Vertragsverhältnis zu kündigen, vernünftig und verständlich erscheinen. Da die wirtschaftliche Entwicklung des mit dem Handelsvertretervertrage zusammenhängenden Geschäfts aber nicht so ungünstig verlaufen sei, daß ihm ein Festhalten am Vertragsverhältnis mit der Beklagten nicht mehr zuzumuten gewesen sei, könne nicht angenommen werden, daß ein Verhalten der Beklagten ihm begründeten Anlaß zur Kündigung gegeben habe.
II. Die gegen diese Ausführungen gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht das Vorliegen eines aus dem Verhalten der Beklagten begründeten Anlasses zur Kündigung verneint. Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters ist in seiner Entstehung und in seinem Bestand weitgehend durch Gesichtspunkte der Billigkeit beeinflußt (vgl. BGHZ 52, 5, 7 m.w.N.); Billigkeitserwägungen sind daher auch bei der Auslegung maßgeblich heranzuziehen. Daher ist der Begriff des „Verhaltens eines Unternehmers” im Sinne von § 89 b Abs. 3 Satz 1 HGB, will man zu billigen Ergebnissen kommen, weit auszulegen (vgl. BGHZ 52, 5, 8). Verhalten ist daher nicht nur ein Tun oder Unterlassen, sondern auch eine aus dem betrieblichen Verhalten des Unternehmers entwickelte wirtschaftliche Lage; dabei kommt es nicht darauf an, ob der Unternehmer das Ergebnis seiner Maßnahmen verschuldet hat oder nicht.
Der Beklagten ist daher die schwierige wirtschaftliche Lage ihres Unternehmens und das Gespräch über diese Entwicklungen und Verhältnisse in der Öffentlichkeit zuzurechnen. Ob die Beklagte derartige Veröffentlichungen verhindern konnte, ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts unerheblich. Es kommt auch nicht darauf an, ob im Jahre 1967 die Gefahr eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs der Beklagten bestand und ob der Konzern für den Fortbestand des Unternehmens sorgen werde. Maßgeblich ist, ob sich die wirtschaftliche Lage der Beklagten auf die Handelsvertretertätigkeit des Klägers in einer Weise ausgewirkt hat, daß dessen Kündigung einen begründeten Anlaß in der wirtschaftlich schwierigen Lage des Unternehmens hatte. Das ist dann der Fall, wenn dem Kläger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller nach der objektiven Sachlage gegebenen Umstände (vgl. BGHZ 56, 242, 246) ein Festhalten an dem Handelsvertretervertrag nicht zuzumuten war (vgl. BGH NJW 67, 2153).
Der Rechtsfehler des Berufungsgerichts liegt darin, daß es bei Prüfung der Zumutbarkeit mehrere für die Vertragsauflösung mitentscheidende Umstände nur deshalb völlig unberücksichtigt gelassen hat, weil sie „in der Sphäre des Klägers” lagen: das Alter des Klägers zur Zeit der Kündigung, die Unmöglichkeit einen Nachfolger zu finden; die Möglichkeit, durch Vermietung und Verpachtung seiner Betriebsgrundstücke und -einrichtungen eine bessere Rendite zu erzielen. Auf diese Umstände kommt es aber bei der Frage der Zumutbarkeit maßgeblich an. Was für einen/jüngeren Handelsvertreter oder bei einem geringeren Kapitaleinsatz eines Handelsvertreters noch zumutbar sein kann, ist unter Umständen einem älteren Handelsvertreter und einem solchen, der erhebliches Eigenkapital investiert hat, nicht mehr zuzumuten. Diese Gesichtspunkte hat das Berufungsgericht nicht beachtet, sondern sich mit der Prüfung begnügt, ob nach den Bilanzen bei den sog. beklagtennahen Geschäften in den Jahren 1966 und 1967 Gewinne erwirtschaftet worden sind, die dem Kläger eine „ausreichende Existenzgrundlage” (vgl. BU 29/30) geboten hätten. Auch der Begriff der „ausreichenden Existenzgrundlage”, den das Berufungsgericht ersichtlich durch einen Reingewinn von DM 80.000,– oder 90.000,– für erfüllt erachtet, ist für sich nicht geeignet, die Frage nach der Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag zu beantworten. Es ist insoweit vielmehr von Bedeutung, ob der Gewinn angesichts des Einsatzes von eigenen Betriebsmitteln und Kapital angemessen ist. Das Berufungsgericht kommt aber selbst zu dem Ergebnis, das Beklagten-Geschäft möge dem Kläger angesichts seines Kapitaleinsatzes keine angemessene Rendite gebracht haben und lasse seinen Entschluß, das Vertragsverhältnis zu kündigen, vernünftig und verständlich erscheinen.
2. Nach alledem kann das Berufungsurteil mit der vorliegenden Begründung nicht aufrechterhalten werden. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind im Streitfall vielmehr die Voraussetzungen für einen Wegfall des Ausgleichsanspruchs nach § 89 b Abs. 3 HGB nicht gegeben. Die Kündigung war durch die schwierige wirtschaftliche Lage des Unternehmens der Beklagten veranlaßt, die in der Öffentlichkeit breit behandelt worden ist und zu so erheblichen Auftragsrückgängen geführt hat, daß der Kläger aus dem Vermittlungsgeschäft keine Gewinne mehr erzielt hat. Der Kläger war zur Zeit der Kündigung über 35 Jahre Handelsvertreter der Beklagten, er hatte ein Grundstück von 8000 m² Größe, eine Reparaturwerkstatt und die dazu erforderlichen Betriebsmittel eingesetzt; er beschäftigte bis zu 60 Personen, überwiegend in der Werkstatt, im übrigen für Verkauf und Verwaltung. Der damals 68 Jahre alte Kläger fand keinen Nachfolger für den Betrieb; er hatte auch der Beklagten (vergebens) die Übernahme angeboten; angesichts der Umsatzrückgänge im Geschäft mit der Beklagten war es für ihn gewinnbringender, wenn er die Nutzung seines Vermögens anderen gegen Entgelt überließ. Bei dieser Sachlage war es dem Kläger nicht zuzumuten, nun seinerseits der Beklagten entgegenzukommen und, wie die Revisionserwiderung meint, die Beklagte um Gestattung der Übernahme einer weiteren Vertretung zu bitten oder Teile des Betriebes abzutrennen und diese unter Aufrechterhaltung des eigenen (verkleinerten) Betriebes an andere Firmen zu verpachten oder zu vermieten. In diesem Zusammenhang spielt das Alter des Klägers eine maßgebliche Rolle; was einem jüngeren Handelsvertreter unter Umständen noch zugemutet werden könnte aus einer gewissen Treupflicht gegenüber dem vertretenen Unternehmen, ist in einem Fall wie dem vorliegenden nicht mehr zumutbar, auch wenn die wirtschaftlichen Voraussetzungen zu solchen Maßnahmen objektiv gegeben sein sollten.
Das Berufungsurteil war hiernach aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen war.
III. Das Berufungsgericht wird sich in der erneuten Verhandlung damit zu befassen haben, ob die übrigen Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch gegeben sind. Im Rahmen der Billigkeitserwägungen des § 89 b Abs. 1 Nr. 3 HGB ist genügend Raum, die Gründe, die zur Beendigung des Vertragsverhältnisses geführt haben, zu berücksichtigen (vgl. BGHZ 52, 12, 14 m.w.N.). Bei der Ermittlung der Vorteile des Unternehmens nach Vertragsende, von deren Höhe die Bemessung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters abhängt, sind die in BGHZ 56, 242, 246 ff niedergelegten Grundsätze zu beachten.
Unterschriften
Krüger-Nieland, Alff, Merkel, Schönberg, Schwerdtfeger
Fundstellen
Haufe-Index 1237561 |
NJW 1976, 671 |
Nachschlagewerk BGH |