Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschließung eines Steuerbevollmächtigten aus dem Beruf erfordert Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit und Gesamtverhalten
Leitsatz (redaktionell)
1. Nur bei schweren Pflichtverletzungen ist zum Schutze der Interessen der Allgemeinheit an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und der Wahrung des Vertrauens der Rechtssuchenden in die Integrität der steuerberatenden Berufe die Ausschließung aus dem Beruf des Steuerbevollmächtigten erforderlich und geeignet.
2. Um unverhältnismäßige Eingriffe in die Berufsfreiheit zu vermeiden ist eine Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit und Gesamtverhalten anzustellen und nur wenn diese zu der Prognose führt, daß der Betroffene weiterhin als Steuerbevollmächtigter untragbar ist, weil von ihm noch eine Gefährdung der Rechtspflege ausgeht, darf auf die Ausschließung aus dem Beruf erkannt werden.
3. Der schuldhafte Verstoß, gegen die gesetzliche Verpflichtung, eine angemessene Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen, wird in der Regel als Berufspflichtverletzung so schwer wiegen, daß dies den Ausschluß aus dem Beruf rechtfertigt.
4. Auch die wiederholte Nichtbeantwortung von Anfragen des Präsidenten der Steuerberaterkammer kann so schwer wiegen, daß dies den Ausschluß aus dem Beruf rechtfertigt. Voraussetzung dafür ist jedoch, daß durch diese Nichtbeantwortung die Steuerberaterkammer daran gehindert wird, diejenigen Maßnahmen zu treffen oder einzuleiten, die erforderlich sind, um Gefahren für die Rechtspflege abzuwenden.
5. Bei der Prüfung der Ausschließung eines (einschlägig berufsgerichtlich vorverurteilten) querschnittsgelähmten und an den Rollstuhl gefesselten Steuerbevollmächtigten ist zu berücksichtigen, ob die gesundheitlichen Probleme des Steuerbevollmächtigten den Verstoß gegen seine Berufspflichten (Versicherungslosigkeit) in einem milderen Licht erscheinen lassen können. Es bedarf hierbei der Prüfung und Erörterung, ob und in welchem Umfang der Steuerbevollmächtigte seine Praxis überhaupt betreibt, ob durch das Unterlassen der Haftpflichtversicherung Gefahren für die Mandanten entstanden sind bzw. entstehen können und ob die Erkrankung die korrekte Erfüllung der berufsrechtlichen Pflichten beeinträchtigen kann.
Normenkette
StBerG § 46 Abs. 2 Nr. 4, §§ 67, 90
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 29.04.1993; Aktenzeichen StO 3/92) |
LG München I (Urteil vom 23.07.1992; Aktenzeichen I - StL 42/92) |
Tatbestand
A.
I.
Der Steuerbevollmächtigte wurde durch Urteil der Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen des Landgerichts München I vom 23. Juli 1992 wegen schuldhafter Verletzung seiner Berufspflichten (Verstöße gegen die Versicherungspflicht nach § 67 StBerG und gegen die Auskunftspflicht nach § 80 StBerG) aus dem Beruf ausgeschlossen.
Seine Berufung wurde vom Senat für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen bei dem Oberlandesgericht München durch Urteil vom 29. April 1993 als unbegründet verworfen.
Die Revision des Steuerbevollmächtigten gegen dieses Urteil hat Erfolg.
Der Senat hat keinen Anlaß gesehen, dem Antrag des Steuerbevollmächtigten auf Vertagung der Hauptverhandlung stattzugeben.
II.
1. Das Berufungsgericht hat festgestellt:
- Der Steuerbevollmächtigte wurde im Jahr 1954 als Steuerbevollmächtigter zugelassen. Er betreibt seine Kanzlei in F.. Der Steuerbevollmächtigte ist querschnittsgelähmt und an den Rollstuhl gefesselt.
- Zwischen 1981 und 1990 wurde der Steuerbevollmächtigte wiederholt berufsgerichtlich verurteilt. Gegenstand dieser Verfahren war auch die Nichtbeantwortung von Anfragen der Steuerberaterkammer.
- Mit Schreiben vom 8. Februar 1991 hatte der Präsident der Steuerberaterkammer München den Steuerbevollmächtigten auf die Verordnung über die Berufshaftpflichtversicherung der Steuerberater, Steuerbevollmächtigten und Steuerberatungsgesellschaften vom 27. April 1990 hingewiesen, nach der jeder Berufsangehörige verpflichtet wurde, seine Haftpflichtversicherung mit einer gesetzlichen Mindestversicherungssumme von 500.000 DM auszustatten und dies der zuständigen Steuerberaterkammer bis zum 31. Dezember 1990 nachzuweisen. Da der Steuerbevollmächtigte einen solchen Nachweis nicht geführt hatte, hatte der Präsident der Steuerberaterkammer München Frist für diesen Nachweis bis 28. März 1991 gesetzt.
Auf dieses Schreiben und auf weitere Schreiben des Präsidenten der Steuerberaterkammer München vom Juli 1991 und vom 7. Januar 1992 reagierte der Steuerbevollmächtigte nicht. In allen drei Schreiben war der Steuerbevollmächtigte auf die Möglichkeit eines Widerrufs der Bestellung bei Fehlen der vorgeschriebenen Berufshaftpflichtversicherung, in den Schreiben vom 8. Februar 1991 und vom 7. Januar 1992 auch auf seine dahingehende berufsrechtliche Verpflichtung, hingewiesen worden.
Eine Berufshaftpflichtversicherung bestand für den Steuerbevollmächtigten seit Inkrafttreten der Verordnung über die Berufshaftpflichtversicherung der Steuerberater, Steuerbevollmächtigten und Steuerberatungsgesellschaften vom 27. April 1990 am 1. Juli 1990 nicht. Der Steuerbevollmächtigte hat zwar am 7. Juli 1992 den Abschluß einer Vermögensschadens-Haftpflichtversicherung bei der V. Versicherung-AG beantragt. Ein Versicherungsschein wurde auch erstellt. Das Versicherungsverhältnis ist jedoch rückwirkend beendet worden, weil der Steuerbevollmächtigte die Erstprämie nicht bezahlt hat.
2. In dem festgestellten Verhalten sieht das Berufungsgericht Pflichtverstöße gegen §§ 67, 80 StBerG.
Die Rechtsfolge begründet das Berufungsgericht wie folgt:
„Bei der Frage, wie diese neuerlichen Verstöße zu ahnden seien, konnte lediglich das Alter des Betroffenen und seine erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigung zu seinen Gunsten berücksichtigt werden. Zu seinen Lasten mußten jedoch die oftmaligen Vorverurteilungen wegen erheblicher Sachverhalte gehen, die von großer Rücksichtslosigkeit gegenüber Angestellten, Mandanten und den Belangen der Steuerberaterkammer München sprechen. Auch die Versicherungslosigkeit seit 1.7.1990 – die vorangegangene Versicherungslosigkeit war nicht Gegenstand der Anschuldigungsschrift und wurde demgemäß nicht berücksichtigt – wiegt sehr schwer. Sie läßt ebenso wie das bisherige Verhalten des Betroffenen auf eine grundsätzliche ablehnende Haltung gegenüber den Berufspflichten schließen, so daß bei Abwägung aller Umstände als angemessene Reaktion nur der Ausschluß aus dem Beruf in Betracht kommt” (UA S. 9).
Entscheidungsgründe
B.
Die Revision ist begründet.
I.
Die Würdigung des Berufungsgerichts, der Steuerbevollmächtigte habe seine Berufspflichten verletzt, läßt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers erkennen.
II.
Der Rechtsfolgenausspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Die Ausschließung aus dem Beruf des Steuerbevollmächtigten nach § 90 StBerG kommt als schwerste ehrengerichtliche Maßnahme, die den Betroffenen zur Beendigung seiner Berufstätigkeit zwingt und damit tief in seine Lebensgestaltung eingreift, nach Art. 12 Abs. 1 GG nur in Betracht, wenn sie bei schweren Pflichtverletzungen zum Schutze eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes, nämlich des Interesses der Allgemeinheit an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und der Wahrung des Vertrauens der Rechtssuchenden in die Integrität der steuerberatenden Berufe – soweit dies über bloße berufsständische Belange hinaus im Interesse der Rechtspflege liegt – geeignet und erforderlich ist. Im Rahmen einer Gesamtabwägung ist zu prüfen, ob mildere Maßnahmen ausreichen. Deshalb genügt die Feststellung, daß der Steuerbevollmächtigte eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hat, für sich allein nicht.
Zur Vermeidung unverhältnismäßiger Eingriffe in die Berufsfreiheit ist vielmehr eine Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit und Gesamtverhalten anzustellen; nur wenn diese nach dem Erkenntnisstand des Tatrichters zu der Prognose führt, daß der Betroffene weiterhin als Steuerbevollmächtigter untragbar ist, weil von ihm noch eine Gefährdung der Rechtspflege ausgeht, darf auf die Ausschließung aus dem Beruf erkannt werden.
Dies hat der Senat durch Urteil vom 6. August 1993 – StbSt (R) 1/93 – (zur Veröffentlichung bestimmt) grundsätzlich entschieden.
2. Diesen Grundsätzen wird das Berufungsgericht nicht gerecht.
a) Allerdings kann auch die wiederholte Nichtbeantwortung von Anfragen des Präsidenten der Steuerberaterkammer so schwer wiegen, daß dies den Ausschluß aus dem Beruf rechtfertigt. Voraussetzung dafür ist jedoch, daß durch diese Nichtbeantwortung die Steuerberaterkammer daran gehindert wird, diejenigen Maßnahmen zu treffen oder einzuleiten, die erforderlich sind, um Gefahren für die Rechtspflege im Sinne der Entscheidung des Senats vom 6. August 1993 abzuwenden. Dies war hier nicht der Fall, da die Steuerberaterkammer bei Nichtvorlage der Unterlagen über den Abschluß einer Berufshaftpflichtversicherung davon ausgehen konnte, daß eine solche Versicherung nicht besteht und deshalb in der Lage war, auch ohne eine dahingehende Auskunft des Berufsangehörigen die erforderlichen Maßnahmen, nämlich das Verfahren auf Widerruf der Bestellung nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG, in die Wege zu leiten.
b) Der schuldhafte Verstoß gegen die gesetzliche Verpflichtung, sich gegen Haftpflichtverfahren angemessen zu versichern, erst recht das Unterlassen jeglicher Haftpflichtversicherung, wird in der Regel als Berufspflichtverletzung so schwer wiegen, daß dies den Ausschluß aus dem Beruf rechtfertigt (st. Rspr.; vgl. die Urteile des Senats StbSt (R) 5/88 vom 17. Oktober 1988 und StbSt (R) 6/88 vom 5. Dezember 1988).
Der vorliegende Fall weist aber Besonderheiten auf, die möglicherweise eine mildere berufsgerichtliche Maßnahme hätten ausreichen lassen. Mindestens hätte geprüft werden müssen, ob die gesundheitlichen Probleme des Steuerberaters den Verstoß gegen seine Berufspflichten in einem milderen Lichte erscheinen lassen. Es hätte deshalb der Prüfung und Erörterung bedurft, ob und in welchem Umfang der wegen einer Querschnittslähmung an den Rollstuhl gefesselte Steuerbevollmächtigte seine Praxis überhaupt betrieb, ob durch das Unterlassen einer Haftpflichtversicherung Gefahren für Mandanten entstehen konnten und ob die Erkrankung des Steuerbevollmächtigten die korrekte Erfüllung seiner berufsrechtlichen Pflichten beeinträchtigte. Diese Gründe sind für den Widerruf der Bestellung nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG unerheblich, weil es dort auf die Vorwerfbarkeit des Verhaltens nicht ankommt. Für die Ahndung einer berufsrechtlichen Pflichtverletzung mit der schwersten berufsgerichtlichen Maßnahme können sie nicht außer Betracht bleiben.
III.
Um dem neu entscheidenden Tatgericht eine umfassende Prüfung zu ermöglichen, hat der Senat das Urteil insgesamt aufgehoben.
Fundstellen