Dr. Florian Müller, Dr. Daniel Licht
Rz. 53
§ 4 Abs. 2 Satz 1 EStG betrifft nur die Steuerbilanz, nicht aber die Handelsbilanz. Dies lässt bereits der Wortlaut der genannten Vorschrift erkennen, wonach die Bilanz nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes aufzustellen ist, was auf die Handelsbilanz jedoch nicht zutrifft. Gegenstand der Bilanzberichtigung ist demnach die Steuerbilanz bzw. jegliche zu steuerlichen Zwecken erstellte Vermögensübersicht/Bilanz. Dies kann entweder eine eigens für die Besteuerung erstellte Bilanz (§ 60 Abs. 2 Satz 2 EStDV) oder aber eine Handelsbilanz mit Überleitungsrechnung sein (§ 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV). Erfasst sind insbesondere die Anfangs- und Schlussbilanz als Anknüpfungspunkte innerhalb des Betriebsvermögensvergleichs, ebenso wie die Eröffnungsbilanz, Gesellschafts-, Sonder- und Ergänzungsbilanzen, Aufgabe-, Liquidations- und Umwandlungsbilanzen sowie Übergangsbilanzen bei Änderung der Gewinnermittlungsart und Zwischenbilanzen beim Gesellschafterwechsel.
Rz. 54
Die Bilanzberichtigung setzt eine wirksam erstellte Bilanz voraus, die auch unterzeichnet ist (§ 245 HGB), sodass bloße vorläufige Übersichten, die noch nicht die formalen Anforderungen an eine Bilanz erfüllen, sowie unter Vorbehalt erstellte Bilanzen nicht erfasst sind, zumal der Steuerpflichtige mit einer vorläufigen Bilanz auch noch nicht seiner Erklärungspflicht nachkommt. Im Hinblick auf die formalen Anforderungen genügt es jedoch, wenn die niedrigeren steuerlichen Anforderungen und nicht zwingend die strengeren handelsrechtlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen erfüllt sind.
Rz. 55
Für Steuerpflichtige, die ihren Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) ermitteln, hat § 4 Abs. 2 EStG keine Bedeutung, da in diesem Fall keine Bilanz aufzustellen ist. In diesem Fall wird § 4 Abs. 2 EStG lediglich relevant, wenn der Steuerpflichtige die Gewinnermittlungsart wechselt und deshalb eine Übergangsbilanz erstellt.
Bei der Einnahmen-Überschussrechnung existiert ein dem Bilanzenzusammenhang vergleichbarer Wertzusammenhang für Wirtschaftsgüter, deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten im Wege der Absetzung für Abnutzung oder Substanzverringerung auf mehrere Wirtschaftsjahre zu verteilen sind, in diesem Sinne nicht. Die bereits in den Vorjahren in Anspruch bzw. nicht in Anspruch genommenen Absetzungsbeträge lösen grundsätzlich keine Bindungswirkung für die Folgejahre aus. Jeder Veranlagungszeitraum ist in sich geschlossen und eigenständig zu beurteilen. So kann ein unterlassener Sofortabzug z. B. nicht durch eine Aktivierung und Verteilung des entsprechenden Aufwands in einem späteren Veranlagungszeitraum nachgeholt werden. Ebenso können Betriebsausgaben, die nicht bereits im Jahr der Verausgabung abgezogen worden sind, nicht in einem späteren Jahr abgezogen werden. Der Grundsatz der Gesamtgewinngleichheit – sog. Totalgewinnidentität – wird dadurch nicht verletzt. Dieser besagt, dass die verschiedenen Gewinnermittlungsmethoden im Zeitablauf zu dem selben Gesamtgewinn führen müssen. Notwendige Bedingung ist jedoch, dass die Regeln der jeweiligen Gewinnermittlungsmethode befolgt werden. In Anknüpfung an das oben genannte Beispiel hätte der Steuerpflichtige den Sofortabzug in Anspruch nehmen können – und auch müssen –, um für diesen Fall eine Gesamtgewinngleichheit erreichen zu können. Der Grundsatz der Gesamtgewinngleichheit verlangt dagegen nicht, dass Fehler, die entsprechend des formellen Bilanzenzusammenhangs noch in späteren Veranlagungszeiträumen berichtigt werden können, auch bei der Einnahmen-Überschussrechnung zu korrigieren sind. Letztlich sind die Möglichkeiten der bilanzspezifischen Fehlerkorrektur nicht auf die Einnahmen-Überschussrechnung übertragbar, bei der hinsichtlich der Erfassung von Einnahmen und Ausgaben im Rahmen einer Zahlungsorientierung auf das Zu- und Abflussprinzip (§ 11 EStG) abzustellen ist. Diesen Unterschied zur periodengerechten Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich berücksichtigt der Gesetzgeber explizit dadurch, dass die Vorschriften des Betriebsvermögensvergleichs (§ 4 Abs. 1, § 5 EStG) nicht den Regelungen des in Rede stehenden Zu- und Abflussprinzips unterworfen werden (§ 11 Abs. 1 Satz 5, Abs. 2 Satz 6 EStG).
Für Steuerpflichtige, die ihren Gewinn nach Durchschnittssätzen ermitteln (§ 13a EStG), hat § 4 Abs. 2 EStG ebenfalls keine Bedeutung. Auch in diesem Fall wird § 4 Abs. 2 EStG lediglich relevant, wenn der Steuerpflichtige die Gewinnermittlungsart wechselt. Für Steuerpflichtige, die ihren Gewinn nach 5a EStG ermitteln, kommt eine Bilanzberichtigung indes in Betracht, da § 60 Abs. 1 EStDV bei dieser Form der Gewinnermittlung die Abgabe einer Bilanz fordert.