Prof. Dr. Stefan Müller, Laura Peters
3.1.1 Erzwingung der Einreichung bzw. Übermittlung
Rz. 259
Unterlässt es der Steuerpflichtige, der Steuererklärung nach § 150 Abs. 4 AO z. B. i. V. m. § 60 EStDV eine Bilanz als Unterlage beizufügen oder den Inhalt der Bilanz und der GuV durch Datenfernübertragung zu übermitteln (E-Bilanz, § 5b EStG), so kann die Finanzbehörde die Einreichung bzw. elektronische Übermittlung anordnen und gegebenenfalls erzwingen. Als Zwangsmittel kommt zunächst die Festsetzung eines zuvor bereits angedrohten Zwangsgeldes (§ 329 AO) in Betracht. Das einzelne Zwangsgeld darf jedoch 25.000 EUR nicht übersteigen. Es sind aber mehrfache Festsetzungen, deren Gesamtbetrag dann durchaus höher sein darf, möglich. Weiteres Zwangsmittel ist die Ersatzvornahme (§ 330 AO). Sie berechtigt die Vollstreckungsbehörde, bei vertretbaren Handlungen, d. h. solchen, die auch durch einen anderen vorgenommen werden können, einen anderen mit der Vornahme der Handlung auf Kosten des Pflichtigen zu beauftragen (z. B. Aufstellung einer Bilanz durch einen Steuerberater auf Kosten des Steuerpflichtigen). Wird zwar eine Steuererklärung abgegeben, ihr aber keine Bilanz beigefügt, so kommt die Festsetzung eines Verspätungszuschlages nach h. M. nicht in Betracht, da § 152 AO die Verletzung der Verpflichtung zur fristgerechten Abgabe einer Steuererklärung voraussetzt, die Bilanz aber gerade "nur" eine "Unterlage" ist.
3.1.2 Schätzung der Besteuerungsgrundlagen
Rz. 260
Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie jene zu schätzen (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO). Besteuerungsgrundlagen in diesem Sinne sind die Berechnungsgrundlagen der Steuer (wie z. B. Einnahmen, Betriebsausgaben, Umsatz, Bilanzposten etc.), nicht dagegen das Ergebnis (Gewinn oder Verlust) oder gar der Steuerbetrag.
Rz. 261
Legt der Steuerpflichtige seiner Steuererklärung keine Bilanz bei und ist es auch nicht möglich, eine solche mit verhältnismäßigem Aufwand aus der laufenden Buchführung und dem Inventar zu erstellen, so kann die Finanzbehörde eine so genannte Vollschätzung vornehmen. Mit Hilfe der Schätzung soll ein Ergebnis gefunden werden, das die "größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich hat". Wurde die Schätzung durch ein pflichtwidriges Verhalten des Steuerpflichtigen notwendig, so kann bei der Schätzung an die obere Grenze des noch wahrscheinlichen Ergebnisses gegangen werden. Als Methoden der Schätzung kommen der innere und äußere Betriebsvergleich sowie die Einzelschätzung in Betracht: Bei innerem Betriebsvergleich werden die Lücken einer Periode durch Vergleich mit den Werten anderer Perioden im gleichen Betrieb geschlossen. Der äußere Betriebsvergleich hingegen basiert auf einer Orientierung an Vergleichsbetrieben. Bei der Einzelschätzung geht man von feststellbaren Merkmalen (wie z. B. Wareneinsatz, Produktionskapazität etc.), die einen Schluss auf die Höhe des fehlenden Wertes zulassen, aus.
Rz. 262
Die Schätzung ist als milderes Mittel nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Festsetzung eines Zwangsgeldes vorzuziehen. Dies wird in der Praxis bereits deshalb geschehen, da die Schätzung mit weniger Aufwand schneller zum gewollten Ergebnis (Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und Festsetzung der Steuer) führt.