Prof. Dr. Stefan Müller, Laura Peters
Rz. 260
Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie jene zu schätzen (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO). Besteuerungsgrundlagen in diesem Sinne sind die Berechnungsgrundlagen der Steuer (wie z. B. Einnahmen, Betriebsausgaben, Umsatz, Bilanzposten etc.), nicht dagegen das Ergebnis (Gewinn oder Verlust) oder gar der Steuerbetrag.
Rz. 261
Legt der Steuerpflichtige seiner Steuererklärung keine Bilanz bei und ist es auch nicht möglich, eine solche mit verhältnismäßigem Aufwand aus der laufenden Buchführung und dem Inventar zu erstellen, so kann die Finanzbehörde eine so genannte Vollschätzung vornehmen. Mit Hilfe der Schätzung soll ein Ergebnis gefunden werden, das die "größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich hat". Wurde die Schätzung durch ein pflichtwidriges Verhalten des Steuerpflichtigen notwendig, so kann bei der Schätzung an die obere Grenze des noch wahrscheinlichen Ergebnisses gegangen werden. Als Methoden der Schätzung kommen der innere und äußere Betriebsvergleich sowie die Einzelschätzung in Betracht: Bei innerem Betriebsvergleich werden die Lücken einer Periode durch Vergleich mit den Werten anderer Perioden im gleichen Betrieb geschlossen. Der äußere Betriebsvergleich hingegen basiert auf einer Orientierung an Vergleichsbetrieben. Bei der Einzelschätzung geht man von feststellbaren Merkmalen (wie z. B. Wareneinsatz, Produktionskapazität etc.), die einen Schluss auf die Höhe des fehlenden Wertes zulassen, aus.
Rz. 262
Die Schätzung ist als milderes Mittel nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Festsetzung eines Zwangsgeldes vorzuziehen. Dies wird in der Praxis bereits deshalb geschehen, da die Schätzung mit weniger Aufwand schneller zum gewollten Ergebnis (Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und Festsetzung der Steuer) führt.