Leitsatz
Aktive Rechnungsabgrenzungsposten sind auch bei geringfügigen Beträgen zu bilden. Weder dem Grundsatz der Wesentlichkeit noch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lässt sich eine Einschränkung der Pflicht zur Bildung auf wesentliche Fälle entnehmen.
Normenkette
§ 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, § 6 Abs. 2 EStG, § 11 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Der gewerblich tätige Kläger ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. In Bezug auf vorausgezahlte Aufwendungen, wie Beiträge zu Versicherungen und Kfz-Steuern, bildete er in den Streitjahren keine aktiven RAP. Das FA hielt hingegen deren Ansatz für erforderlich und erhöhte die Gewinne aus Gewerbebetrieb. Die dagegen gerichtete Sprungklage hatte Erfolg (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 8.11.2019, 5 K 1626/19, Haufe-Index 13951146, EFG 2020, 435).
Entscheidung
Die Revision des FA war aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen erfolgreich.
Hinweis
1. Die Voraussetzungen für die Bildung von aktiven Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) ergeben sich aus § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG. Erforderlich sind Ausgaben vor dem Abschlussstichtag, die Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen. Die Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten dient dazu, Einnahmen und Ausgaben periodengerecht in dem Jahr auszuweisen, dem sie wirtschaftlich zuzuordnen sind. § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG statuiert mit der Definition aktiver Rechnungsabgrenzungsposten für die Steuerbilanz ein (abschließendes) Aktivierungsgebot für Ausgaben, die der Definition entsprechen; der Steuerpflichtige hat insoweit kein Wahlrecht.
2. Anders als noch in dem Senatsbeschluss vom 18.3.2010, X R 20/09 (BFH/NV 2010, 1796; vgl. dazu auch Förster, BFH/PR 2010, 417) ist der X. Senat jetzt der Auffassung, dass sich weder dem Grundsatz der Wesentlichkeit noch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Einschränkung der Pflicht zum Ansatz von RAP auf wesentliche Fälle entnehmen lasse, sodass es an einer rechtlichen Grundlage für ein Wahlrecht zur Bildung von aktiven RAP in Fällen von geringer Bedeutung fehle.
3. Die Existenz des Grundsatzes der Wesentlichkeit steht außer Frage. So lässt das HGB an mehreren Stellen erkennen, dass es in bestimmten Fällen auf den Ausweis unwesentlicher Positionen verzichtet. Auch zeigt im EStG die Sofortabsetzung von geringwertigen Wirtschaftsgütern nach § 6 Abs. 2 EStG, dass ein periodengerechter Ausweis entbehrlich sein kann.
4. Für ein Wahlrecht im Rahmen des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG hätte es aber einer gesetzlichen Regelung bedurft, die es dem Steuerpflichtigen erlaubt, in Fällen von geringer Bedeutung auf eine genaue Abgrenzung zu verzichten, selbst wenn die Anwendung des Grundsatzes der Wesentlichkeit dort umso eher begründbar sein könnte, wo es – wie bei einem RAP – nur um den zeitgerechten Ausweis geht.
Eine solche gesetzliche Grundlage ist indes nicht gegeben. Eine Übertragbarkeit der gesetzgeberischen Überlegungen bei der Behandlung geringwertiger Wirtschaftsgüter in § 6 Abs. 2 EStG auf die Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten ist nicht möglich.
5. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schränkt die Pflicht zur Bildung von RAP ebenfalls nicht auf wesentliche Fälle ein. Bei der Rechnungsabgrenzung auch in Fällen von geringer Bedeutung ist kein Aufwand erkennbar, der außer Verhältnis zur Verbesserung des Einblicks in die Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens stünde. Stehen die Werte der RAP eindeutig fest, sind sie auch in die Bilanz aufzunehmen, selbst wenn sie einen verhältnismäßig geringen Betrag aufweisen. Zudem kann es bei einer Vielzahl in der Gewinnermittlung nicht berücksichtigter, geringfügiger aktiver RAP doch – insgesamt – zu einer bedeutenden Verzerrung des Einblicks in die Vermögens- und Ertragslage kommen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.3.2021 – X R 34/19