Leitsatz
Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Stehen die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen über die Steuerbefreiung bei Ausfuhren in ein Drittland einer Gewährung der Steuerbefreiung im Billigkeitsweg durch den Mitgliedstaat entgegen, wenn zwar die Voraussetzungen der Befreiung nicht vorliegen, der Steuerpflichtige deren Fehlen, aber auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte?
Normenkette
Art. 15 Nr. 2 der 6. EG-RL, § 4 Nr. 1 a, § 6, § 6a Abs. 4 UStG, § 8 UStDV, § 227 AO
Sachverhalt
Ein Discount-Supermarkt an der polnischen Grenze hatte USt erstattet, wenn sich der Stempelaufdruck hälftig auf dem Bon und dem Zollformular befand und der ausländische Bürger seinen Pass vorlegte. Den sprunghaften Anstieg der Ausfuhrerstattungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr und die häufige Wiederkehr einer Zollstempelnummer wurde schließlich bemerkt. Die Zollstelle hatte den Stempel nicht schon bei der Vorlage, sondern erst nach Prüfung als gefälscht erkannt.
Das FA erhob die USt für die Zeit vor der ersten Auskunft und nach der zweiten Auskunft der Zollstelle nach. Einen Billigkeitserlass lehnte das FA ab. Das FG sah dies ebenso.
Entscheidung
Die Frage, ob bei gefälschten Zollstempeln Vertrauensschutzgesichtspunkte berücksichtigt werden könnten, war entscheidungserheblich. Der BFH legte die im Leitsatz wiedergegebene Frage dem EuGH vor.
Hinweis
1. Wenn – wie im Besprechungsfall – die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 und Abs. 4 UStG nicht erfüllt sind, weil der liefernde Unternehmer vom Abnehmer gefälschte Ausfuhrbelege erhalten hatte, lehnten Verwaltung und Rechtsprechung bisher Billigkeitsmaßnahmen ab (zuletzt BFH, Beschluss vom 6.5.2004, V B 101/03, BFH-PR 2004, 369), weil der deutsche Gesetzgeber die Einführung der Vertrauensschutzregelung in § 6a Abs. 4 UStG für die innergemeinschaftliche Lieferung – die in der 6. EG-RL keine Parallele hat! – nicht als Anlass zu einer entsprechenden Regelung bei Ausfuhrlieferungen genommen hat.
2. Der deutsche Gesetzgeber hatte sich bei der Einführung der Vertrauensschutzregelung auf die Protokollerklärung zur Ratstagung am 16.12.1991 zu Art. 28c Teil A der 6. EG-RL i.d.F. der sog. Binnenmarkt-Richtlinie 91/680/EWG vom 16.12.1991 bezogen, wonach diese Übergangsregelungen für innergemeinschaftliche Lieferungen nicht "zur Folge haben darf, dass die Befreiung verweigert wird, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Erwerber materiell falsche Angaben gemacht hat, während der Steuerpflichtige die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um bei Lieferungen seines Unternehmens einer inkorrekten Anwendung der MwSt-Vorschriften vorzubeugen". Dieser Schutzzweck für den Binnenmarkt fehlt bei der Ausfuhrlieferung.
3. Für analoge Fälle bei Zöllen und Herkunftsbescheinigungen hat jedoch nach der Rechtsprechung des EuGH auch der gutgläubige Händler die Folgen der Nichterweislichkeit bzw. Nichterfüllung der Voraussetzungen zu tragen und rechtfertigt selbst eine Bescheinigung der zuständigen Behörde nur unter besonderen Voraussetzungen die Berufung auf Vertrauensschutz. Auch ist nach einer EG-Verordnung zum Erlass von Eingangsabgaben das Vertrauen in die Gültigkeit von Ursprungszeugnissen, die sich als falsch, gefälscht oder ungültig erweisen, als solches keinen besonderen Umstand, der einen Erlass rechtfertigt.
4. Halten Sie entsprechende Fälle offen. Würde der EuGH die Frage bejahen, wird zu prüfen sein, ob und inwieweit die Voraussetzungen im Streitfall vorlagen. Die Entscheidung des EuGH im Urteil vom 15.6.2006, Rs. C-494/04 – Heinz van Landewijck SARL – scheint eher die bisherige Rechtsprechung zu den Ausfuhrlieferungen zu bestätigen: Danach ist es zulässig, dass bei verschwundenen Steuerbanderolen dem Erwerber das finanzielle Risiko des Verschwindens auferlegt und eine Erstattung von Eingangsabgaben versagt werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 2.3.2006, V R 7/03