Rn 14
§ 1 sieht die Gläubigerbefriedigung als numerisch zuerst benanntes Ziel vor. Der Gläubiger, die sich daraus ergebende Stellung und Eigenschaft, werden in § 1 nicht näher erläutert. Das Gesetz setzt dies als gegeben voraus, wobei die verfahrensrechtliche Position und Weiterungen sich aus § 38 ergeben. Neben den sog. Insolvenzgläubigern zählen zudem die absonderungsberechtigten Gläubiger, die Massegläubiger oder auch die Gläubiger etwaiger Verfahrenskosten dazu. Keine Gläubiger im Verständnis nach § 1 sind die Aussonderungsberechtigten sowie die Neugläubiger.
Rn 15
Anknüpfungspunkt ist die gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung. Die bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung existierende Gläubigerbevorrechtigung einzelner Gläubiger oder des Gläubigerwettlaufs im Rahmen von Vollstreckungsmöglichkeiten in das Schuldnervermögen hinein, enden. Zu nennen sind hier etwa das Zwangsvollstreckungsverbot nach §§ 89, 294 oder etwa die sog. Rückschlagsperre nach §§ 88, 312. Die Interessen aller Gläubiger im Verständnis von § 1 werden damit zusammengefasst und bilden eine Gesamtwirkung.
Rn 16
Damit einhergeht eine höhere Verteilungsgerechtigkeit, bei gleichzeitig angestrebter gleichmäßiger und bestmöglicher Befriedigung der beteiligten Gläubiger bei Anwendung der in der InsO veranlagten Mechanismen der Vermögenssicherung auf der einen Seite und Vermögensverteilung auf der anderen Seite.
Rn 17
Die Mittel zur Realisierung der vorbezeichneten Grundsätze normiert § 1 S. 1. Es wird abgestellt auf die Vermögensverwertung und die Erlösverteilung. Konkret wird mit Satz 1 normiert, dass die Liquidation des Schuldnervermögens in Betracht kommt, ebenso wie die Sanierung des Unternehmens durch anteilige oder gar vollständige Veräußerung an einen anderen Rechtsträger sowie die Sanierung des insolventen Unternehmens.
Rn 18
Anstatt einer Vollabwicklung des Schuldnervermögens als Folge einer angestrebten Liquidation des Schuldnervermögens steht als eigenständiges Ziel die Unternehmensreorganisation und Unternehmenssanierung als Option zur Verfügung. Dabei stellt der Insolvenzplan die Basis zur Realisierung des insolvenzrechtlichen Primärziels. Die Schaffung des ESUG, mit dem die Sanierungsaussichten von Unternehmen stark erhöht werden sollen, bekräftigt dieses Insolvenzziel, ebenso wie die in § 270b im Rahmen des Schutzschirmverfahrens normierten Vorgaben.
Rn 19
Die in § 1 S. 2 normierte Gelegenheit zur Schuldbefreiung betrifft natürliche Personen im Sinne von §§ 286 ff. Diese Befreiung der Verbindlichkeiten ist als Kernaspekt und angestrebtes Ziel zu betrachten. Es sichert zudem die Existenz des betroffenen Schuldners und der von ihm abhängigen unterhaltsberechtigten Gläubiger.
Rn 20
Der Insolvenzordnung sind neben den in § 1 normierten und daraus abgeleiteten Primärzielen diverse sog. Sekundärziele immanent, die sich aus der Systematik der einzelnen Bestimmungen ergeben. Zu nennen sind die Beteiligtenautonomie und die Masseanreicherung.
Rn 21
Die Beteiligtenautonomie trifft die verfahrensrechtliche Bewertung der am Insolvenzverfahren Beteiligten. Die gesetzlichen Regelungen führen dazu, dass sowohl auf Schuldner-, wie auch auf Gläubigerseite ein Verlust der eigenverantwortlichen Entscheidungsmöglichkeiten einhergeht. Beide Seiten können nicht mehr frei über Vermögen oder Vollstreckungshandlungen entscheiden. Beide Aspekte sind durch die mannigfachen Regelungen und die sich daraus ableitenden Pflichten in einen Ausgleich zu bringen.
Rn 22
Um eine höchstmögliche Masseanreichung zu ermöglichen, sind die diversen Einzelregelungen in ihrer Gesamtwirkung zu würdigen. Eine Antragsverpflichtung mit strafrechtlichem Charakter zur Sicherstellung einer frühzeitigen Einleitung des Verfahrens, der Entzug der schuldnerischen Verfügungsbefugnis und Verwertungsbefugnis über das eigene Vermögen, bis hin zu den Anfechtungsvorschriften (§§ 129 ff.) dienen dem Zeck der verbesserten Gläubigerbefriedigung.