3.1 Gegenseitiger Vertrag
Rn 26
Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 103 ist das Vorliegen eines gegenseitigen Vertrages i.S.d. §§ 320 ff. BGB im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Rn 27
Die Abweichung zur Diktion des § 17 KO, der von "zweiseitigen Verträgen" spricht, ist redaktioneller Art. Bereits zur KO wurde der Terminus im Sinne eines "gegenseitigen Vertrages" interpretiert, da sich der abweichende Sprachgebrauch der KO gegenüber dem BGB maßgeblich daraus erklärt, dass die KO bereits zwanzig Jahre vor der Verabschiedung der endgültigen Fassung des BGB in Kraft getreten war.
Rn 28
Ein gegenseitiger Vertrag liegt vor, wenn die vereinbarten Leistungspflichten in einem synallagmatischen Verhältnis zueinander stehen: die eine Vertragspartei leistet, um die Gegenleistung der anderen Vertragspartei zu erlangen (do ut des). Leistung und Gegenleistung müssen nicht notwendig bei objektiver Betrachtungsweise gleichwertig sein, entscheidend ist vielmehr, dass sich die wechselseitigen Leistungen nach dem Parteiwillen einander bedingen sollen.
3.2 Nicht unter § 103 fallende Verträge
Rn 29
Nach dieser Maßgabe scheiden aus dem Anwendungsbereich des § 103 zunächst sowohl "unvollkommen zweiseitige Verträge" als auch einseitige Verpflichtungen sowie unvollkommene Verbindlichkeiten (Naturalobligationen) aus. Nicht unter § 103 fallen daher Auftrag, §§ 662 ff. BGB (hier kommt § 115 zur Anwendung), Auslobung, §§ 657 ff. BGB, Ehevermittlung, § 656 BGB, Leihe §§ 598 ff. BGB, Schenkung, §§ 516 ff. BGB, Spiel, Wette, § 762 BGB.
Rn 30
Dem Anwendungsbereich des § 103 entzogen sind auch unverzinsliche Darlehen, Bürgschaften (soweit nicht eine Gegenleistung versprochen wird, wie z.B. eine Provision).
Rn 31
Obwohl als gegenseitige Verträge zu qualifizieren, fallen solche Vertragsverhältnisse nicht unter den Anwendungsbereich des § 103, für die in den Bestimmungen der §§ 104, 109, 112–116 speziellere Regelungen getroffen sind.
Rn 32
Verträge über die Lieferung von Waren und Finanzleistungen mit einem notierten Markt- oder Börsenpreis, für die eine fixe Lieferzeit oder -frist vereinbart war, sind dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters entzogen, wenn der Lieferzeitpunkt oder der Ablauf der Leistungsfrist in die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällt; es verbleibt bei der Forderung des Vertragspartners wegen Nichterfüllung, § 104.
Rn 33
Kaufverträge über Rechte an Grundstücken oder grundstücksgleiche Rechten sind dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters bezüglich der vereinbarten Rechtsänderung entzogen, wenn der Anspruch des Vertragspartners durch eine Vormerkung grundbuchlich gesichert ist. In diesem Fall muss der Insolvenzverwalter den Anspruch auf Rechtsänderung zu Lasten der Insolvenzmasse erfüllen, § 106 Abs. 1. Von dem Vormerkungsschutz nicht erfasst sind jedoch weitere Leistungspflichten des Schuldners, die ggf. neben der Rechtsänderung vereinbart worden sind, wie z.B. die Verpflichtung zur Herstellung eines Bauwerkes in einem Bauträgervertrag.
Rn 34
Entsprechende Wirkung haben Vormerkungen in Schiffs-, Schiffsbau- und Luftfahrtregistern.
Rn 35
Hat der Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine bewegliche Sache unter Eigentumsvorbehalt verkauft und dem Käufer bereits den Besitz übertragen, ist ein Wahlrecht des Insolvenzverwalters nicht gegeben. Vielmehr kann der Käufer auf der Erfüllung des Vertrages bestehen, wobei er verpflichtet ist, die vereinbarte Gegenleistung vollständig zu erbringen, § 107 Abs. 1.
Rn 36
Miet- und Pachtverträge sowie diesen gleichgestellte Verträge, hier insbesondere Leasingverträge, über unbewegliche Gegenstände und Räume bleiben ungeachtet der Verfahrenseröffnung mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse in Kraft, § 108. Entsprechendes gilt für Verträge des Schuldners als Vermieter, Verpächter oder Leasinggeber über "sonstige Gegenstände", also bewegliche Gegenstände und Rechte, sofern die Vertragsgegenstände im Rahmen Finanzierung der Anschaffung durch einen Dritten an diesen zur Sicherheit übertragen worden sind.
Rn 37
In all diesen Fällen steht dem Insolvenzverwalter ungeachtet vertraglich vereinbarten Laufzeiten ein besonderes Kündigungsrecht mit gesetzlicher Kündigungsfrist zu; soweit der Vertrag noch nicht in Vollzug gesetzt war, greift ein Rücktrittsrecht, § 109.
Rn 38
Auch Dienstverhältnisse, bei denen der Schuldner Dienstberechtigter ist, unterfallen nicht der Regelung des § 103, sondern gelten über die Verfahrenseröffnung hinaus fort; a...