Rn 11

Die Bestimmung stellt eine vollständige Neuregelung dar, welche u.a. die zu § 18 KO entstandene Streitfrage gelöst hat, ob § 18 KO auf sog. Finanztermingeschäfte zumindest sinngemäß angewendet werden konnte.[13]

Aufgrund des erheblichen Interesses der Finanzwirtschaft an einer ausdrücklichen Regelung der insolvenzrechtlichen Behandlung der Finanztermingeschäfte wurde die Bestimmung des § 104 bereits 1994 in Kraft gesetzt, zunächst über Art. 15 des Finanzmarktförderungsgesetzes am 1. August 1994, sodann nochmals durch Art. 105 und Art. 110 Abs. 3 EGInsO am 19. Oktober 1994.[14]

 

Rn 12

Abs. 2 Satz 1 trifft besondere Regelungen dafür, dass Gegenstand eines Vertrags nicht Warenlieferungen, sondern Finanzleistungen sind, für die eine bestimmte Zeit oder Frist vereinbart ist. Liegt der vereinbarte Zeitpunkt oder der Fristablauf nach dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, treten dieselben Rechtsfolgen wie in Abs. 1 ein, die Erfüllungsansprüche können nicht mehr geltend gemacht werden, ein Wahlrecht des Insolvenzverwalters besteht nicht. An Stelle der Erfüllung kann nur noch eine Forderung wegen Nichterfüllung erhoben werden, die nach den objektiven Kriterien des Abs. 3 zu berechnen ist. Neben der Herstellung von Rechtssicherheit über das weitere Schicksal des Vertrags soll durch Abs. 2 dem Insolvenzverwalter auch die Möglichkeit genommen werden, auf der Grundlage vom Schuldner abgeschlossener Finanztermingeschäfte selbst Spekulationen auf steigende oder fallende Kurse anzustellen.[15]

[13] Van de Loo, ZIP 1988, 352 ff.
[14] Zur Entstehungsgesichte ausführlich Bosch, in: Kölner Schrift, S. 1009 (1010); MünchKomm-Jahn, § 104 Rn. 1-24.
[15] BegrRechtsA, in: Kübler/Prütting, Bd. I, S. 294.

3.1 Allgemeine Tatbestandsvoraussetzungen

 

Rn 13

Ebenso wie Abs. 1 setzt Abs. 2 Satz 1 einen im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung beiderseits nicht oder nicht vollständig erfüllten Vertrag voraus.[16] Vertragsgegenstand ist nicht eine Warenlieferung, sondern eine Finanzleistung, die einen Markt- oder Börsenpreis hat und die erst in der Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu erbringen ist.

 

Rn 14

Im Gegensatz zu den Liefergeschäften gem. Abs. 1 müssen die vereinbarten Finanzleistungen keinen Fixcharakter haben. Anstatt der genau und fest bestimmten Zeit oder Frist verlangt Abs. 2 Satz 1 lediglich eine bestimmte Zeit oder Frist. Es genügt demnach, dass eine bestimmte Leistungszeit oder ein bestimmter Zeitraum für die Leistungserbringung vereinbart ist, ohne dass die Einhaltung des Termins oder der Frist für den Bestand des Vertrags so erheblich ist, dass das Erfüllungsinteresse per se davon abhängt. Nicht unter den Anwendungsbereich des Abs. 2 fallen Bargeschäfte, d.h. sofort zu erfüllende Vereinbarungen sowie Verträge, die auf unbestimmte Zeit abgeschlossen sind.[17]

 

Rn 15

Erfasst sind nur Finanzleistungen, die einen Markt- oder Börsenpreis haben. Ebenso wie in Abs. 1 ist eine weite Auslegung des Begriffs geboten. Demnach reicht die Möglichkeit, dass an Hand objektiver Kriterien ein Preis ermittelt werden kann, ein Handel an organisierten Märkten ist nicht erforderlich. Ein Marktpreis kann auch durch finanzmathematische Ableitungen ermittelt werden, ohne dass tatsächlich ein Handel stattfindet.[18]

[16] HK-Marotzke, § 104 Rn. 6; Uhlenbruck-Lüer, § 104 Rn. 16; a.A. Nerlich/Römermann-Balthasar, § 104 Rn. 31; Kübler/Prütting-Köndgen, § 104 Rn. 13.
[17] Uhlenbruck-Lüer, § 104 Rn. 14.
[18] Uhlenbruck-Lüer, a.a.O.; MünchKomm-Jahn, § 104 Rn. 55 ("synthetischer Marktpreis"); str. a.A. Nerlich/Römermann-Balthasar, § 104 Rn. 29, der tatsächliche Umsatzgeschäfte fordert.

3.2 Regelbeispiele Nr. 1–6

 

Rn 16

Abs. 2 Satz 2 enthält eine enumerative, nicht abschließende ("insbesondere") Aufzählung von Finanzleistungen, bei denen die wechselseitigen Erfüllungsansprüche mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Vertragspartners endgültig nicht mehr durchsetzbar sind. Nr. 1–4 betreffen Finanzleistungen in der Form des sog. Festgeschäftes, Nr. 5 betrifft sog. Optionsgeschäfte.[19] Mit Wirkung zum 9.4.2004 wurde die jetzige Nr. 6 eingefügt,[20] die bestimmte Finanzsicherheiten in den Regelungsbereich des Abs. 2 Satz 1 einbezieht, sofern das Sicherungsgeschäft als Termingeschäft ausgestaltet ist.[21]

 

Rn 17

Nr. 1: Edelmetallgeschäfte

Erfasst werden Liefergeschäfte über Edelmetalle, worunter Gold, Silber und Platin fallen. Die Aufzählung ist zwar nicht abschließend, so dass zukünftig auch andere Edelmetalle oder Edelmetalllegierungen betroffen sein können, sie sollten jedoch nur dann unter Nr. 1 gefasst werden, wenn sie tatsächlich in nennenswertem Umfang Gegenstand von Handelsgeschäften der Kreditwirtschaft geworden sind.[22]

Sofern die Voraussetzungen gemäß Nr. 1 nicht vorliegen, kommt eine Anwendbarkeit des Abs. 1 in Betracht, wenn dessen engere Tatbestandsmerkmale vorliegen.

 

Rn 18

Nr. 2: Lieferung von Wertpapieren oder vergleichbaren Rechten

Erfasst sind nur solche Wertpapiere, die einen Markt- oder Börsenpreis haben und dementsprechend Gegenstand von Handelsgeschäften sein können; nicht unter Nr. ...

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