Rn 11
Anwendungsvoraussetzung für Abs. 1 ist ein bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Verkäufers abgeschlossener Kaufvertrag über eine bewegliche Sache sowie die ebenfalls vor Verfahrenseröffnung erfolgte Übertragung der Sache unter Eigentumsvorbehalt.
2.1.1 Verkauf einer beweglichen Sache unter Eigentumsvorbehalt
Rn 12
Unter Abs. 1 fallen nicht nur Kaufverträge, sondern auch vergleichbare Vertragskonstellationen. Kraft ausdrücklicher Verweisung auf das Kaufrecht sind hier zunächst Werklieferungsverträge zu nennen, § 651 Abs. 1 BGB.
Zu differenzieren ist bei Miet- oder Leasingverträgen mit einer Kaufoption des Mieters bzw. Leasingnehmers: Teilweise wird hier die uneingeschränkte Anwendbarkeit bejaht, teilweise wird eine analoge Anwendung gänzlich abgelehnt.
Rn 13
Da § 107 Abs. 1 den Insolvenzschutz des Anwartschaftsrechts bezweckt, kommt eine entsprechende Anwendung nur auf solche Konstellationen in Betracht, in denen der Vertragspartner des Insolvenzschuldners eine vergleichbare Rechtsposition hat. Dies ist bei einer rein schuldrechtlichen Option auf Erwerb des Eigentums nach Ablauf des Miet- oder Leasingvertrags nicht der Fall. Eine Anwendung der Bestimmung kommt hier allenfalls dann in Betracht, wenn bereits vorinsolvenzlich eine aufschiebend bedingte Übertragung des Eigentums erfolgt ist, wobei eine solche Konstellation in der Praxis nur selten vorkommen dürfte. Anwendbar ist § 107 Abs. 1 jedoch dann, wenn vor Verfahrenseröffnung die Option bereits ausgeübt worden war, im Zweifel liegt dann indes ohnehin ein Kaufvertrag vor.
Rn 14
Neben Kaufverträgen über bewegliche Sachen kommen für den Anwendungsbereich auch Verträge über Rechte in Betracht, sofern die Rechtsübertragung aufschiebend bedingt erfolgen kann und erfolgt ist. Letzteres ist für die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück nicht der Fall (§ 925 Abs. 2 BGB), woraus sich die Regelung des § 106 erklärt.
Nicht ausreichend ist das Vorliegen eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemachten Angebots des Verkäufers auf Abschluss eines Kaufvertrags mit Lieferung unter Eigentumsvorbehalt, da der Käufer nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Rechte mehr erwerben kann, § 91.
Rn 15
Der Eigentumsvorbehalt muss nicht notwendigerweise bereits von Beginn an in der schuldrechtlichen Vereinbarung enthalten sein, es kommt auch eine nachträgliche Vereinbarung etwa auf der Grundlage einer erst später erfolgten Stundung oder Bewilligung zunächst nicht vereinbarter Ratenzahlungen oder der Vorbehalt des Eigentums erst im dinglichen Verfügungsgeschäft in Betracht.
Rn 16
Relevant ist zunächst der einfache Eigentumsvorbehalt, für die Anwendbarkeit des § 107 Abs. 1 genügt jedoch auch das Vorliegen eines sog. erweiterten Eigentumsvorbehalts, bei dem die Eigentumsübertragung auch von der Erfüllung weiterer Forderungen des Verkäufers abhängig gemacht wird; ein Konzernvorbehalt ist gemäß § 449 Abs. 3 BGB nichtig.
2.1.2 Besitzübertragung an den Käufer
Rn 17
Erforderlich ist des Weiteren nach dem Wortlaut der Bestimmung die Übertragung des Besitzes an der Sache auf den Käufer.
Rn 18
Mit dem Erfordernis, dass dem Käufer bereits vor Verfahrenseröffnung "der Besitz an der Sache übertragen" sein muss, wird kein weiteres, besonderes Tatbestandsmerkmal postuliert, vielmehr wird durch die Formulierung nur klargestellt, dass das dingliche Vollzugsgeschäft, nämlich die Übertragung des Eigentums unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Zahlung des Kaufpreises vor Verfahrenseröffnung erfolgt sein muss (§ 449 Abs. 1 BGB). Diese Eigentumsübertragung erfordert gemäß §§ 929 ff. BGB auch die Verschaffung des Besitzes. Eine weitergehende Bedeutung, etwa das Erfordernis, dass der Käufer unmittelbaren Besitz an der Kaufsache erlangt haben muss, ist nicht gegeben. Es genügt demnach, dass dem Käufer mittelbarer Besitz eingeräumt worden ist, jede nach BGB oder HGB mögliche Form der Besitzerlangung durch den Käufer ist ausreichend.