Rn 18

In zeitlicher Hinsicht setzt das Kapitalersatzrecht voraus, dass der Gesellschafter die Hilfe in der "Krise der Gesellschaft" gewährt (§ 32a Abs. 1 GmbHG). Das Gesetz definiert diesen Zeitpunkt nicht näher. Die ganz h.M. setzt den Krisenbegriff mit der so genannten Kreditunwürdigkeit gleich.[53] Letztere umschreibt ein wirtschaftliches Stadium, in dem die Gesellschaft von dritter Seite[54] keinen Kredit zu marktüblichen Bedingungen[55] erhält und die Gesellschaft aufgrund ihres Liquiditätsbedarfs ohne die Kapitalzufuhr an sich liquidiert werden müsste[56]. Unterstellt werden kann die Kreditunwürdigkeit immer dann, wenn die Gesellschaft überschuldet (§ 19 InsO) oder aber zahlungsunfähig (§ 17 InsO) ist.[57] Ob Gleiches auch bei drohender Zahlungsunfähigkeit gilt, ist bislang nicht geklärt.[58] Ganz überwiegender Ansicht nach umfasst das Stadium der Kreditunwürdigkeit auch ein der Insolvenzreife vorgelagertes Krisenstadium der Gesellschaft.[59] Die Abgrenzung der Insolvenzreife (insbesondere der Überschuldung) von der Kreditunwürdigkeit bereitet jedoch größte Schwierigkeiten. Dies galt schon bislang im Rahmen des von der h.M. vertretenen modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs.[60] Dies gilt aber umso mehr für den neuen Überschuldungsbegriff, der nach der gesetzgeberischen Konzeption zu einer Vorverlagerung der Insolvenzauslösung geführt hat.[61]

 

Rn 19

Unabhängig von den Insolvenzauslösetatbeständen kann die Kredit(un)würdigkeit h.M. nach auch anhand bestimmter Indizien nachgewiesen werden. Besondere Bedeutung kommt dabei einer konkreten Kreditentscheidung eines objektiven (informierten)[62] Dritten zu. Stellt ein solcher Dritte der Gesellschaft im maßgebenden Zeitpunkt ein Darlehen zu marktüblichen Konditionen zur Verfügung, erweitert er den Kreditrahmen oder stellt er Kredite nicht fällig, so ist dies ein starkes Indiz für die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft.[63] Gleiches gilt, wenn die von der Hausbank gewährte Kreditlinie noch nicht ausgeschöpft ist.[64] Verweigert der (informierte) Dritte dagegen eine Finanzierungshilfe zu "marktüblichen Konditionen", liegt demgegenüber eine Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft nahe.[65] Lässt sich – wie in aller Regel üblich – eine Kreditentscheidung eines außenstehenden Dritten zum maßgebenden Beurteilungszeitpunkt nicht feststellen, so muss die Kreditunwürdigkeit grundsätzlich anhand von wirtschaftlichen, kreditbezogenen und/oder anlassbezogenen Indizien festgestellt werden.[66] In aller Regel kann insoweit nicht auf einzelne Kriterien abgestellt werden. Vielmehr muss – vergleichbar einer realen Kreditentscheidung – eine ganzheitliche Betrachtung des Unternehmens vorgenommen und damit auf ein Bündel von Kriterien abgestellt werden.[67]

[53] MünchKomm-Stodolkowitz, § 135 Rn. 41; Lutter/Hommelhoff, §§ 32a, 32b Rn. 18; Roth/Altmeppen, § 32a Rn. 19; Nerlich/Römermann, § 135 Rn. 14; Michalski-Heidinger, §§ 32a, 32b Rn. 44 ff.
[54] Ein atypisches Verhalten einzelner Geldgeber, das objektiven Marktbedingungen nicht entspricht, bleibt außer Betracht; vgl. BGH NZG 1998, 223, 224 [BGH 17.11.1997 - II ZR 224/96]; DStR 1995, 188, 189 [BGH 28.11.1994 - II ZR 77/93]; Lutter/Hommelhoff, §§ 32a, 32b Rn. 19.
[55] Zu den Schwierigkeiten, den relevanten Markt für Firmenkredite einzugrenzen, s. Claussen, ZHR 1993, 195, 206.
[56] Vgl. BGH NZG 1998, 223 [BGH 17.11.1997 - II ZR 224/96]; ZIP 1993, 189, 191 [BGH 14.12.1992 - II ZR 298/91]; NJW 1992, 2891, 2892 [BGH 13.07.1992 - II ZR 269/91]; BGHZ 81, 311, 314; 81, 252, 255; 105, 168, 175; OLG München GmbHR 1993, 429, 431 [OLG München 05.03.1993 - 23 U 4873/92]; OLG Karlsruhe ZIP 1994, 1183, 1185; Lutter/Hommelhoff, §§ 32a, 32b Rn. 18 ff.; Scholz-K. Schmidt, §§ 32a, 32b Rn. 38; Uhlenbruck- Hirte, § 135 Rn. 11.
[57] BGH BB 2004, 1240, 1242 [BGH 23.02.2004 - II ZR 207/01]; BGHZ 31, 258, 272; 75, 334, 337 f.; Baumbach/Hueck-Fastrich, § 32a Rn. 44; Roth/Altmeppen, § 32a Rn. 23; Scholz-K. Schmidt, §§ 32a, 32b Rn. 39; Uhlenbruck-Hirte, § 135 Rn. 12.
[58] s. hierzu etwa v. Gerkan/Hommelhoff-v. Gerkan, Rn. 3.49; K. Schmidt, ZIP 1981, 689, 691.
[59] Vgl. BGH BB 2004, 1240, 1242 ff. [BGH 23.02.2004 - II ZR 207/01]; WiB 1997, 1239, 1240; Hommelhoff/Goette/Kleindiek, Rn. 33; Uhlenbruck-Hirte, § 135 Rn. 12; Dauner-Lieb, DStR 1998, 609; Gehrlein, NZG 1998, 845, 846.
[60] s. Haas, NZI 2001, 1, 6; v. Gerkan/Hommelhoff-Haas/Dittrich, Rn. 8.30 ff.
[61] Haas, NZI 2001, 1, 6; v. Gerkan/Hommelhoff-Haas/Dittrich, Rn. 8.30 ff.; Reiner, in: FS-Boujong, S. 437 f.
[63] Vgl. BGH NJW 1992, 2891, 2892 [BGH 13.07.1992 - II ZR 269/91]; WM 1988, 1525, 1531; OLG Hamburg ZIP 1990, 1262, 1263 f.; Rowedder-Pentz, § 32a Rn. 34.
[64] OLG Dresden NZG 1999, 347, 348 [OLG Dresden 03.12.1998 - 9 U 1087/98]; Rowedder-Pentz, § 32a Rn. 43.
[65] Vgl. BGHZ 81, 311, 318; Rowedder-Pentz, § 32a Rn. 41.
[66] Vgl. Lutter/Hommelhoff, §§ 32a, 32b Rn. 20, 23 ff.; Rowedder-Pentz, § 32a Rn. 35 ff.; Hachenburg/Ulmer, §§ 32a, 32b Rn. 46.
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