Rn 96

Wird ein Vermögensgegenstand aus dem Vermögen des Insolvenzschuldners in anfechtbarer Weise zugleich unentgeltlich weggegeben, so haftet der Empfänger aufgrund der Privilegierung des § 143 Abs. 2 Satz 1 lediglich wie ein redlicher Bereicherungsschuldner, soweit er nicht ausnahmsweise bösgläubig gewesen ist (Satz 2). Der Grund für die Privilegierung liegt darin, dass der Anfechtungstatbestand in § 134 ausschließlich an einer unentgeltlichen Zuwendung anknüpft, sodass er für sich besehen keinen Rückschluss auf eine etwaige Bösgläubigkeit des Empfängers zulässt.[308]

[308] MünchKomm-Kirchhof, § 143 Rn. 1; Schmidt-Rogge, § 143 Rn. 1; vgl. auch Nerlich/Römermann-Nerlich, § 143 Rn. 2.

5.1 Haftungsmilderung nach § 143 Abs. 2 Satz 1

 

Rn 97

Die Haftungsmilderung des § 143 Abs. 2 Satz 1 bewirkt, dass der Rückgewähranspruch gegen einen redlichen Empfänger auf die noch in seinem Vermögen vorhandene Bereicherung beschränkt ist. Er kann sich mithin auf eine Entreicherung berufen (§ 818 Abs. 3 BGB).

5.1.1 Anwendungsbereich der Privilegierung

 

Rn 98

Die Privilegierung in § 143 Abs. 2 Satz 1 findet – aufgrund des Tatbestandsmerkmals "unentgeltliche Leistung" – ausschließlich auf die Folgen einer Insolvenzanfechtung nach den § 134 Abs. 1, § 145 Abs. 2 Nr. 3, § 322 Anwendung.[309] Ist die Rechtshandlung nicht nur nach § 134 Abs. 1, sondern auch nach anderen Vorschriften anfechtbar – etwa nach § 133 Abs. 1 – scheidet § 143 Abs. 2 Satz 1 aus.[310] Darüber hinaus setzt § 143 Abs. 2 Satz 1 voraus, dass die Rückgewähr nur in Form von Wertersatz möglich ist. Die Rückgewährpflicht in natura trifft den redlichen Empfänger mithin uneingeschränkt.[311]

[309] Vgl. Begr. zu § 162 RegE und § 164 RegE, BT-Drs. 12/2443, S. 168; OLG Rostock NZI 2008, 438 [OLG Rostock 17.12.2007 - 3 U 99/07]; MünchKomm-Kirchhof, § 143 Rn. 101; Uhlenbruck-Hirte, § 143 Rn. 50.
[310] HK-Kreft, § 143 Rn. 26; Jaeger-Henckel, § 143 Rn. 154; Uhlenbruck-Hirte, § 143 Rn. 50; MünchKomm-Kirchhof, § 143 Rn. 101; FK-Dauernheim, § 143 Rn. 29.

5.1.2 Umfang der Herausgabepflicht

 

Rn 99

Die Herausgabepflicht richtet sich im Fall des § 143 Abs. 2 Satz 1 nach § 818 Abs. 1-3 BGB. Der Umfang der Herausgabe richtet sich mithin danach, ob der Empfänger der unentgeltlichen Leistung noch durch sie bereichert ist. Insoweit hat der Anfechtungsgegner tatsächlich gezogene Nutzungen, soweit noch vorhanden, herauszugeben. Gleiches gilt für ein erlangtes gesetzliches Surrogat. Hingegen haftet er weder für eine von ihm verschuldete (Teil-)Unmöglichkeit im Hinblick auf die Rückgewähr des Anfechtungsgegenstandes bzw. gezogener Nutzungen noch für schuldhaft nicht gezogene Nutzungen.[312] Anfechtbar erhaltenes Geld ist bei dem Anfechtungsgegner nicht mehr vorhanden, wenn dieser es an Dritte oder den Schuldner gezahlt hat, ohne dass dadurch notwendige Ausgaben aus dem eigenen Vermögen des Anfechtungsgegners erspart oder eigene Schulden getilgt wurden.[313]

[312] Begr. zu § 162 RegE, BT-Drs. 12/2443, S. 167; HK-Kreft, § 143 Rn. 27; ausführlich hierzu MünchKomm-Kirchhof, § 143 Rn. 102 ff.; Schmidt-Rogge, § 143 Rn. 84; Uhlenbruck-Hirte, § 143 Rn. 53 f.

5.2 Herausgabepflicht im Falle des § 143 Abs. 2 Satz 2

 

Rn 100

War der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung im Hinblick auf die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Vermögensverschiebung bösgläubig, kommt ihm die Privilegierung nach § 143 Abs. 2 Satz 1 nicht zugute. Er haftet dann ebenso wie der Empfänger einer entgeltlichen Leistung (§ 143 Abs. 2 Satz 2). Bösgläubig ist der Anfechtungsgegner bei positiver Kenntnis oder wenn er "nach den Umständen wissen muss", dass die unentgeltliche Leistung die Gläubiger benachteiligt. Bezugspunkte der Bösgläubigkeit sind dabei sowohl die Unentgeltlichkeit der Leistung als auch die gläubigerbenachteiligende Wirkung.[314]

 

Rn 101

Wann allerdings die Schwelle zur fahrlässigen Unkenntnis überschritten ist, ist fraglich.[315] Die KO privilegierte in § 37 Abs. 2 seinerzeit den "gutgläubigen Empfänger". Angelehnt an die Definition in § 932 Abs. 2 BGB schadete der damaligen h. L. zufolge nur die grob fahrlässige Unkenntnis.[316] Die Rechtsprechung ließ hingegen bereits jede Art von Fahrlässigkeit genügen.[317] Die Neuformulierung in § 143 Abs. 2 Satz 2 spricht nun von "wissen müssen". Das legt im Hinblick auf die wortgleiche Formulierung in § 122 Abs. 2 BGB nahe, dass nunmehr auch die einfache Fahrlässigkeit i. S. v. § 276 Abs. 2 BGB ausreicht.[318] Hiergegen wird eingewandt, dass es sich bei der Formulierung um ein Redaktionsversehen handele;[319] denn aus den Gesetzesmaterialien[320]  – so diese Ansicht – folge nicht, dass die Wortwahl auf einer bewussten gesetzgeberischen Entscheidung beruhe. Vielmehr ging der Gesetzgeber in den Materialien (auch weiterhin) von dem Erfordernis der groben Fahrlässigkeit aus.[321] Für diese letztgenannte Ansicht sprechen auch systematische Erwägungen. § 143 Abs. 2 Satz 2 will – unter bestimmten Voraussetzungen – einen Gleichklang mit § 143 Abs. 1 herstellen. Die...

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