Rn 68
Die Maßstäbe für unternehmerische Entscheidungen des Verwalters sind grundsätzlich die Gleichen wie für den Schuldner und seine Organe. Ganz generell hat der Verwalter die "Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmanns" (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 117 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG) einzuhalten. Die detaillierten Anforderungen lassen sich im Übrigen nur im Kontext mit dem jeweils zu führenden Geschäft konkretisieren. Ganz allgemein ist aber zu berücksichtigen, dass unternehmerische Entscheidungen zwangsläufig ein hohes Maß an Risiko in sich bergen – bei der Führung der Geschäfte muss daher ein nicht zu enger Ermessens- und Handlungsspielraum bestehen, der keiner Zweckmäßigkeitsprüfung durch die Gesellschaft und die Gerichte unterliegt (business judgement rule).
Rn 69
§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG umschreibt dabei beispielhaft, unter welchen (kumulativen) Voraussetzungen wirtschaftliches Risiko bei der Führung der Geschäfte erlaubt sein soll:
1. |
Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung, |
2. |
keine Beeinflussung durch Sonderinteressen oder sachfremde Einflüsse, |
3. |
Entscheidung auf angemessener Tatsachenbasis, |
4. |
Entscheidung unter Abwägung aller maßgeblichen Umstände zum Wohle der Gesellschaft, und |
5. |
guter Glaube im Hinblick auf die Angemessenheit und Zweckdienlichkeit der Entscheidung. |
Gute und verantwortungsvolle Geschäftsführung eines Unternehmens wird letztlich nicht nur durch gesetzliche Regelungen bestimmt, sondern auch von sonstigen, darauf bezogenen Werten und Grundsätzen (Corporate Governance); die Quellen sind dabei höchst vielfältig.
Rn 70
Zu berücksichtigen ist zum anderen, dass der Verwalter ein ihm in der Regel unbekanntes Unternehmen sofort fortführen muss. Das führt dazu, dass unternehmerische Pflichten zu modifizieren sind. Insbesondere ist dem Verwalter – u.U. modifiziert bei einer ggf. vorausgegangenen vorläufigen Verwaltung – ein hinreichender Zeitraum für die umfassende Information über den wirtschaftlichen Stand und die Perspektiven des Unternehmens einzuräumen. Außerdem ist der Verwalter weitergehend als der eigentliche Unternehmer auf Auskunft und Mitwirkung Dritter (insbesondere des Schuldners) angewiesen, denen er in gewisser Weise vertrauen muss. Insbesondere hierbei ist die nur eingeschränkte Haftung des Verwalters für das Fehlverhalten Dritter nach § 60 Abs. 2 zu beachten.
Rn 71
Bei der Fortführung eines Unternehmens hat der Verwalter letztlich nicht nur unternehmerische Interessen (sowie Interessen von Arbeitnehmern, des Fiskus usw.), sondern vor allem auch die Interessen der Gläubigergesamtheit – jedwede Unternehmensfortführung im Insolvenzverfahren steht unter dem primären Ziel der Haftungsverwirklichung – zu beachten; diese und das Insolvenzgericht können partiell Einfluss auf die Verwaltung nehmen (§§ 58, 69, § 85 Abs. 2, § 100 Abs. 1 usw.) Das muss bei der Eigenhaftung des Verwalters Berücksichtigung finden. § 60 Abs. 1 Satz 2 stellt daher auch bei der Unternehmensfortführung und einer Haftung für unternehmerische Fehlentscheidungen primär auf die "Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters" ab, wobei diese eben nur zu einem Teil durch die "Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmanns" bestimmt wird.
Rn 72
Dass rein unternehmerische Entscheidungen und insolvenzrechtlich modifizierte unternehmerische Entscheidungen nicht identisch sind, führt außerdem dazu, dass Klauseln von Haftpflichtversicherungen, die an sich eine Einstandspflicht der Versicherung für Folgen unternehmerischer Fehlentscheidungen ausschließen, zugunsten des Insolvenzverwalters eng ausgelegt werden müssen. Bei einer Unternehmensfortführung ist dem Verwalter aber unabhängig davon stets zu einer (zusätzlichen) Versicherung zu raten, die spezifische Schäden aus Betriebsfortführungen abdeckt; derartige Versicherungen werden am Markt allgemein angeboten.