Rn 72
Problematisch ist die Rechtswegzuständigkeit, wenn von der Insolvenzverschleppung Arbeitnehmer betroffen sind. Die h. M. vertritt die Ansicht, dass die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte eröffnet ist, und zwar unabhängig davon, ob Neugläubiger- oder Altgläubigerschäden geltend gemacht werden. Begründet wird dies damit, dass § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG analog anzuwenden ist, wenn ein von einer juristischen Person angestellter Arbeitnehmer deren Organ aus unerlaubter Handlung in Anspruch nimmt. Für einen solchen Fall soll die als Organ der juristischen Person handelnde natürliche Person dem Arbeitgeber gleichstehen. Dies ist abzulehnen, da der Haftungsanspruch völlig unabhängig von der Arbeitnehmerstellung ist und dadurch die Liquidation des Gesamtgläubigerschadens erheblich erschwert wird. Schließlich stellt sich die Frage, wie mit der Rechtswegzuständigkeit zu verfahren ist, wenn der Anspruch sich gegen Gesellschafter oder ein Aufsichtsratsmitglied (bei führungsloser Gesellschaft) oder aber gegen einen "faktischen" Geschäftsleiter i. e. S. (Rn. 14) richtet, da beide nicht "Organ" des Arbeitgebers sind.
Rn 73
Die sachliche Zuständigkeit für eine Klage wegen Insolvenzverschleppung richtet sich nach §§ 23, 71 GVG. Örtlich zuständig sind – neben den Gerichten am allgemeinen Gerichtsstand des Leitungsorgans (§§ 12, 13 ZPO) – die Gerichte am besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO). Maßgebend sind danach – grundsätzlich – der Erfolgs- oder der Handlungsort. Der hiervon zu unterscheidende Schadensort ist nur dann relevant, wenn die unerlaubte Handlung ohne den Schaden nicht vollendet wäre. Hierauf ist aber nicht abzustellen; denn bei der Insolvenzverschleppung handelt es sich um ein reines Begehungs- bzw. Unterlassungsdelikt, zu dessen Tatbestandsverwirklichung – anders als etwa bei § 826 BGB – die Schädigung eines Gläubigers nicht gehört. Der Erfolgsort ist der Ort, an dem die Rechtsgutverletzung eingetreten ist. Dies ist der Sitz der Gesellschaft als Schuldnerin der Forderung. Handlungsort ist der Ort, an dem die Pflichtverletzung begangen worden ist. Letzteres ist ebenfalls der Sitz der Gesellschaft.
Rn 73a
In euro-internationalen Fällen ist in Bezug auf die internationale Zuständigkeit zu differenzieren. Macht ein Neugläubiger einen Insolvenzverschleppungsschaden geltend oder klagt ein Altgläubiger seinen Quotenschaden außerhalb des Insolvenzverfahrens (bei Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse) ein, richtet sich die internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO bzw. nach dem LugÜ. Maßgebend ist insoweit Art. 5 Nr. 3 EuGVVO a. F. / LugÜ bzw. Art. 7 Nr. 3 EuGVVO n. F. Soweit der Insolvenzverwalter den Gläubigergesamtschaden (§ 92) geltend macht, richtet sich die internationale Zuständigkeit dieses insolvenzrechtlichen Annexverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO.
Rn 74
Der Gläubiger bzw. der Insolvenzverwalter haben die anspruchsbegründenden Voraussetzungen darzulegen und zu beweisen. Das gilt auch hinsichtlich des Vorliegens von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zum maßgebenden Zeitpunkt. Für das Vorliegen der Überschuldung bedarf es grds. der Aufstellung einer Überschuldungsbilanz (siehe oben Rn. 53a). Wird diese vorgelegt, ist es im Rahmen der sekundären Beweislast am Schuldner vorzutragen, in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige für eine Überschuldungsbilanz erhebliche Werte vorhanden sind oder dass eine positive Fortführungsprognose (§ 19 Rn. 13 ff.) vorliegt. An dem Nachweis der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung zum maßgebenden Zeitpunkt scheitert vielfach die Geltendmachung des Neugläubigerschadens durch den Gläubiger, da er nur unter großen Schwierigkeiten an die hierfür erforderlichen Informationen herankommen wird. Der Insolvenzverwalter / Gläubiger hat auch die Pflichtverletzung darzulegen und notfalls zu beweisen. Steht ein (objektiver) Pflichtverstoß fest, wird analog § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG das Verschulden vermutet. Eine Entlastung ist nur möglich, wenn die Insolvenz für das einzelne Leitungsorgan trotz vorhandener Organisations- und Informationsstrukturen (vgl. oben Rn. 24) nicht erkennbar war. Insoweit kommt es darauf an, ob und welche Krisenwarnsignale vorlagen (z. B. negatives Jahresergebnis, Geschäftsrückgang), aus denen auf den Eintritt der Krise hätte geschlossen werden können. Die Höhe des Schadens hat der Insolvenzverwalter / Gläubiger darzulegen und zu beweisen. Dies stellt insbesondere den Altgläubiger im Fall masseloser Verfahren vor schier unüberwindbare Schwierigkeiten, mit der Folge, dass die Insolvenzverschleppungshaftung insoweit zu einer "juristischen Spielerei" ohne praktische Relevanz verkommt. Darzulegen und zu beweisen hat der Gläubiger auch, ob er Neu- oder Altgläubiger ist und dass die Pflichtverletzung für den Schaden kausal war. Insbesondere im Fall des Neugläubigerschadens kann dies den Gläubiger vor Schwierigkeiten stellen, wenn das Leitungsorgan mit Blick...