Rn 78a
Ob Berater (z. B. Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer) im Falle der Insolvenzverschleppung haften, hängt grundsätzlich von dem mit der schuldnerischen Gesellschaft vereinbarten Mandat ab. Hier sind grds. drei verschiedene Fallkonstellationen (spezifisches Mandat, allgemeines Mandat, Überschreiten eines allgemeinen Mandats) zu unterscheiden:
Rn 78b
Verpflichtet sich der Berater zur Prüfung der Insolvenzreife des schuldnerischen Unternehmens, so handelt es sich hierbei i. d. R. um einen Werkvertrag (§ 631 BGB). Im Falle einer schuldhaften Pflichtverletzung im Rahmen dieses Mandats haftet der Berater gegenüber der Gesellschaft. U. U. muss der Berater aber auch Dritten gegenüber für eine schuldhafte Pflichtverletzung einstehen, wenn diese in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen sind. Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter werden allgemein bei Verträgen angenommen, mit denen der Auftraggeber von einer Person, die über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügt (z. B. öffentlich bestellter Sachverständiger, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater), ein Gutachten oder eine gutachtliche Äußerung bestellt, um davon gegenüber einem Dritten Gebrauch zu machen. Das Bestehen und die Reichweite eines etwaigen Drittschutzes sind durch Auslegung des jeweiligen Mandatsvertrags zu ermitteln. Grds. kann nicht angenommen werden, dass der Berater bereit ist, den Schutzbereich des Vertrages auf eine unbekannte Vielzahl von Gläubigern, Gesellschaftern oder Anteilserwerbern auszudehnen. Anders liegt es indessen, wenn die Vertragsteile übereinstimmend davon ausgehen, dass die Prüfung der Insolvenzreife auch im Interesse eines bestimmten Dritten durchgeführt werden und das Ergebnis diesem Dritten als Entscheidungsgrundlage dienen soll. Jedenfalls in solchen Fällen liegt in der Übernahme des Auftrags die schlüssige Erklärung des Beraters, auch im Interesse des Dritten gewissenhaft und unparteiisch prüfen zu wollen. Wenn also von der Prüfung der Insolvenzreife abhängt, ob das Leitungsorgan zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet ist, dann dient das gegenüber der Gesellschaft eingegangene Mandat auch dem Schutz des Leitungsorgans (u. U. auch des AR-Mitglieds), mit der Folge, dass dieses einen eigenen Schadensersatzanspruch (etwa bei Inanspruchnahme wegen Insolvenzverschleppung) gegen den Berater geltend machen kann. Der Umfang des Ersatzanspruchs richtet sich nach der Differenzhypothese (§§ 249 ff. BGB). Das Leitungsorgan muss sich jedoch – abgesehen von einem eigenen Verschulden – grundsätzlich auch ein Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB) des unmittelbaren Vertragspartners zurechnen lassen.
Rn 78c
Fraglich ist, ob ein Steuerberater im Rahmen eines allgemeinen steuerrechtlichen Mandats verpflichtet ist, die Gesellschaft (und damit auch das Leitungsorgan) auf eine evtl. Insolvenzreife der Gesellschaft hinzuweisen. Dies hat der BGH abgelehnt. Welche Aufgaben der Steuerberater zu erfüllen hat, richtet sich nach Inhalt und Umfang des erteilten Mandats. Der Steuerberater ist verpflichtet, sich mit den steuerrechtlichen Punkten zu befassen, die zur pflichtgemäßen Erledigung des ihm erteilten Auftrags zu beachten sind. Nur in den hierdurch gezogenen Grenzen des Dauermandats hat er den Auftraggeber auch ungefragt über die bei der Bearbeitung auftauchenden steuerrechtlichen Fragen zu belehren. Folglich ist es nicht Aufgabe des mit der allgemeine steuerlichen Beratung der GmbH beauftragten Beraters, die Gesellschaft bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz darauf hinzuweisen, dass es die Pflicht des Geschäftsführers ist, eine Überprüfung vorzunehmen oder in Auftrag zu geben, ob Insolvenzreife eingetreten ist und gegebenenfalls gem. § 15a Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt werden muss. Eine solche Hinweispflicht ergibt sich auch nicht aus einer vertraglichen Nebenpflicht, den Mandaten vor Schaden zu bewahren.
Rn 78d
Geht der Berater allerdings über das ihm erteilte allgemeine (steuerrechtliche) Mandat hinaus und macht er Aussagen auch zum (Nicht-)Vorliegen der Insolvenzreife der Gesellschaft, dann handelt es sich aufgrund der wirtschaftlichen und rechtlichen Bedeutung der Angelegenheit hierbei nicht um eine bloße Gefälligkeit, sondern um eine zusätzliche Prüfung, auf deren Richtigkeit die Gesellschaft (und das in den Schutzbereich des Vertrages einbezogene Leitungsorgan) vertrauen darf. Sieht sich der (steuerliche) Berater zu einer über das allgemeine steuerrechtliche Mandat hinausgehenden Aussage zur Insolvenzreife der Gesellschaft außer Stande (fehlende Sachkunde oder komplexe Tatsachengrundlage), muss er den Mandanten darauf hinweisen und diesen darauf verweisen, einem geeigneten Dritten einen Prüfauftrag zu erteilen.