Rn 90
Die einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung auf Antrag des Schuldners nach § 30a ZVG kommt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter (vgl. § 80 InsO) nicht (mehr) in Betracht. Der Schuldner ist nicht einmal mehr Beteiligter i.S. von § 9 ZVG (oben Rn. 6).
Rn 91
Ob der Schuldner Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO beantragen kann, wenn der Insolvenzverwalter keine einstweilige Einstellung nach § 30d ZVG beantragt, ist streitig. Der Streit ist indes durch die Einfügung des § 85a ZVG entschärft worden. Eine Verschleuderung unbeweglicher Vermögensgegenstände des Schuldners wird nämlich hiernach insoweit verhütet, als der Zuschlag zu versagen ist, wenn das abgegebene Meistgebot einschließlich des Kapitalwertes der nach den Versteigerungsbedingungen bestehenbleibenden Rechte die Hälfte des Grundstückswertes nicht erreicht.
Rn 92
Richtigerweise führt der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens auf den Verwalter nach § 80 Abs. 1 InsO nicht zum Verlust der Befugnis des Schuldners, Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO zu beantragen. Denn es handelt sich bei § 765a ZPO um eine Sondervorschrift zur Vermeidung von Missbräuchen und dieser Schutz bleibt dem Schuldner auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhalten. Anderenfalls wäre der Schuldner selbst unter den von § 765a ZPO vorausgesetzten Umständen, dass nämlich die Vollstreckungsmaßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist, zur Duldung der Maßnahme gezwungen und auf die Liquidation des Schadens gegenüber dem Insolvenzverwalter (vgl. § 60 InsO) beschränkt. Nicht übersehen werden darf, dass es sich bei § 765a ZPO um eine vollstreckungsrechtliche Ausprägung des Grundsatzes unzulässiger Rechtsausübung handelt, die in der Zwangsvollstreckung die Möglichkeit, Grundrechte im Wege der Abwägung in die Entscheidung über Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzubeziehen, bietet. Insofern erscheint es in den von § 765a ZPO vorausgesetzten krassen Missbrauchsfällen als unverhältnisgemäß, ohne materielle Prüfung bereits die Antragsbefugnis des Schuldners zu verneinen, mag die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter Verweis auf dessen Ziel, die Gläubiger durch die Verwertung des Vermögens gemeinsam zu befriedigen, auch grundsätzlich geeignet sein, Einschränkung der aus dem Eigentum des Schuldners folgende Rechte nach Art. 14 Abs. 1 GG zu rechtfertigen. Dabei wird das Vollstreckungsinteresse der Gläubiger (Art. 14 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG) nicht unverhältnismäßig zurückgedrängt, weil es im Rahmen der Prüfung der Begründetheit des Vollstreckungsschutzantrags des Schuldners hinreichend Berücksichtigung finden kann. Der Eingriff in die Befugnisse des Insolvenzverwalters, der selbst keinen Vollstreckungsschutz nach § 30d ZVG beantragt, wird ebenfalls nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt.
Rn 93
Der BGH gewährt dem Schuldner Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO jedenfalls für den Fall, dass der Schuldner den Vollstreckungsschutzantrag auf eine Gefahr für Leben und körperliche Unversehrtheit stützt (z.B. Suizidgefahr für sich oder einen nahen Angehörigen). Denn in dieser Konstellation greift die Rechtfertigung der mit der Verfahrenseröffnung verbundenen Einschränkungen nach § 80 Abs. 1 InsO, welche die aus dem Eigentum des Schuldners folgenden Rechte nach Art. 14 Abs. 1 GG im Blick hat, nicht. Verfassungsrechtlich betroffenes Schutzgut ist in diesen Fällen freilich nicht das Eigentum des Schuldners (Art. 14 Abs. 1 GG, sondern das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).