Rn 29
Über das Verfahren, auf welche Weise konkret der Tatbestand der insolvenzrechtlichen Zahlungsunfähigkeit zu ermitteln ist, äußert sich der Gesetzestext nicht.
Rn 30
Im Hinblick auf die Abgrenzung der insolvenzrechtlichen Zahlungsunfähigkeit von einer bloßen Zahlungsstockung einerseits und einer nur geringfügigen Liquiditätslücke andererseits ist eine mehrstufige Überprüfung vorzunehmen.
Rn 31
Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) erfolgt entweder durch die betriebswirtschaftliche Methode oder durch sogenannte wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen. Der BGH führt insoweit aus, dass die betriebswirtschaftliche Methode eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden Mittel andererseits voraussetzt.
Zur Abgrenzung von der bloßen Zahlungsstockung ist diese Methode um eine Prognose darüber zu ergänzen, ob innerhalb von drei Wochen mit der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit hinreichend sicher zu rechnen ist, etwa durch Kredite, Zuführung von Eigenkapital, Einnahmen aus dem normalen Geschäftsbetrieb oder der Veräußerung von Vermögensgegenständen; das geschieht durch eine Finanzplanrechnung, aus der sich die hinreichend konkret zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben der nächsten 21 Tage ergeben.
Wird die betriebswirtschaftliche Methode gewählt, muss, so der BGH in Strafsachen, die Darstellung der Liquiditätslage zu ausgewählten Stichtagen so aussagekräftig sein, dass dem Revisionsgericht die Kontrolle möglich ist, ob das Landgericht von zutreffenden Voraussetzungen ausgegangen und einen nachvollziehbaren Rechenweg gewählt hat.
Rn 32
Bis dato war ein Finanzstatus zu erstellen, und ein darauf aufbauender Finanzplan. Der BGH sprach insoweit von der zu erstellenden "Liquiditätsbilanz".
Rn 33
Mit Urteil vom 28.06.2022 hat der BGH nunmehr klargestellt, dass die Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht durch Aufstellung einer Liquiditätsbilanz dargetan werden kann, sondern auch mit anderen Mitteln dargelegt werden kann. Es ist unerheblich, so der BGH weiter, dass sich der Kläger im konkreten Verfahren zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit nicht auf eine Liquiditätsbilanz bezieht und deshalb Liquiditätslücke und Liquiditätsdeckungsgrad nicht unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Summe von Aktiva I und Aktiva II zur Summe von Passiva I und Passiva II errechnet. In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass die Zahlungsunfähigkeit auch auf andere Weise dargelegt werden kann als durch eine solche Zeitraumbetrachtung. So wird es für zulässig erachtet, die Zahlungsunfähigkeit durch einen Liquiditätsstatus auf den Stichtag in Verbindung mit einem Finanzplan für die auf den Stichtag folgenden drei Wochen, in dem tagesgenau Einzahlungen und Auszahlungen gegenübergestellt werden, darzutun.
Es spricht auch nichts dagegen, so der BGH, zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit mehrere tagesgenaue Liquiditätsstatus in aussagekräftiger Anzahl aufzustellen, in denen ausgehend von dem am Stichtag eine erhebliche Unterdeckung ausweisenden Status an keinem der im Prognosezeitraum liegenden bilanzierten Tag die Liquiditätslücke in relevanter Weise geschlossen werden kann.
Diese neuere Rechtsprechung bestätigt die Möglichkeit auch mit anderen Mitteln den Status einer Zahlungsunfähigkeit festzustellen. Diese sich ergebende Option findet Einzug in die obergerichtliche Rechtsprechung.
Dieses Urteil führt dazu, dass das bisherige Prognoseelement entfällt. Es kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten innerhalb des Dreiwochenzeitraums eine tagesweise Betrachtung angestellt werden.