Rn 32
Aus der Fortführungspflicht ergeben sich beträchtliche Haftungsrisiken, da über die Verweisung in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 insbesondere die Haftungsvorschrift des § 61 für die spätere Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten zur Anwendung kommt. Der vorläufige Verwalter kann sich jedoch gerade wegen des rigiden gesetzgeberischen Fortführungspostulats nach der Vorschrift des § 61 Satz 2 exkulpieren. So soll bei Dauerschuldverhältnissen eine Haftung nur eintreten, wenn sich der vorläufige Insolvenzverwalter zu dem Vertragsverhältnis bekennt, indem er es nach Eintritt der Masseunzulänglichkeit nicht kündigt oder die Gegenleistung in Anspruch nimmt. Darüber hinaus wird dem vorläufigen Insolvenzverwalter allgemein gerade im Anfangsstadium eine angemessene Einarbeitungszeit zugebilligt, in der er sich unverzüglich und mit der gebotenen Sorgfalt in die zur Beurteilung der Fortführungschancen entscheidenden betrieblichen Verhältnisse einarbeiten kann. Dafür werden sich keine festen Zeitgrenzen aufstellen lassen, da es in einem kleinen Unternehmen sicherlich innerhalb von drei bis vier Tagen möglich sein wird, die erforderlichen Entscheidungsgrundlagen zu erarbeiten. Dagegen kann es in einem Großunternehmen auch unter Hinzuziehung der dort verfügbaren Fachkräfte angesichts des zu bewältigenden Volumens durchaus mehrere Wochen dauern, bis ein einigermaßen gesicherter Überblick als Entscheidungsvoraussetzung geschaffen wurde. Angesichts der gesetzlichen Beweislastumkehr in § 61 Satz 2 muss der vorläufige Verwalter im Zweifelsfall darlegen, welche Anstrengungen er unmittelbar nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung unternommen hat, um sich zeitnah den erforderlichen Überblick zu verschaffen. Weiterhin muss er für einzelne Verbindlichkeiten darlegen, weshalb er zum Zeitpunkt ihrer Eingehung noch nicht erkennen konnte, dass die spätere Masse zu deren Erfüllung nicht ausreichen werde. Der Verwalter kann diesen Beweis im Allgemeinen nur führen, wenn er eine plausible Liquiditätsrechnung erstellt und diese bis zum Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit ständig überprüft und aktualisiert. Dabei ist für die Begründung der Verbindlichkeit grundsätzlich der Zeitpunkt zu dem der Rechtsgrund gelegt wird maßgeblich, bei bereits begründeten Dauerschuldverhältnissen muss hingegen auf den Zeitpunkt ihrer frühestmöglichen Kündigung abgestellt werden.
Rn 33
In der Literatur werden Haftungserleichterungen für den vorläufigen Verwalter, insbesondere eine Einschränkung der Verweisung auf § 61, diskutiert, um einen Ausgleich zu der uneingeschränkten Fortführungspflicht zu schaffen. Dies lässt sich aber weder mit dem eindeutigen Gesetzeswortlaut vereinbaren, noch ist insoweit eine Gesetzesänderung erforderlich. Von dem fortführenden vorläufigen Insolvenzverwalter wird nichts Unmögliches verlangt. Denn im Rahmen der Haftung nach § 61 ist die konkrete Situation, in welcher sich der vorläufige Verwalter befindet, besonders zu berücksichtigen. Diese Lage des Verwalters ist durch erheblichen Zeitdruck und gerade bei Beginn des Amtes meist unübersichtliche Verhältnisse beim Gemeinschuldner gekennzeichnet. Eine zuverlässige Liquiditätsplanung wird vor diesem Hintergrund möglicherweise noch nicht vorliegen. Demzufolge wird der Verwalter in der Anfangsphase der Betriebsfortführung nicht immer in der Lage sein, mit Verlass die Erfüllbarkeit von Masseverbindlichkeiten zu beurteilen. Dies ist im Rahmen des § 61 Satz 2 zu berücksichtigen.