Rn 81
An dieser Stelle sollen nur die wesentlichen steuerrechtlichen Aspekte der vorläufigen Insolvenzverwaltung im Überblick dargestellt werden. Eine ausführliche Darstellung der steuerrechtlichen Implikationen findet sich in Gruppe 7.
Die steuerlichen Pflichten müssen grundsätzlich der Schuldner bzw. sein gesetzlicher Vertreter erfüllen (§ 34 Abs. 1 AO). Dazu gehört zuvörderst, dass die Steuern entrichtet werden müssen. Obliegt die Verwaltung des schuldnerischen Vermögens einer anderen Person, so muss diese als Vermögensverwalter insoweit die steuerlichen Pflichten erfüllen (§ 34 Abs. 3 AO). Dies gilt gemäß § 35 AO auch für den Verfügungsberechtigten.
4.3.1 "Starke" vorläufige Insolvenzverwaltung
Rn 82
Auch wenn § 155 Abs. 1 Satz 2 den Übergang der steuerlichen Pflichten des Schuldners erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter anordnet, tritt bereits der verwaltungs- und verfügungsberechtigte, starke vorläufige Insolvenzverwalter in diese Verpflichtungen ein, allerdings gemäß § 34 Abs. 3 AO lediglich "soweit seine Verwaltung reicht". Dies bedeutet, dass auf ihn nur Pflichten übergehen, die sich auf den Zeitraum seiner vorläufigen Verwaltung beziehen, beispielsweise also eine Jahressteuererklärung nur abzugeben ist, wenn er während des gesamten Jahres bereits vorläufiger Verwalter war. Im Wesentlichen muss der Verwalter daher folgende Pflichten erfüllen:
- Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten nach §§ 140 AO, 238 HGB
- Steuererklärungspflicht nach § 149 AO soweit diese einen Zeitraum seiner Verwaltung betreffen (bspw. Umsatzsteuervoranmeldungen)
- Berichtigungspflicht gem. § 153 AO
- Mitwirkungspflichten gem. §§ 90 ff. AO
- Anzeigepflichten nach §§ 137 ff. AO
- Arbeitgeberpflichten aus dem EStG (Einbehalt von Lohnsteuer, Führung eines Lohnkontos, etc.)
Demgegenüber trifft den vorläufigen Verwalter aber keine Steuerzahlungspflicht gemäß § 34 Abs. 3, Abs. 1 Satz 2 AO, denn die im Eröffnungsverfahren begründeten Steuerforderungen sind als Masseforderungen gemäß § 53 erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der Insolvenzmasse zu berichtigen. Verwertet der starke vorläufige Verwalter Sicherungsgut mit Zustimmung des Sicherungsnehmers, gilt die Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 2), denn § 171 Abs. 2 Satz 3 findet im Eröffnungsverfahren noch keine Anwendung.
Eine Haftung des starken vorläufigen Verwalters kommt in Betracht, wenn er seine steuerrechtlichen Pflichten verletzt. Dabei verdrängt § 69 AO als Spezialregelung die Haftungsnormen der InsO.
4.3.2 "Schwache" vorläufige Insolvenzverwaltung
Rn 83
Im Gegensatz zum starken vorläufigen Insolvenzverwalter tritt der schwache nicht in die steuerlichen Pflichten des Schuldners ein, selbst wenn er die ihm eingeräumten Verwaltungsbefugnisse überschreitet. Auch die Erteilung von Einzelermächtigungen (s. o. Rdn. 54 ff.) ändert daran nichts. Ordnet das Gericht jedoch ein besonderes Verfügungsverbot an (siehe hierzu die Kommentierung bei § 21 Rdn. 16), treffen den vorläufigen Verwalter insoweit die steuerrechtlichen Pflichten.
Über § 55 Abs. 4 werden die im Eröffnungsverfahren begründeten Steuerverbindlichkeiten auch beim schwachen Insolvenzverwalter zu Masseverbindlichkeiten qualifiziert, wenn sie mit dessen Zustimmung begründet worden sind. Im Übrigen bleiben Forderungen aus der Zeit vor der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters Insolvenzforderungen. Dies gilt auch für die Verwertung von Sicherungsgut mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Verwalters, da § 55 Abs. 4 insoweit keine Anwendung findet. Im Übrigen kann auf die Kommentierung bei § 55 verwiesen werden.
Rn 84
Eine Haftung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters gemäß 69 AO kommt nicht in Betracht. Er haftet nur für die Erfüllung insolvenzspezifischer Pflichten nach §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 60. Kann der Schuldner seiner Pflicht zur Steuerzahlung nicht nachkommen, weil der schwache vorläufige Verwalter keine Zustimmung zur Steuerzahlung erteilt, entfällt die Haftung des Schuldners. Auch eine Haftung des vorläufigen Verwalters kommt in einem solchen Fall nicht in Betracht, denn er ist nicht verpflichtet einer Erfüllung von Insolvenzforderungen zuzustimmen. Im Übrigen wäre eine solche Zahlung ohnehin regelmäßig im Eröffnungsverfahren anfechtbar.
Nur der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den starken vorläufigen Insolvenzverwalter führt zu einer Unterbrechung anhängiger Steuerfestsetzungs- und Rechtsbehelfsverfahren (§ 155 FGO i. V. m. § 240 Satz 2 ...