Rn 65
Die Gerichte sehen sich mitunter einem gewissen Druck ausgesetzt, den vorläufigen Gläubigerausschuss schnell einzusetzen. Häufig geht es den Beteiligten dabei aber wohl weniger um eine frühzeitige Gläubigerbeteiligung an der Sanierung des Unternehmens, sondern eher um die Möglichkeit über § 56 a Einfluss auf die Verwalterauswahlentscheidung zu nehmen. Das Ziel ist per se nicht zu beanstanden, allerdings wird in der Praxis nur selten ein Insolvenzantrag so rechtzeitig gestellt, dass das Gericht bei einem laufenden Geschäftsbetrieb zunächst die Voraussetzungen der Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses schaffen kann, ohne dass in der Zwischenzeit zur Sicherung des Schuldnervermögens ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt werden muss. Dies widerspricht auch nicht der Intention des Gesetzgebers, denn dieser hat selbst in § 22 a Abs. 2 den vorläufigen Insolvenzverwalter als Antragsteller für die Einsetzung eines Antragsausschusses vorgesehen, was denklogisch voraussetzt, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter bereits bestellt worden ist, bevor sich der Ausschuss konstituiert.
8.1 Allgemeines
Rn 66
Das Gericht kann den Gläubigerausschuss in seiner Zusammensetzung nachträglich noch verändern. Dabei ist zwar eine sukzessive Besetzung eines Rumpfausschusses je nach gerichtlicher Erkenntnislage unzulässig (s. o. Rdn. 57), nicht aber eine Nachbestellung. Stellt sich nachträglich heraus, dass der Ausschuss nicht hinreichend repräsentativ besetzt ist, oder ein ausgeschiedenes Mitglied ersetzt werden muss, ist dem Gericht eine Neubesetzung unbenommen. In jedem Fall wird das Gericht bei der Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses vor einer Veränderung der Besetzung zunächst anhören müssen.
Rn 67
Der vorläufige Gläubigerausschuss unterliegt keiner gerichtlichen Aufsicht und Weisung. Nichtsdestotrotz darf das Gericht an Ausschusssitzungen als Zuhörer teilnehmen und die Protokolle der Ausschusssitzungen anfordern. Die Protokolle unterliegen nicht der Akteneinsicht in die Gerichtsakte und sollten daher in einem Sonderband abgelegt werden. Dies folgt bereits aus der Amtsermittlungsbefugnis des § 5. Auch kann nur so sichergestellt werden, dass das Gericht sein Ermessen in § 70 pflichtgemäß ausüben kann.
8.2 Amtsermittlung des Gerichts
Rn 68
Die Frage, ob das Gericht die Voraussetzungen seiner Einsetzungsentscheidung von Amts wegen zu ermitteln hat, ist eine zentrale Frage der praktischen Anwendung des § 22a. Vielfach wird insoweit vertreten, dass sich das Gericht auf eine Plausibilitätsprüfung zu beschränken habe und der Beibringungsgrundsatz gelte. Diese Auffassung mag zwar vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Ziele des ESUG zweckmäßig erscheinen, findet aber keine Grundlage in den gesetzlichen Regelungen. Sie verkennt, dass der Amtsermittlungsgrundsatz aus § 5 Abs. 1 aufgrund des Wortlauts der Norm und der systematischen Stellung in den allgemeinen Vorschriften in der gesamten InsO gilt, wenn nicht ausdrücklich eine Abweichung geregelt wird. So hat der Gesetzgeber beispielsweise für das Schutzschirmverfahren lediglich gefordert, dass die angestrebte Sanierung nicht "offensichtlich" aussichtslos ist (§ 270 b Abs. 1 Satz 1) und damit die Amtsermittlung in diesem Punkt suspendiert. Im Insolvenzplanverfahren hat der Rechtsausschuss des Bundestags in § 245 Abs. 1 Nr. 1 die Prognose des Gerichts im Hinblick auf eine Schlechterstellung durch Einfügen des Wortes "voraussichtlich" erleichtert und ausdrücklich in seiner Begründung ausgeführt, durch die Einfügung seien die Gerichte grundsätzlich nicht mehr gehalten, im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht einen Sachverständigen hinzuzuziehen. Eine vergleichbare einschränkende Regelung findet sich in § 22 a nicht. Die Pflicht zur Amtsermittlung gilt mithin uneingeschränkt. Das Gericht muss daher ermitteln, wenn der Verfahrensstand Anlass für Ermittlungen bietet. Eine Ermittlung "ins Blaue hinein" wird aber nicht gefordert, denn die Ermittlungsmaßnahmen stehen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.
Rn 69
Grundsätzlich wird das Gericht daher aufgrund der gesetzlich geforderten Versicherung von einer Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben im Gläubiger- und Forderungsverzeichnis ausgehen können, das wiederum die Basis der Prüfung der Repräsentativität der Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses ist. Es ist aber nicht gehindert durch geeignete Nachfragen beim Schuldner oder sonstigen Auskunfts...