Dr. Jürgen Spliedt, Dr. Alexander Fridgen
Rn 34
Da das Gericht im nicht offensichtlich aussichtslosen Eigenverwaltungsverfahren davon absehen soll, dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen oder einen Zustimmungsvorbehalt anzuordnen (§ 270a Abs. 1 Satz 1), um den Schuldner nicht aus der Leitungsfunktion zu verdrängen, sind neben der Bestellung des zur Beaufsichtigung verpflichteten vorläufigen Sachwalters weitere Maßnahmen möglich. Sie orientieren sich an den Maßnahmen, die im vorläufigen Insolvenzverfahren angeordnet werden können. Das Gericht kann vorläufige Maßnahmen nach § 21 Abs. 1 und 2 Nr. 1a, 3 bis 5 anordnen. Nach § 21 Abs. 1 hat (bei § 270b: kann) das Gericht alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Die zusätzliche Verweisung auf einzelne Maßnahmen aus § 21 Abs. 2 ist eher überflüssig, weil § 21 Abs. 2 ohnehin nur Regelbeispiele aufzählt. Die tiefere Bedeutung der Verweisung liegt in der Betrachtung der Vorschriften, auf die gerade nicht verwiesen wird, nämlich § 21 Abs. 2 Nr. 1 (vorläufiger Insolvenzverwalter) und Nr. 2 (Verfügungsbeschränkungen). Diese sollen im Schutzschirmverfahren also nicht angewendet werden.
Rn 35
Der Verweis auf § 21 verpflichtet das Gericht gemäß Abs. 3 Satz 3 2. HS bei einem Antrag des Schuldners dazu, nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner zu untersagen oder einzustellen. Diese Möglichkeit des Schuldners, sich dem unmittelbaren Vollstreckungszugriff seiner Gläubiger zu entziehen, hat dem Verfahren die Bezeichnung als Schutzschirmverfahren verliehen. Sie führt dazu dass der Schuldner nicht einmal die Zwangsvollstreckung solcher Forderungen fürchten muss, die er während des angeordneten Schutzschirmverfahrens begründet hat. Das Gericht hat kein Ermessen, diesen Antrag abzulehnen, weil das Ziel der Gesetzesnovelle, nämlich die erhöhte Planbarkeit des Verfahrens, durch Einräumung eines Ermessens konterkariert und die Anreize des Schuldners zur frühzeitigen Sanierung im Eigenverwaltungsverfahren geschwächt wären. Dem Schuldner und ggf. den aus- oder absonderungsberechtigten Gläubigern steht aber über die Verweisung nach § 21 Abs. 1 Satz 2 ein Beschwerderecht gegen vorläufige Maßnahmen des Gerichts zu.
Rn 36
Ordnet das Gericht eine vorläufige Postsperre gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 4 an, ist die Post dem vorläufigen Sachwalter zuzuleiten, der entsprechend §§ 99, 101 Abs. 1 Satz 1 die Sendungen öffnen darf. Dieser hat nach §§ 270a Abs. 1 Satz 2, 274 die aus der Postsperre gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen der Überwachung des Schuldners zu berücksichtigen.
Rn 37
Falls das Gericht nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 anordnet, dass Forderungen nicht durch den Sicherungsnehmer, sondern durch den Schuldner eingezogen werden dürfen, ist – wie stets – im Rahmen dieser Vorschrift zu berücksichtigen, dass ein Verbrauch der eingezogenen Forderung, i.e. der Einsatz für die Betriebsfortführung ohne besondere Vereinbarung mit dem Sicherungsnehmer nicht gestattet und der Erlös daher separat zu verwahren ist. Nachfolgend hat der Insolvenzverwalter den zur abgesonderten Befriedigung berechtigten Gläubiger gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 unverzüglich zu befriedigen. Das gilt wegen der auch im Rahmen der Eigenverwaltung anwendbaren Verweisung auf § 170 genauso für den Schuldner, zu dessen Gunsten die vorläufige Verwertungsbefugnis gerichtlich angeordnet wurde. Allerdings droht bei Einziehung der Forderungen durch den Schuldner die Vermischung der Geldbeträge mit den Mitteln der späteren, nicht absonderungsbefangenen, Insolvenzmasse. Auch im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung hat der Schuldner daher die nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 eingezogenen Forderungen auf ein separates Konto einzuziehen und die absonderungsberechtigten Gläubiger unverzüglich zu befriedigen.
Rn 38
Zwangsversteigerungen von Immobilien können nach § 30d ZVG vom Gericht auf Antrag des Schuldners einstweilen eingestellt werden. Im Fall von Zwangsverwaltungen sind Maßnahmen nach § 153b ZVG im Eröffnungsverfahren nicht vorgesehen.
Rn 39
Da Verfügungsbeschränkungen im Schutzschirmverfahren nicht vorgesehen sind und ein vorläufiger Insolvenzverwalter nicht bestellt wird, erfolgt grundsätzlich keine Veröffentlichung der Maßnahmen. Die Bestellung des vorläufigen Sachwalters als solche ist nicht zu veröffentlichen. Lediglich verfügungsbeschränkende Maßnahmen gemäß §§ 270 Abs. 1 Satz 2, 21 sind nach § 23 zu veröffentlichen.
Rn 40
Die Anfechtungsvorschriften bleiben während des gesamten Schutzschirmverfahrens – wie während eines vorläufigen Insolvenzverfahrens – uneingeschränkt bestehen. Wurden allerdings vor Verfahrenseröffnung Verbindlichkeiten befriedigt, die nach Eröffnung Masseverbindlichkeiten nach Abs. 3 gewesen wären, scheiden eine Gläubigerbenachteiligung und damit eine Insolvenzanfechtung aus. Bei der Befriedigung von Altverbindlichkeiten besteht nach der aktuell...