Dr. Jürgen Spliedt, Dr. Alexander Fridgen
Rn 41
Nicht nur der Schuldner muss Vertrauen in die Planbarkeit des Verfahrens haben, sondern für das Gelingen der Sanierung ist es unabdingbar, dass die Geschäftspartner des Schuldners darauf vertrauen können, dass sie die Verbindlichkeiten, die der Schuldner unter dem Schutzschirm begründet, vollständig befriedigt erhalten und nicht nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur zur Insolvenztabelle anmelden können. Anderenfalls werden sie Vorleistungen einstellen und Vorkasse verlangen, was dem Schuldner zusätzliche Liquiditätsschwierigkeiten bereitet.
Rn 42
Aus diesem Grund eröffnet Abs. 3 die Möglichkeit, dass das Gericht den Schuldner "quasi in die Rechtsstellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters" erhebt, so dass dieser die Befugnis erlangt, Masseverbindlichkeiten zu begründen (§ 55 Abs. 2), die nach Verfahrenseröffnung aus der vorhandenen Insolvenzmasse vor den Insolvenzgläubigern bedient werden müssen. Das Gericht ist verpflichtet, einem entsprechenden Antrag des Schuldners zu folgen.
Rn 43
Der gerichtliche Beschluss kann den Schuldner ganz allgemein berechtigen, durch "alle seine Rechtshandlungen" Masseverbindlichkeiten zu begründen. Alternativ kann der Schuldner aber auch Einzelermächtigungen bei Gericht zur Begründung von Masseverbindlichkeiten anregen. Diese äußerst flexible und weit reichende Einräumung der Verfügungsmacht auch über die spätere Insolvenzmasse erschien dem Gesetzgeber gerechtfertigt, um eine möglichst sinnvolle Sanierung optimal gestalten zu können. Bei der Einzelermächtigung an einen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ist umstritten, ob das Gericht die Prüfung und Kontrolle der Liquiditätsplanung vorzunehmen hat, ehe es Einzelermächtigungen aussprechen darf. Schon beim vorläufigen Insolvenzverwalter ist dem nicht zuzustimmen, weil die Einzelermächtigung ein Minus zum Verfügungsverbot ist und die Anordnung des Verfügungsverbotes eine vorhergehende Liquiditätskontrolle durch das Gericht nicht erfordert. Im Fall des Schutzschirmverfahrens ist außerdem das Gericht ohne weitere Voraussetzung verpflichtet, die Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten auszusprechen, so dass kein Raum für eine durch die Prüfung begründete abweichende Entscheidung wäre.
Denkbar ist aber, dass die Anordnung einer Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten Einfluss auf die Erfolgsaussichten der Sanierung hat, z.B. wenn entscheidende Gläubiger bereits endgültig ihre Mitwirkung versagt haben, falls eine entsprechende Anordnung ergeht. Begehrt der Schuldner die Ermächtigung zur Begründung von Masseschulden daher bereits mit seinem Antrag auf Anordnung des Schutzschirms, müsste sich aus der – ohnehin zu begründenden Bescheinigung – ergeben, dass dies als Umstand für die abgegebene Bestätigung berücksichtigt wurde. Anderenfalls ist die Bescheinigung unzureichend und muss ggf. nachgebessert werden.
Rn 44
Verlangt der Schuldner die Ermächtigung erst nachträglich und wird dadurch die Sanierung aussichtslos, hat das Gericht den Schutzschirm nach Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 aufzuheben. Damit aber würde die Beantragung der Ermächtigung durch den Schuldner zu einer offensichtlich ungewollten Folge für den Schuldner führen. Man wird daher in einem solchen Fall vom Gericht verlangen müssen, den Schuldner vor der – die Aufhebung des Schutzschirms begründenden – Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zu hören. In Betracht kommt aber auch, dass der Gläubigerausschuss oder – falls ein solcher nicht bestellt ist – ein einzelner Gläubiger die Ermächtigung des Schuldners zum Anlass nimmt, die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens nach Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 oder 3 zu beantragen, weil er z.B. eine Gefährdung der Sanierung oder eine Schlechterstellung bevorstehen sieht. Der vorläufige Gläubigerausschuss – sofern ein solcher nicht bestellt ist: die bekannten Gläubiger – ist vom vorläufigen Sachwalter über die Ermächtigung in Kenntnis zu setzen, wenn diese erwarten lässt, dass die Fortführung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird (§ 270a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 274 Abs. 3).
Rn 45
Zu beachten ist außerdem, dass Einzelermächtigungen aus Gründen der Rechtsklarheit und des gebotenen Schutzes des Vertragspartners nach Art und Umfang unmissverständlich erkennen lassen müssen, mit welchen Einzelbefugnissen der Schuldner ausgestattet ist. Insoweit sind die zu dem mit Zustimmungsvorbehalt ausgestatteten vorläufigen Insolvenzverwalter entwickelten Grundsätze übertragbar.
Rn 46
Der vorläufige Sachwalter bleibt trotz und gerade wegen der Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten in der Pflicht, seinen Überwachungs- und Beaufsichtigungsaufgaben gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. §§ 274, 275 nachzukommen und ggf. dem Gericht bzw. dem vorläufigen Gläubigerausschuss oder – sofern ein solcher nicht bestellt ist – den bekannten (auch absonderungsberechtigten) Insolvenzgläubigern Mitteilung üb...