Rn 63
Als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob ein Schuldner in den persönlichen Anwendungsbereich des § 304 fällt, also die Verbrauchereigenschaft besitzt, wurde nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung bereits auf die tatsächlichen Verhältnisse zur Zeit der Antragstellung abgestellt. Durch § 304 Abs. 2 hat diese herrschende Meinung für die Bestimmung der Anzahl der Gläubiger eine Klarstellung erfahren. Die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Antragstellung gilt darüber hinaus auch für die übrigen Abgrenzungskriterien.
2.3.1 Mehrere Anträge
Rn 64
Das Gesetz selbst nennt als maßgeblichen Zeitpunkt nur die Stellung des Eröffnungsantrags, ohne zwischen einem Gläubiger- oder Eigenantrag zu unterscheiden. Dies wirft Probleme auf, wenn sich der Schuldner nachträglich dem Fremdantrag eines Gläubigers gemäß § 306 Abs. 3 Satz 1 anschließt. Denkbar ist hier,
- dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Eröffnungsantragstellung durch den Gläubiger noch selbstständig wirtschaftlich tätig war, zum Zeitpunkt der Eigenantragstellung im Zuge der Entwicklungen seine Tätigkeit aber bereits vollständig aufgegeben hat (Fall 1).
- dass der nicht mehr selbstständig wirtschaftlich tätige Schuldner zum Zeitpunkt des Fremdantrages noch mehr als 20 Gläubiger hatte, die Zeit bis zur Eigenantragstellung – ggf. in anfechtbarer Weise – aber dazu genutzt hat, die Gläubigerzahl auf weniger als 20 zu reduzieren (Fall 2).
Rn 65
Bei mehreren Anträgen ist im Ergebnis nur der Zeitpunkt des Schuldnerantrags maßgeblich. Würde sich die Abgrenzung in den genannten Fällen allein nach dem zeitlich früheren Gläubigerantrag richten, würde die Durchführung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens in jedem Fall ausscheiden. Würde sie sich nach dem zeitlich späteren Eigenantrag des Schuldners richten, fände dieser Zugang zum Verbraucherinsolvenzverfahren, wenn er im ersten Fall weniger als 20 Gläubiger hat und seine Vermögensverhältnisse überschaubar sind und im zweitgenannten Fall schon dann, wenn seine Vermögensverhältnisse überschaubar sind.
Rn 66
Für ein Abstellen auf den Zeitpunkt des zeitlich ersten, zulässigen und begründeten Eröffnungsantrags lässt sich der Rechtsgedanke des § 139 Abs. 2 Satz 1 ins Feld führen. Wenn aber im Zeitpunkt der Eigenantragstellung die Voraussetzungen des § 304 in der Person des Schuldners erfüllt sind, und damit seine Vermögens- und Verschuldungsstruktur der eines Verbrauchers entspricht, ist kein Grund erkennbar, ihn anders zu behandeln als denjenigen, der unmittelbar – ggf. nach entsprechender Vorbereitung – einen Eigenantrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens gestellt hat. Der ehemals unternehmerisch tätige Schuldner entspricht dann gerade dem gesetzlich definierten Schuldner, auf den das Verbraucherinsolvenzverfahren zur Anwendung gebracht werden soll und für den eigentlich nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Vorteile der besonderen Verfahrensart genutzt werden können und sollen. Es ist insoweit der erkennbare Wille des Gesetzgebers zu berücksichtigen, zwar einerseits den Anwendungsbereich des Verbraucherinsolvenzverfahrens mit der Neufassung des § 304 einzuschränken, aber andererseits das Verfahren dann zur Anwendung zu bringen, wenn dessen Vorteile zum Tragen kommen können.
2.3.2 Veränderungen der Umstände
Rn 67
Bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag eintretende Veränderungen der Umstände werden grundsätzlich nicht berücksichtigt. Reduziert sich also nach Antragstellung die Zahl der Gläubiger (bspw. durch einen Verzicht), hat dies keine Auswirkung auf die Zuordnung des Verfahrens. Erlangt das Gericht aber neue Erkenntnisse über die Vermögensverhältnisse des Schuldners zum Zeitpunkt der Antragstellung, ist dies auch nach Antragstellung zu berücksichtigen. Es handelt sich insoweit nicht um eine objektive Veränderung der Umstände, denn die relevanten Umstände lagen bei Antragstellung bereits vor und waren lediglich für das Gericht nicht erkennbar. Hat der Schuldner also bei der Einreichung des Gläubiger- und Forderungsverzeichnisses Gläubiger verschwiegen, vergessen oder übersehen, wird der Verbraucherinsolvenzantrag unzulässig, wenn es dadurch zu einem Ansteigen der Gläubigerzahl von 19 auf 20 kommt, Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen auftauchen oder ganz allgemein die Vermögensverhältnisse unüberschaubar werden. Der Antrag gemäß § 305 wird in einem solchen Fall unzulässig. Der Schuldner ist darauf hinzuweisen. Falls der Schuldner nicht den Antrag zurücknimmt oder die Überleitung des Verfahrens in ein Regelinsolvenzverfahren beantragt, ist der Antrag durch Beschlus...