Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
2.2.1 Fälle von Einzelschäden
Rn 4
Nicht betroffen von der Zuweisung der Geltendmachungsbefugnis an den Insolvenzverwalter werden die Ansprüche einzelner Gläubiger auf Ersatz eines Individualschadens. Dabei handelt es sich etwa um die Ersatzansprüche von Aussonderungsberechtigten, aber auch um die von Massegläubigern aus § 61 (Kontrahierungsschäden) oder bei Nichtvorliegen von Masseunzulänglichkeit i.S. des § 208 Abs. 1. Bei der Zerstörung oder Beschädigung eines mit einem Absonderungsrecht belasteten Gegenstandes kann neben den Individualschaden des Absonderungsberechtigten ein Gesamtschaden der Gläubigergemeinschaft treten, weil die Kostenbeiträge nach §§ 170, 171 und ein etwaiger Übererlös, der der Masse zugute gekommen wäre, entfallen oder niedriger ausfallen. Hier kann der Absonderungsberechtigte seinen Individualschaden und daneben der Insolvenzverwalter den Gesamtschaden der Gläubigergemeinschaft geltend machen, wenn man nicht aus analoger Anwendung des § 166 eine Befugnis des Insolvenzverwalters zur Geltendmachung aller Schäden ableiten will. Keinen Gesamtschaden i.S. des § 92 Satz 1, sondern mehrere Individualschäden stellt es dar, wenn ein Mutterunternehmen eine harte Patronatserklärung gegenüber allen oder mehreren Gläubigern eines Tochterunternehmens abgegeben hat und dann das patronierte Unternehmen nicht in einer Weise ausstattet, die dessen Insolvenz verhindert. Dies ergibt sich schon aus dem bürgschafts- oder garantieähnlichen Charakter des Geschäfts: Der Patron verspricht jedem Gläubiger im Rahmen eines mit diesem geschlossenen Vertrags, dafür zu sorgen, dass dessen Forderung erfüllt wird, nicht auch dafür, dass die Forderungen aller Patronatsbegünstigten getilgt werden können.
2.2.2 Insbesondere: Schäden von Neugläubigern bei Insolvenzverschleppung
Rn 5
Ein praktisch besonders wichtiger Fall eines Individualschadens, also eines Ersatzanspruchs, der nicht unter § 92 Satz 1 fällt, sondern auch während des Insolvenzverfahrens von dem jeweils betroffenen Gläubiger selbst geltend gemacht werden kann, ergibt sich aus einem Wandel der Rechtsprechung des BGH im Jahr 1994. Nach dieser geänderten Rechtsprechung umfasst der Ersatzanspruch eines sog. Neugläubigers gegen die Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder einer Gesellschaft wegen Insolvenzverschleppung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG oder mit § 92 Abs. 2 AktG bzw. § 130a Abs. 1, § 177 HGB) den gesamten Schaden, der ihm dadurch entsteht, dass er mit einer insolventen Gesellschaft noch kontrahiert hat, nicht nur den sog. Quotenschaden. Bei dem zu ersetzenden Schaden handelt es sich um einen Individualschaden, weil er nicht durch eine sich für alle Gläubiger oder auch nur für eine Mehrzahl von Gläubigern gleichmäßig auswirkende Masseverkürzung, sondern durch die jeweils individuellen und zu unterschiedlicher Zeit zustande gekommenen Vertragsschlüsse entstanden ist und das zu ersetzende negative Interesse von Gläubiger zu Gläubiger verschieden ist. Auch wenn die erzielbare Quote sich in der Zeit zwischen dem Vertragsschluss und der späteren Stellung des Insolvenzantrags, also infolge fortgesetzter Antragsverschleppung, weiter verschlechtert hat, handelt es sich schon deshalb um einen Individualschaden, weil das Ausmaß der jeweiligen Quotenverringerung vom Zeitpunkt der einzelnen Vertragsschlüsse abhängig ist. Mit Recht haben daher Rechtsprechung und der überwiegende Teil der Literatur die im Schrifttum vereinzelt vertretene Ansicht zurückgewiesen, den Ersatzanspruch oder die Ersatzansprüche der Neugläubiger in einen (vom Verwalter geltend zu machenden) Anspruch auf Ersatz des Quotenschadens und einem (vom Neugläubiger geltend zu machenden) Anspruch auf Ersatz eines darüber hinausgehenden Individualschadens aufzuteilen. Vielmehr kann der gesamte durch den Vertragschluss mit der bereits insolvenzreifen Gesellschaft adäquat verursachte Schaden, also auch der durch Quotenverringerung nach Vertragsschluss entstandene weitere Schaden, (nur) vom Gläubiger selbst geltend gemacht werden.
Der Schaden eines jeden Neugläubigers vermindert sich freilich um die auf seine Insolvenzforderung entfallende Quote. Daraus folgt aber nicht, dass er erst nach Ermittlung dieser Quote, also am Ende des Insolvenzverfahrens, die Differenz zwischen seiner (unvergoltenen) Leistung und der Quote gegen den Organwalter als Schaden geltend machen könnte. Vielmehr kann er...