Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 2
Voraussetzung für die Gesamtliquidation der persönlichen Gesellschafterhaftung durch den Insolvenzverwalter ist ein eröffnetes Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien. Mit dem Terminus "Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit" verweist § 93 auf § 11 Abs. 2 Nr. 1, meint also Insolvenzverfahren über das Vermögen einer offenen Handelsgesellschaft (Gesellschafterhaftung nach §§ 128 ff. HGB), einer Kommanditgesellschaft (Haftung der Komplementäre nach § 161 Abs. 2 i.V.m. §§ 128 ff. HGB; unbeschränkte Haftung eines Kommanditisten unter den Voraussetzungen des § 176 HGB; für die beschränkte Kommanditistenhaftung bedarf es des § 93 wegen § 171 Abs. 2 HGB nicht), einer Partnerschaftsgesellschaft (§ 8 PartGG), einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Haftung der Gesellschafter analog §§ 128 ff. HGB), einer Partenreederei (anteilige Haftung der Mitreeder nach § 507 HGB) und einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (§ 1 des Ausführungsgesetzes zur Verordnung über die EWIV i.V.m. §§ 128 ff. HGB). Selbstverständlich ist § 93 auch bei Insolvenz einer GmbH & Co. KG gegenüber der Komplementär-GmbH anwendbar. Die KGaA ist zwar nach § 278 Abs. 1 AktG eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, verfügt jedoch über mindestens einen (unbeschränkt) haftenden Gesellschafter (§ 278 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 161 Abs. 2, § 128 HGB) und ist deshalb in § 93 ausdrücklich aufgeführt. Analog anzuwenden ist § 93 bei sonstigen juristischen Personen, wenn deren Mitglieder ausnahmsweise einer Durchgriffshaftung wegen Missbrauchs der Rechtsform der juristischen Person ausgesetzt sind. Eine solche Durchgriffshaftung und damit die analoge Anwendung des § 93 bejaht der BGH nach wie vor bei Vermögensvermischung, also dann, wenn bei einer GmbH die Abgrenzung zwischen Gesellschaftsvermögen und Privatvermögen durch eine undurchsichtige Buchführung oder auf sonstige Weise verschleiert worden ist, dagegen nicht mehr bei sog. existenzvernichtenden Eingriffen eines Gesellschafters in das Gesellschaftsvermögen und erst recht nicht bei sog. materieller Unterkapitalisierung. Bei einer Vorgesellschaft bedarf es der Anwendung des § 93 nur, wenn und soweit man eine Außenhaftung der Gesellschafter gegenüber den Gesellschaftsgläubigern bejaht. Bei Annahme einer bloßen Binnenhaftung der Vorgesellschafter gegenüber der Vorgesellschaft ergibt sich die Geltendmachungsbefugnis des Insolvenzverwalters aus § 80 Abs. 1.
Die Anwendung des § 93 setzt nicht voraus, dass der Haftungsschuldner noch im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung der Gesellschaft angehört, nicht einmal, dass das Insolvenzverfahren gerade über das Vermögen einer der in § 93 genannten Gesellschaften eröffnet worden ist. Vielmehr ist § 93 auch anwendbar auf die – zeitlich begrenzte (vgl. § 160 HGB, ggf. i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB oder mit § 736 BGB) – Nachhaftung eines ausgeschiedenen Gesellschafters für die vor seinem Ausscheiden begründeten Gesellschaftsverbindlichkeiten. Ebenso ist § 93 (zumindest analog) anwendbar in dem Fall, dass eine der in § 93 genannten Gesellschaften durch Umwandlung nach dem UmwG oder durch Ausscheiden aller Gesellschafter bis auf einen zu einer AG, GmbH, Genossenschaft oder zu einem einzelkaufmännischen Unternehmen geworden ist, nun über das Vermögen des neuen Unternehmensträgers das Insolvenzverfahren eröffnet wird und Gesellschafter der früheren Gesellschaft noch einer Nachhaftung nach §§ 45, 224, 237, 249, 257 UmwG, § 736 BGB oder § 160 HGB unterliegen. Denn die Gefahr eines Gläubigerwettlaufs um die persönliche Haftung eines (früheren) Gesellschafters, der § 93 vorbeugen will, besteht unabhängig davon, ob der ins Insolvenzverfahren geratene Unternehmensträger zu den in § 93 genannten Gesellschaften gehört oder von anderer Art ist.