Rn 24

Im Falle einer Sitzverlegung des Schuldners zwischen Antragstellung und Verfahrenseröffnung stellt sich die Frage, ob die erst begründete internationale Zuständigkeit fortwirkt oder ob ein Zuständigkeitswechsel stattfindet. In der deutschen Rechtsprechung wurde die Auffassung vertreten, dass der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich sei, während englische und niederländische Gericht auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung abstellten.

 

Rn 25

Diese Problematik war Gegenstand eines Vorlagebeschlusses des BGH[44] zur Vorabentscheidung durch den EuGH. In seiner Entscheidung Staubitz-Schreiber vom 17.1.2006 hat sich der EuGH in Übereinstimmung mit den Schlussanträgen des Generalanwalts Colomer[45] zugunsten der Fortwirkung der einmal begründeten Zuständigkeit ausgesprochen – so genannte perpetuatio fori.[46] Grund für diese Entscheidung war, dass ein Zuständigkeitswechsel ein forum shopping erleichtern und somit den Zielen der EuInsVO entgegenwirken würde.[47] Im anderen Fall könnte der Schuldner die Zeitspanne zwischen Antragstellung und Verfahrenseröffnung ausnutzen, um seinen COMI in einen anderen Mitgliedstaat zu verlagern und auf diese Weise ein für ihn günstigeres Recht zu wählen. Die perpetuatio fori gewährleistet ebenfalls eine höhere Rechtssicherheit für die Gläubiger, die das Insolvenzrisiko am Ort des ersten Antragstellung eingeschätzt hatten, als sie mit dem Schuldner rechtliche Beziehungen eingingen.[48] Eine Verlegung des COMI vor Antragstellung ist jedoch zu berücksichtigen, es sei denn, sie erfolgte nur zum Schein kurz vor dem Antrag aus nichtgeschäftlichen Gründen.[49]

 

Rn 26

Problematisch in diesem Zusammenhang ist die Frage, ob das Gericht seine internationale Zuständigkeit auch für die erst nach dem Wegzug des Schuldners eingegangenen Insolvenzanträge behält. Die Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist zu befürworten, denn sie würde einem forum shopping entgegenwirken. Sonst könnte sich ein Schuldner nach Erledigung eines ersten Insolvenzantrages das für ihn günstigste Insolvenzrecht aussuchen.[50] Das zunächst befasste Gericht bleibt also auch nach Erledigung des Erstantrags für zwischenzeitlich eingegangene Insolvenzanträge zuständig.[51]

[44] BGH, Beschl. v. 27.11.2003, ZIP 2004, 94 f. = NZI 2004, 139 [BGH 27.11.2003 - IX ZB 418/02]; hierzu Oberhammer, ZInsO 2004, 761 (762 ff.); siehe auch Pannen/Pannen, EuInsVO, Rechtsprechungsübersicht Art. 3 Anhang A Rn. 17.
[45] EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Colomer, ZIP 2005, 1641 = ZInsO 2005, 1099 f. = NZI 2005, 544.
[46] EuGH, Urteil v. 17.1.2006, ZIP 2006, 188 f. [EuGH 17.01.2006 - C 1/04] – "Staubitz-Schreiber"; mit Anm. Knof/Mock, ZIP 2006, 189 ff.; Schmidt, ZInsO 2006, 88; Kindler, IPRax 2006, 114 ff.; Vogl, EWiR 2006, 161 [BGH 12.12.2005 - II ZR 253/03]; Saenger/Klockenbrink, DZWiR 2006, 183 (184); so auch Laukemann, der die Rechtshängigkeit im Insolvenzverfahren schon mit Antragstellung annimmt, Laukemann, RIW 2005, 104 (110); vgl. hierzu Pannen/Pannen, EuInsVO, Rechtsprechungsübersicht Art. 3 Anhang A Rn. 17.
[47] EuGH, Urteil v. 17.1.2006, ZIP 2006, 188 f. [EuGH 17.01.2006 - C 1/04] – "Staubitz-Schreiber"
[48] EuGH, Urteil v. 17.1.2006, ZIP 2006, 188 f. [EuGH 17.01.2006 - C 1/04] – "Staubitz-Schreiber", Nr. 27.
[49] High Court of Justice in Leeds "Ci4net" ZIP 2004, 1769; Wessels, Current Topics of International Insolvency Law, 170; Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff-Haß/Herweg, Art. 3 EuInsVO Rn. 17 m.w.N. Die Schein-Sitzverlegung wird übrigens im französischen und italienischen Recht ausdrücklich geregelt. Nach Art. 1 Abs. 2 des Décret n°2005-1677 v. 28.12.2005 bleibt im Falle einer Sitzverlegung der juristischen Person in den sechs Monaten vor Anrufung des Gerichts allein das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich der ursprüngliche Sitz befand. Nach Art. 9 Legge fallimentare ist eine bis zu einem Jahr vor Insolvenzantragsstellung durchgeführte Sitzverlegung für die Zuständigkeitsbestimmung nicht relevant.
[50] Pannen/Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 76.
[51] Pannen/Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 77; vgl auch BGH, Beschluss v. 2.3.2006, ZIP 2006, 767 [BGH 02.03.2006 - IX ZB 192/04] (768 f.) = ZInsO 2006, 431 (433); dazu Smid, DZWiR 2006, 325 (328).

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