Rn 40
Nicht geregelt in der EuInsVO ist die internationale Zuständigkeit für die so genannten "Annexverfahren" bzw. "Annexentscheidungen". Hierbei handelt es sich gemäß Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO um Entscheidungen, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen, auch wenn diese Entscheidungen von einem anderen Gericht getroffen werden. Darunter fallen beispielsweise Klagen des Insolvenzverwalters auf Anfechtung, Klagen von Gläubigern auf Aus- oder Absonderung sowie die Klagen auf Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle. Weder Art. 3 EuInsVO, der lediglich die internationale Zuständigkeit für Eröffnungsentscheidungen, noch Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO, der die Anerkennung solcher Annexentscheidungen regelt, enthalten Bestimmungen bezüglich der internationalen Zuständigkeit für Annexverfahren. Diese Regelungslücke wurde als Zuständigkeitsrätsel der EuInsVO bezeichnet.
Drei Ansätze sind zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit für Annexverfahren denkbar.
2.6.1 Heranziehung nationaler Zuständigkeitsvorschriften
Rn 41
Der erste Ansatz besteht darin, nationale Zuständigkeitsvorschriften aus dem autonomen Insolvenzrecht für Annexverfahren heranzuziehen. Dies wird dadurch begründet, dass sofern die EuInsVO diesbezüglich keine Regelung getroffen hat, das nationale Recht zur Anwendung kommen sollte. Problematisch bei dieser Lösung ist jedoch, dass die Heranziehung möglicherweise abweichender nationaler Regelungen zu Kompetenzkonflikte führen würde. Dies würde des Weiteren der Absicht der Verordnung widersprechen, die internationale Zuständigkeit für Insolvenzverfahren einheitlich und vollständig zu regeln (vgl. Erwägungsgründe 6 und 8 EuInsVO). Hierdurch würde schließlich die Gefahr bestehen, dass die Mitgliedstaaten extensive Regelungen über die Zuständigkeit für Annexverfahren treffen, um die Kompetenz ihrer Gerichte weitgehend zu sichern. Da dieses Ergebnis in frontalem Widerspruch zu der in der EuInsVO beabsichtigten Vereinheitlichung stünde, muss dieser Ansatz verworfen werden.
2.6.2 Anwendung der EuGVVO
Rn 42
Vertreten in der Fachliteratur sowie in der Rechtsprechung wird die direkte Anwendung der Bestimmungen der EuGVVO. Nach Meinung des OLG Frankfurt/Main ist die EuInsVO gegenüber der EuGVVO die lex specialis. Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO schließt zwar aus ihrem Anwendungsbereich "Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren" aus, doch darunter fallen keine Annexverfahren.
Rn 43
Die Ansichten scheiden sich über die Frage, ob die EuGVVO nur für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit der Annexentscheidung, oder auch für deren Anerkennung anzuwenden sei. In seinem diesbezüglichen Urteil entschied sich der OLG Frankfurt für eine umfassende und einheitliche Anwendung der EuGVVO. Seiner Meinung nach sei eine analoge Anwendung des Art. 3 EuInsVO mangels planwidriger Regelungslücke unzulässig.
Rn 44
Dieser Ansatz ist jedoch ebenso abzulehnen, denn der EuGH hat bereits in seiner Entscheidung Gourdain/Nadler eindeutig zu dieser Frage Stellung bezogen. Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVÜ (nunmehr EuGVVO) ist so auszulegen, dass auch Entscheidungen, die sich auf ein Insolvenzverfahren beziehen, von der Anwendung des Übereinkommens (EuGVVO) ausgeschlossen sind, wenn sie unmittelbar aus diesem Verfahren hervorgehen und sich eng innerhalb des Rahmens eines Konkurs- oder Vegleichsverfahrens halten. Da der Wortlaut des Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO wortwörtlich diesem Passus entspricht, ist eine direkte Anwendung der EuGVVO abzulehnen.
2.6.3 Analoge Anwendung des Art. 3 EuInsVO
Rn 45
Als dritter Ansatz für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit kommt die analoge Anwendung des Art. 3 EuInsVO in Frage. Die nicht erfolgte Regelung der Zuständigkeit stellt nämlich eine planwidrige Rege...