Rn 64
Partikularinsolvenzverfahren sind grundsätzlich von der EuInsVO unerwünscht, weil vorrangig der Staat des Interessenmittelpunktes darüber entscheiden soll, ob und wie ein Insolvenzverfahren über das Schuldnervermögen durchgeführt wird. Partikularinsolvenzverfahren werden gemäß Art. 3 EuInsVO am Ort einer Niederlassung des Schuldners vor Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens eröffnet.
Rn 65
Es kann sich bei ihnen sowohl um ein
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Liquidationsverfahren als auch um ein |
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Sanierungsverfahren |
handeln.
Rn 66
Im Gegensatz dazu können Sekundärinsolvenzverfahren gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO nur Liquidationsverfahren (dazu gehören auch die deutschen Insolvenzverfahren) sein; vgl. dazu bereits Art. 2 Rn. 4.
Rn 67
Für ein Partikularinsolvenzverfahren gilt nicht das Universalitätsprinzip. Es beansprucht also keine grenzüberschreitende Wirkung, sondern ist auf das schuldnerische Vermögen im Eröffnungsstaat beschränkt (Art. 3 Abs. 2 EuInsVO). Der Insolvenzverwalter eines Partikularinsolvenzverfahrens hat jedoch gemäß Art. 18 Abs. 2 EuInsVO das Recht, bewegliche Gegenstände, die nach der Eröffnung des Partikularinsolvenzverfahrens in das Ausland verbracht wurden, in den Eröffnungsstaat zurückzuführen. Bei Partikularinsolvenzverfahren gilt ebenfalls die lex fori concursus gemäß Art. 4 EuInsVO, denn diese Bestimmung steht im ersten Kapitel der Verordnung (Allgemeine Vorschriften).
Rn 68
Das Antragsrecht auf Eröffnung eines Partikularverfahrens ist beschränkt, um parallele Partikularinsolvenzverfahren zu vermeiden, die nicht durch ein Hauptinsolvenzverfahren koordiniert werden können. Es sind sowohl
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inländische Gläubiger als auch |
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Gläubiger der inländischen Niederlassung |
berechtigt, ein Partikularinsolvenzverfahren zu beantragen, Art. 3 Abs. 4 lit. b.
Rn 69
Die Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens ist gemäß Art. 3 Abs. 4 EuInsVO in zwei Fällen zulässig, in denen nach dem anwendbaren Recht ein Hauptinsolvenzverfahren nicht eröffnet werden kann:
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Erstens falls die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgrund der Bedingungen, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates vorgesehen sind, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, nicht möglich ist. |
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Zweitens falls die Eröffnung des Partikularverfahrens von einem Gläubiger beantragt wird, der seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem sich die betreffende Niederlassung befindet, oder dessen Forderung auf einer sich aus dem Betrieb dieser Niederlassung ergebenden Verbindlichkeit beruht. |
Rn 70
Die erste Konstellation liegt z.B. vor, wenn nach dem anwendbaren Recht ein Insolvenzverfahren nur über das Vermögen eines Kaufmanns eröffnet werden kann, der Schuldner aber kein Kaufmann ist (so beispielsweise im französischen oder belgischen Recht).
Rn 71
Das Recht, sich an dem Partikularinsolvenzverfahren zu beteiligen, ist nicht auf die inländischen Gläubiger beschränkt. Nach der Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens können sich alle (in- und ausländischen) Gläubiger an ihm beteiligen.
Rn 72
Gemäß Art. 36 EuInsVO wird ein "unabhängiges" Partikularverfahren zu einem Sekundärverfahren, wenn ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wird. Auf dieses Verfahren sind dann die Vorschriften über das Sekundärinsolvenzverfahren, Art. 31 bis 35 EuInsVO, anwendbar. Sollte es sich bei dem Partikularinsolvenzverfahren um ein Sanierungsverfahren gehandelt haben, dann kann es auf Antrag des Hauptinsolvenzverwalters in ein Liquidationsverfahren umgewandelt werden, Art. 37 EuInsVO. Wird eine Umwandlung nicht beantragt, so kann das Verfahren aber als Sanierungsverfahren fortgesetzt werden. Stellt der Hauptinsolvenzverwalter einen Antrag auf Umwandlung des Verfahrens, dann muss das Gericht ihm nicht entsprechen. Der Hauptinsolvenzverwalter hat vielmehr nachzuweisen, dass die Umwandlung im Interesse der Gläubiger des Hauptinsolvenzverfahrens liegt.