1. Kontinuität in Begrifflichkeiten und Grundkonzeption
Noch vor Rz. 1 des BMF-Schreibens v. 15.8.2023 wird darauf hingewiesen, dass die Begrifflichkeiten
- des häuslichen Arbeitszimmers sowie
- des Mittelpunkts der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung
unverändert geblieben sind.
Arbeitsecke: Insofern sind – wie bisher – bloße Arbeitsecken kein häusliches Arbeitszimmer mit der Folge, dass hierauf entfallende Aufwendungen nicht nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b bzw. § 9 Abs. 5 S. 1 EStG abgezogen werden können. Beachten Sie: Wohl kommt aber die Tagespauschale nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6c EStG ggf. zur Anwendung (BMF-Schreiben v. 15.8.2023, Rz. 4).
Mittelpunkts-Fall = auch möglich, wenn anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht: Der Mittelpunkts-Fall erfordert nicht, dass kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Dabei wurde für die bis 31.12.2022 geltende Rechtslage teilweise vertreten, dass man von der Prüfungsreihenfolge her erst zu den Mittelpunkts-Fällen gelangt, wenn zuvor verneint wurde, dass ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Die Finanzverwaltung sah dies jedoch für die bis 31.12.2022 geltende Rechtslage anders, so dass ein Mittelpunkts-Fall auch vorliegen konnte, wenn ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Damit ist auch insoweit Kontinuität gewahrt.
Des Weiteren gilt der Grundsatz unverändert fort, dass Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer nicht abziehbar sind (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 1 EStG).
2. BMF = Großzügigeres Vorgehen bei Freiberuflerpraxen
Was die Begrifflichkeit des "häuslichen Arbeitszimmers" anbelangt, so verfährt aber nunmehr die Verwaltung großzügiger bei Praxen von Freiberuflern (Ärzten, Steuerberatern und Rechtsanwälten etc.).
Offensichtliche Widmung für den Publikumsverkehr: So wird das Kriterium der offensichtlichen Widmung für den Publikumsverkehr, das die Abzugsbeschränkung nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b EStG aushebelt, nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Patienten/Mandanten, um in die Praxis zu gelangen, einen dem privaten Bereich des Steuerpflichtigen zuzuordnenden Flur passieren müssen (BMF-Schreiben v. 15.8.2023, Rz. 6 unter b) erstes Beispiel).
Durchqueren der privaten Wohnfläche: Dies hängt damit zusammen, dass der BFH zwischenzeitlich entschieden hatte, dass bei einem in die häusliche Sphäre eingebundenen Raum, der als ärztliche Notfallpraxis genutzt und entsprechend eingerichtet ist sowie nachhaltig zur Behandlung von Patienten genutzt wird, aufgrund seiner Einrichtung und tatsächlichen Nutzung eine private (Mit-)Nutzung praktisch auszuschließen sei. Allein der Umstand, dass die Patienten den Behandlungsraum nur über einen dem privaten Bereich zuzuordnenden Flur erreichen können, begründe kein häusliches Arbeitszimmer. Beachten Sie: Zuvor vertrat der BFH noch die Auffassung, dass es schädlich sei, wenn die private Wohnfläche durchquert werden müsse.
Beraterhinweis Freiberuflerpraxen werden regelmäßig nicht mehr den Abzugsbeschränkungen des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b EStG unterfallen.
3. Wegfall der Deckelung
Neu ist allerdings bei der ab 1.1.2023 geltenden gesetzlichen Regelung, dass in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b EStG die auf 1.250 EUR im Jahr gedeckelte Abzugsfähigkeit, wenn kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, als solches weggefallen ist. Vielmehr können Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer – als Durchbrechung des zuvor genannten grundsätzlichen Abzugsverbots – nur noch in den Mittelpunkts-Fällen geltend gemacht werden (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 2 EStG).
Liegt ein solcher Mittelpunkts-Fall vor, kann
- statt Darlegung der tatsächlich angefallenen Aufwendungen
- eine Jahrespauschale nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 3 und 4 EStG i.H.v. 1.260 EUR für das Wirtschafts- bzw. Kalenderjahr geltend gemacht werden. In diesen Fällen entfällt auch die Aufzeichnungspflicht nach § 4 Abs. 7 EStG, welche ansonsten in den Mittelpunkts-Fällen fortbesteht (BMF v. 15.8.2023, Rz. 25 f.).
Relevanz von "kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht": Die Frage, ob kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, hat allerdings in neuem Kontext weiterhin Relevanz – und zwar bei der Tagespauschale gem. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6c S. 2 EStG. Was dieses Merkmal anbelangt, so wurde frühzeitig die Vermutung geäußert, dass trotz des geänderten Regelungszusammenhangs der Bedeutungsinhalt unverändert sei. Betrachtet man die Rz. 31 ff. des BMF-Schreiben...