Auch wenn es sich bei der Einbeziehung von Betreibern elektronischer Schnittstellen in Lieferungen um fiktive Reihengeschäfte handelt, erklärt das BMF-Schreiben die Verwaltungsregelungen in Abschn. 3.14 UStAE für nicht anwendbar auf Lieferketten nach § 3 Abs. 3a i.V.m. Abs. 6b UStG anzuwenden. Vielmehr sind die besonderen Verwaltungsregelungen des Abschn. 3.18 UStAE zu beachten.
§ 3 Abs. 3a Sätze 1 und 2 UStG regelt die Einbeziehung von Betreibern elektronischer Schnittstellen in fiktive Lieferketten. Ein Unternehmer, der mittels seiner elektronischen Schnittstelle die Lieferung eines Gegenstands, unterstützt, wird in den folgenden Fällen so behandelt, als ob er diesen Gegenstand für sein Unternehmen selbst erhalten und geliefert hätte:
- die Lieferung, die über die Schnittstelle abgewickelt wird, erfolgt durch einen nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmer an einen Nichtunternehmer und die Beförderung oder Versendung beginnt und endet im Gemeinschaftsgebiet;
- bei der Lieferung, die über die Schnittstelle abgewickelt wird, handelt es sich um den Fernverkauf von aus dem Drittlandsgebiet eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 EUR. Der Sitz des Lieferanten ist hierbei irrelevant. Bei dem Abnehmer kann es sich um einen Nicht-Unternehmer oder einen opaken Unternehmer handeln.
Während tatsächlich lediglich ein einziges Verkaufsgeschäft zwischen dem Unternehmer und dem Abnehmer vorliegt, werden für umsatzsteuerliche Zwecke zwei Lieferungen fingiert, indem eine erste Lieferung von dem Unternehmer an den Betreiber der elektronischen Schnittstelle sowie eine zweite fiktive Lieferung von dem Betreiber der elektronischen Schnittstelle an den Enderwerber angenommen werden.
Die fiktive Lieferung der elektronischen Schnittstelle an den Abnehmer gilt gem. § 3 Abs. 6b UStG als bewegte Lieferung. Bei der fiktiven Lieferung an die elektronische Schnittstelle handelt es sich um eine vorangehende ruhende Lieferung, deren Ort sich nach den allgemeinen Ortsbestimmungen des § 3 Abs. 7 S. 2 UStG bestimmt. Beginnt der Versand der über die Schnittstelle gehandelten Gegenstände im Inland, ist die Lieferung in Deutschland steuerbar, aber nach § 4 Nr. 4c UStG von der Umsatzsteuer befreit. Mangels entsprechender Verwaltungsvereinfachungsregelung wird sich der Unternehmer im Inland steuerlich registrieren lassen müssen.
a) Beispiel 1
Ein in der Schweiz ansässiger Händler CH veräußert über eine elektronische Schnittstelle S Handyzubehör an eine im Inland ansässige Privatperson P-DE. Die Ware wird aus einem inländischen Lager des CH in Köln an den Wohnsitz der Privatperson P-DE nach Münster versendet.
Abb. 17: Schnittstellenlieferung, Abschn. 3.18 Abs. 2 S. 6 Beispiel 2
Lösung
Es werden eine Lieferung des CH an den Betreiber der elektronischen Schnittstelle S und eine Lieferung des Betreibers der elektronischen Schnittstelle S an die Privatperson P-DE fingiert, § 3 Abs. 3a Satz 1 UStG. Die Warenbewegung wird nach § 3 Abs. 6b UStG der Lieferung des Betreibers der elektronischen Schnittstelle an P-DE zugeschrieben. Die Lieferung des CH an den Betreiber der elektronischen Schnittstelle S ist gem. § 3 Abs. 7 S. 2 Nr. 1 UStG im Inland steuerbar, aber nach § 4 Nr. 4c UStG von der Umsatzsteuer befreit. Die Lieferung des Betreibers der elektronischen Schnittstelle an die Privatperson ist gem. § 3 Abs. 6 S. 1 UStG im Inland steuerbar und steuerpflichtig. Für diese Lieferung findet die Regelung zum innergemeinschaftlichen Fernverkehr nach § 3c Abs. 1 UStG keine Anwendung, weil die Ware nicht aus dem Gebiet eines EU-Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen EU-Mitgliedstaates gelangt. Der Betreiber der elektronischen Schnittstelle S kann das besondere Besteuerungsverfahren im Sinne des § 18j UStG (sog. One Stop Shop – OSS) in Anspruch nehmen und den Umsatz darüber erklären. Andernfalls hat der Betreiber der elektronischen Schnittstelle den Umsatz in Deutschland im allgemeinen Besteuerungsverfahren zu erklären.
b) Beispiel 2
Ein in Deutschland ansässiger Händler DE veräußert über eine elektronische Schnittstelle Handyzubehör an eine in Deutschland ansässige Privatperson P-DE. Die Ware wird aus einem Fulfillment-Center in Polen an den Wohnsitz der Privatperson P-DE versendet. DE überschreitet die Umsatzschwelle von 10.000 EUR bzw. verzichtet auf die Anwendung des § 3c Abs. 4 Satz 1 UStG. Er nimmt an dem besonderen Besteuerungsverfahren nach § 18j UStG (One Stop Shop – OSS) teil.
Abb. 18: Schnittstellenlieferung, Abschn. 3.18 Abs. 2 S. 6 Beispiel 4
Lösung
Nach § 3 Abs. 3a S. 1 UStG wird keine Lieferung zwischen dem Betreiber der elektronischen Schnittstelle S und der Privatperson P-DE fingiert. DE ist im Gemeinschaftsgebiet ansässig. In diesem Fall wäre nach § 3 Abs. 3a UStG für die Anwendung der Schnittstellenfiktion erforderlich, dass die Gegenstände aus dem Drittlandsgebiet eingeführt werden. Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr findet für die Lieferung des DE an die Privatperson P-DE § 3c Abs. 1 UStG ...