Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Darlegung. Richterablehnung bzw -ausschließung wegen Befangenheit bzw Mitwirkung am Verwaltungsverfahren
Orientierungssatz
1. Zur nicht ausreichenden Darlegung des Verfahrensmangels der Ausschließung bzw der Befangenheit eines Richters wegen Mitwirkung am vorausgegangenen Verwaltungsverfahren.
2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 2. Kammer vom 30.10.2009 - 1 BvR 2408/09).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, § 60 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten ist abzulehnen. Denn seine Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫). Die Beschwerde erfüllt nicht die formellen Voraussetzungen.
2. Die Beschwerde ist unzulässig. Die geltend gemachten Zulassungsgründe - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung, Verfahrensmangel - sind nicht hinreichend iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt bzw bezeichnet.
a) Die ordnungsgemäße Bezeichnung eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) setzt voraus, dass die ihn begründenden Tatsachen substanziiert und schlüssig dargelegt werden (stRspr; ua BSG SozR 1500 § 160a Nr 14; SozR 3-1500 § 73 Nr 10). Eine solche Darlegung ist der Beschwerdebegründung vom 31. März 2009 - trotz ihres Umfangs von 57 Seiten - nicht zu entnehmen.
Der Beschwerdeführer rügt zwar eine Reihe angeblicher Verfahrensmängel, nämlich die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts und des Sozialgerichts (SG) sowie eine nicht ausreichende Bevollmächtigung der Vertreterin der Beklagten im Termin am 6. Januar 2009. Er trägt hierzu im Wesentlichen vor, der an der Entscheidung des LSG mitwirkende Richter am LSG Dr. S sei von ihm bzw seinem Prozessbevollmächtigten wegen Vorbefassung im Termin abgelehnt worden. Dieses Gesuch habe das LSG - ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters Dr. S, statt dessen unter Mitwirkung der geschäftsplanmäßig zuständigen Richterin am LSG J abgelehnt, da eine Vorbefassung, die den Richter von einer Mitwirkung an der Entscheidung ausschließen würde (§ 60 Abs 2 und Abs 1 SGG iVm § 41 Nr 6 ZPO) nicht vorliege, weil Dr. S in der hier anhängigen Sache weder im Verwaltungs-, noch im erstinstanzlichen Verfahren mitgewirkt habe. Diese Entscheidung sei unzutreffend, da der abgelehnte Richter vor seiner Berufung zum Richter am LSG als Vorsitzender der 73. Kammer des SG Berlin mit der - noch nicht abgeschlossenen - Parallelsache Sch vs DAK zum Az: S 73 KR 35/03 befasst gewesen sei, in welchem es um die Neuberechnung des Krankengeldes nach Bezug von Arbeitslosengeld (Alg) im hier maßgeblichen Zeitraum gehe. Mit Beschluss vom 12. November 2004 habe Dr. S seinerzeit das Krankengeldverfahren ausgesetzt, und zwar im Hinblick auf das damals noch in erster Instanz schwebende Verfahren Az: S 57 AL 830/01, SG Berlin, das dem hier vorliegenden Berufungsverfahren zu Grunde liege. Insoweit liege eine Vorbefasstheit des Richters Dr. S vor, weil ihm die hiesigen Sachakten bereits vorgelegen hätten, als noch nicht zur Sache entschieden worden sei. Auch wenn Dr. S nicht im Verwaltungsvorverfahren iS des § 60 Abs 2 SGG tätig gewesen sei, sei in analoger Rechtsanwendung von § 60 SGG von einer Befangenheit auszugehen.
Mit diesen Ausführungen wird der geltend gemachte Verfahrensmangel einer Ausschließung bzw Befangenheit des Richters Dr. S indessen nicht schlüssig aufgezeigt. Die Verfahrensrüge, das Berufungsgericht sei fehlerhaft besetzt gewesen, weil ein Ablehnungsantrag gegen einen mitwirkenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit zu Unrecht abgewiesen worden sei, kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nur auf die Behauptung gestützt werden, die Behandlung des Ablehnungsantrages beruhe auf willkürlichen bzw manipulativen Erwägungen (vgl BSG, Beschluss vom 5. August 2003 - B 3 P 8/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 1 mwN; stRspr). Erforderlich ist deshalb, dass willkürliche oder manipulative Erwägungen für die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs bestimmend gewesen sind. Eine greifbar gesetzwidrige, zu einer Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter führende Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs durch den Beschluss des LSG vom 6. Januar 2009 lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen. Wie der Kläger selbst vorträgt, war Dr. S am Verwaltungsverfahren iS des § 60 Abs 2 SGG nicht beteiligt. Soweit der Kläger meint, in "analoger Rechtsanwendung des § 60 SGG" müsse dies auch dann gelten, wenn dem Richter anlässlich der Aussetzung die Akten des hiesigen, erstinstanzlichen Verfahrens (Az: S 57 AL 830/01) vorgelegen hätten, ergibt sich aus diesem Vorbringen kein Anhalt für eine schlechterdings unverständliche und damit willkürliche Entscheidung des LSG.
Dasselbe gilt für die in der Beschwerdebegründung als weiterer (angeblicher) Verfahrensmangel beanstandete Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter an dem das Ablehnungsgesuch des Klägers zurückweisenden Beschluss. In der Beschwerdebegründung wird weder anhand gesetzlicher Vorschriften noch in sonstiger Weise erläutert, weshalb die ehrenamtlichen Richter bei dieser im Termin am 6. Januar 2009 getroffenen Entscheidung an der Beratung und anschließenden Beschlussverkündung nicht mitzuwirken hätten. Im Übrigen regelt § 12 Abs 2 Satz 2 SGG ausdrücklich, dass die ehrenamtlichen Richter (nur) bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung und bei Gerichtsbescheiden nicht mitwirken.
Auch die weitere Rüge, bereits die erstinstanzliche Entscheidung sei verfahrensfehlerhaft ergangen, weil er die Richterin H wegen Besorgnis der Befangenheit zulässig und begründet abgelehnt habe, geht fehl. Denn Verfahrensmängel im Sinn der Zulassungsvorschrift des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG sind nur Rechtsverletzungen im Berufungsverfahren. Verfahrensfehler im erstinstanzlichen Verfahren sind kein Grund für die Zulassung der Revision, es sei denn, ein Verfahrensmangel wirkt ausnahmsweise im Berufungsverfahren fort und ist insofern ebenfalls als Mangel des LSG anzusehen (Lüdtke in Handkommentar zum SGG, 3. Aufl, § 160 RdNr 16 und Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl, § 160 RdNr 16a mwN). Für eine solche Ausnahme ist hier nichts ersichtlich und wird im Übrigen auch vom Kläger nichts vorgetragen.
Schließlich ergeben auch die Ausführungen der Beschwerdebegründung zu einer "Vollmachtsrüge" keinen hinreichend substanziierten Verfahrensmangel. Das Vorbringen, die Vertreterin der Beklagten habe im Termin lediglich ihre Vollmacht "unter Bezugnahme auf die bei Gericht hinterlegte Generalterminvollmacht" behauptet, jedoch nicht mitgeteilt, wo diese hinterlegt sein soll, geht an der Sache vorbei. Ausweislich des der Beschwerdebegründung beigefügten Sitzungsprotokolls hat das LSG im Termin vom 6. Januar 2009 mit Beschluss den Antrag des Klägers, die Vertreterin der Beklagten zurückzuweisen, ua mit dem Hinweis abgelehnt, ihre Bevollmächtigung sei auf Grund der Generalterminvollmacht vom 28. August 2008 als nachgewiesen anzusehen. Wie in § 73 Abs 3 Satz 1 SGG geregelt, weist das Gericht Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Abs 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Demgemäß hat das LSG auf entsprechenden Antrag des Klägers geprüft, ob die Vertreterin der Beklagten vertretungsbefugt war. Ob - was vom Kläger in Frage gestellt wird - eine zu den Hauptakten des Gerichts genommene Generalterminvollmacht der Beklagten ausreicht, kann hier auf sich beruhen. Denn jedenfalls ist weder dargetan noch ersichtlich, dass auf diesem angeblichen Verfahrensverstoß die angegriffene Entscheidung des LSG beruht.
b) Den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ist auch nicht genügt, soweit in der Beschwerdebegründung vorgetragen wird, das LSG weiche von Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) oder des Bundessozialgerichts (BSG) ab. Denn um eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG in gebotener Weise zu bezeichnen, ist ein Widerspruch im Grundsätzlichen oder ein Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze in der Entscheidung des LSG einerseits und höchstrichterlichen Rechtsprechung andererseits aufzuzeigen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14; stRspr). Dabei muss die Beschwerdebegründung deutlich machen, dass in der angefochtenen Entscheidung eine sie tragende Rechtsansicht entwickelt ist und nicht etwa nur ungenaue oder unzutreffende Rechtsausführungen oder Rechtsirrtum im Einzelfall die Entscheidung bestimmen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67; BSG, Beschluss vom 27. Juni 2002, B 11 AL 87/02 B).
In der Beschwerdebegründung werden zwar Leitsätze des Beschlusses des BVerfG vom 11. Januar 1995 (1 BvR 892/88 - BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6) und Teile aus dieser Entscheidung zitiert. Dasselbe gilt für Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 28. Juni 1995, 7 RAr 102/94 und vom 25. März 2003, B 7 AL 114/01 R). Die Beschwerdebegründung stellt aber keinen abstrakten Rechtssatz des LSG dar, sondern gibt nur Auszüge aus den Entscheidungsgründen des LSG wieder und trägt vor, das LSG habe die BSG- bzw BVerfG-Rechtsprechung zur Berücksichtigung einmalig gezahlten Arbeitsentgelts bei Lohnersatzleistungen nicht berücksichtigt.
Eine Abweichung des LSG von der genannten Rechtsprechung hätte im Übrigen auch nicht mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden können. Denn das LSG hat in den Entscheidungsgründen die Klageabweisung unter Hinweis auf § 434c Abs 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch zum einen auf die Bestandskraft des Alg-Bewilligungsbescheides zum Zeitpunkt der Bekanntgabe (21. Juni 2000) des weiteren Beschlusses des BVerfG vom 24. Mai 2000 (BVerfGE 102, 127 ff = SozR 3-2400 § 23a Nr 1) gestützt und andererseits auf die Tatsache, dass es für die Zeit nach dem 22. Juni 2000 nicht um höheres Alg gehe, da der Kläger zu dieser Zeit kein Alg, sondern Krankengeld bezogen habe. Dass der Kläger - wie seine umfangreichen Rechtsausführungen zeigen - diese Entscheidung des LSG offenbar für falsch hält, führt nicht zur Zulassung der Revision wegen einer Abweichung, denn Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob die Entscheidung des LSG richtig oder falsch ist.
c) Schließlich enthält die Beschwerdebegründung auch keine ausreichenden Darlegungen für die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Dieser Zulassungsgrund ist nur dann gegeben, wenn die Rechtssache eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, ggf sogar des Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 60 und Nr 65; vgl auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Der Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine konkrete Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) aufzeigen.
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung offensichtlich nicht.
Der Beschwerdeführer versäumt es bereits, eine Rechtsfrage mit Bedeutung über den Einzelfall hinaus unmissverständlich zu formulieren. Statt dessen führt er am Schluss seiner 57-seitigen Beschwerdebegründung aus, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, "da die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Widerspruch gegen den Bescheid vom 15. Juli 1999) und die hieraus folgende Durchbrechung einer etwaigen angeblichen Rechtskraftwirkung noch nicht abschließend obergerichtlich geklärt ist und somit, wie auch die Frage der Einzelvollmacht der Beklagten, was mithin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bewirkt".
Auch wenn berücksichtigt wird, dass sich die Beschwerdebegründung auf den S 51, 56 und 57 ebenfalls mit dem Problem der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 Abs 1 SGG) befasst hat, lässt sich daraus - auch nicht sinngemäß - eine verallgemeinerungsfähige Rechtsfrage entnehmen. Doch selbst wenn zu Gunsten des Klägers unterstellt wird, er habe die Rechtsfrage stellen wollen, ob die Ausschlussregelung des § 67 Abs 3 SGG dann nicht eingreift, wenn ein Wiedereinsetzungsantrag vor Ablauf der Jahresfrist auf Grund eines Einwirkens bzw einer Nichtinformation durch die Beklagte (siehe S 51 der Beschwerdebegründung) unmöglich war, fehlt es jedenfalls an Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit einer solchen Fragestellung. Allein der Hinweis, die Entscheidung des BSG vom 25. März 2003 (B 1 KR 36/01 R, BSGE 91, 39, 43 = SozR 4-1500 § 67 Nr 1) sei lediglich zur Regelung über das Krankengeld ergangen, macht nicht hinreichend deutlich, inwiefern über die Begründung des BSG in der zitierten Entscheidung hinaus noch Klärungsbedarf im Sinne einer im Revisionsverfahren zu erwartenden verallgemeinerungsfähigen Aussage bestehen soll.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160 Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG abgesehen.
Die unzulässige Beschwerde ist zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1, § 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen